Nachhaltigkeitsrisiken beeinflussen Mensch und Natur – und den Betrieb von Unternehmen und Organisationen. Deshalb müssen sie bei der Finanzierung mitgedacht werden. Aber was steckt hinter dem abstrakten Begriff? Und wie lassen sich diese Risiken in Chancen verwandeln?
Darüber habe ich mit Dr. Laura Mervelskemper und Meinrad Ettengruber gesprochen. Sie arbeiten in der GLS Bank und beschäftigen sich auf unterschiedliche Weise damit, wie aus Nachhaltigkeitsrisiken Chancen werden. Laura Mervelskemper gehört dem Team Strategie und Entwicklung an, Meinrad Ettengruber leitet den Bereich Firmenkund*innen und gemeinnützige Organisationen. Beide berichten, dass der GLS Bank bei der Beratung von Kund*innen eines schon lange am Herzen liegt: eine zukunftsgewandte Haltung.
Nachhaltigkeitsrisiko ist ein vielschichtiger Fachbegriff aus der Finanzwelt. Wie versteht ihn die GLS Bank?
Laura Mervelskemper: So wie wir derzeit wirtschaften, gefährden wir unsere Lebensgrundlagen – auf sozialer wie auch ökologischer Ebene. Das ist kurz gesagt das, was hinter Nachhaltigkeitsrisiken steckt. Wir müssen es also schaffen, die Grenzen unseres Planeten nicht zu überschreiten. Gleichzeitig müssen wir die sozialen Fundamente wie Bildung, Gerechtigkeit und Zugang zu Wasser und Nahrung stärken, statt sie zu schwächen. Gelingt dies nicht, entstehen Nachhaltigkeitsrisiken. Dazu zählen Risiken physischer Natur wie Extremwetterereignisse sowie sogenannte transitorische Risiken. Ein Beispiel dafür ist politische Regulierung wie der CO2-Preis, um ein Umsteuern herbeizuführen. Diese Risiken können Banken nicht nur direkt, sondern auch indirekt treffen, weil die Geschäftsmodelle von finanzierten Unternehmen nicht mehr zukunftsfähig sind.
Sind unseren Kund*innen ihre Risiken bereits bewusst?
Meinrad Ettengruber: Unsere Kund*innen sind intrinsisch motiviert, in einem bestimmten Bereich etwas zu bewirken. Die einen wollen die Ernährungswende unterstützen und eröffnen einen Biomarkt. Andere wünschen sich eine andere Bildung und gründen eine freie Schule. Dadurch liegt der Fokus meist auf dem eigenen Thema. Im Gespräch gehen wir in die Gesamtbetrachtung, die häufig neue Erkenntnisse beschert.
Laura Mervelskemper: Viele unserer Kund*innen tragen wirksam dazu bei, die planetaren Grenzen einzuhalten oder sozialen Nutzen zu stiften. Aber auch diese Unternehmen können von Überschwemmungen oder einem steigenden CO2-Preis betroffen sein. Ein Kindergarten hat sich bislang vielleicht weniger mit den Auswirkungen der Klimapolitik oder Überschwemmungsszenarien beschäftigt. Hier sehen wir es als unsere Aufgabe an, ein Bewusstsein zu schaffen und gemeinsam den Weg der Transformation zu gehen.
Was der Klimawandel oder der Verlust der Artenvielfalt für Menschen und damit auch Unternehmen bedeutet, gewinnt immer mehr Aufmerksamkeit. Warum beschäftigt sich die GLS Bank schon lange intensiv mit Nachhaltigkeitsrisiken?
Laura Mervelskemper: Erstens ist die GLS Bank seit jeher motiviert, positive Wirkung für Mensch und Natur zu erzielen. Dazu müssen wir alle möglichen Einflüsse frühzeitig mitdenken. Zweitens möchten wir als Bank auch eine gute Partnerin für unsere Kund*innen sein, sie mit Weitsicht beraten und sinnvolle Lösungen finanzieren. Drittens wollen wir das allgemeine Bewusstsein schärfen – auch im Finanzsektor. Nachhaltigkeitsrisiken müssen ganzheitlich betrachtet werden. Es geht um unsere gesamten sozialen wie ökologischen Lebensgrundlagen, die wir mit aller Kraft schützen müssen.
Meinrad Ettengruber: Natürlich beschäftigen wir uns auch aus Eigenschutz mit Nachhaltigkeitsrisiken. Wir müssen unser Kreditportfolio sicher gestalten, dazu sind wir mittlerweile auch gesetzlich angehalten. Die Krux: Messungen und die Berichtspflichten beziehen sich immer auf die Vergangenheit – alle Bankratings versuchen, auf Basis des Vergangenen nach vorne zu projizieren.
