Was wächst wo am besten? Diese Frage stellen sich jetzt im Frühjahr nicht nur die Hobbygärtner/innen.
Sie beschäftigt neben Landwirt/innen und Berufsgärtner/innen auch einen ganzen Industriezweig: die Agrochemie mit ihrer Pflanzenforschung, Düngemittel