Aus Sicht der GLS Bank deckt die Gesetzeslage Nachhaltigkeitsrisiken noch nicht vollständig ab?
Laura Mervelskemper: Nein. Die meisten Ansätze beschäftigen sich mit dem Klima, dabei ist der Handlungsdruck im Bereich Biodiversität, Wasser oder im sozialen Bereich mindestens genauso hoch. Die EU-Taxonomie definiert, welche Wirtschaftsaktivitäten nachhaltig sind – bislang liegt diese nur für den Bereich Klima vollständig vor. Eine soziale Taxonomie fehlt gänzlich. Auch die Verknüpfung fehlt bislang, obwohl ökologische und soziale Themen untrennbar verbunden sind. Dass die EU-Taxonomie Gas und Atomkraft für nachhaltig erklärt, widerspricht wissenschaftlichen Erkenntnissen und schadet dem Gemeinwohl. Wenn Einzelinteressen dominieren, werden wir es nicht schaffen, im Rahmen der planetaren Grenzen zu leben. So entstehen Risiken.
Meinrad Ettengruber: Beim Klima gibt es einen breiten Konsens, weil die Sache einfach ist: CO2 ist als Ursache ausgemacht, lässt sich messen und regulieren. Bei anderen Themen wird das schwieriger.
Laura Mervelskemper: In der Tat sind Daten ein Hebel und zugleich ein Problem. Messungen sind schwer umzusetzen, gerade für kleine und mittelständische Unternehmen, die oftmals keine eigene Abteilung für Nachhaltigkeit haben. Daher rudert die EU gerade wieder zurück, was die Berichtspflichten angeht. Eine Lösung ist das nicht.
Was wäre eine Lösung?
Laura Mervelskemper: Wir müssen uns fragen, welche Daten wir wirklich brauchen. Viele Daten beziehen sich auf die Vergangenheit und haben keine entscheidende Bedeutung. Gleichzeitig fehlt die Einordnung: Den CO2-Ausstoß eines Unternehmens können wir zum Beispiel nur im Gesamtbild und mit zukunftsgerichteten Prognosen und Szenarien bewerten. Wie viel CO2-Budget steht der jeweiligen Branche und dem einzelnen Unternehmen zu? Welche Klimawirkung erzielt das Unternehmen, wenn wir die CO2-Emissionen mithilfe von Szenarien in die Zukunft projizieren? Erst durch den Kontext verstehen wir, wer im Sinne des Pariser Klimaabkommens wirtschaftet. Wir wollen weg vom Messen am Gestern, hin zur Orientierung am Morgen. So entstehen gleichzeitig Chancen.
Dieser Text ist im Sinnmacher 2023 / 1 erschienen. Sie möchten über unsere Sinnmacher-Beiträge informiert werden? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter für Firmenkund*innen und erhalten Sie neben wissenswerten Informationen auch unser Magazin für Geschäftskund*innen.
Wie setzt die GLS Bank diese Perspektive in der Praxis um, um ihre Kund*innen auf die Zukunft vorzubereiten?
Laura Mervelskemper: Wir nutzen zum Beispiel die X-Grad-Messmethode von right°. based on science. Ihr Modell übersetzt die Klimawirkung eines Gebäudes oder Unternehmens in Grad Celsius. Die Gradangabe verdeutlicht, wie stark sich die Erde erwärmen würde, wenn alle Gebäude oder Unternehmen weltweit den gleichen CO2-Fußabdruck hätten. So setzen wir einzelne Klimabemühungen ins Gesamtbild und können sie bewerten.
Meinrad Ettengruber: Im Immobilienbereich führen wir unser nWert-Audit durch. Damit bewerten wir den Umgang mit ökologischen Risiken und schauen auf die soziale Qualität. Einen guten Hebel bieten auch unsere Zukunftsbilder für eine Welt, in der wir leben wollen. Um diese Branchenszenarien zu erreichen, ermitteln wir über einen Fragenkatalog den Status quo unserer Kund*innen und entwickeln Maßnahmen. Auf lange Sicht soll daraus ein Scoring werden.
Laura Mervelskemper: Wir müssen messen, um Orientierung zu schaffen. Dennoch wird bei uns niemals ein einziger Score über einen Kredit entscheiden. Es zählt weiterhin das Gesamtbild.
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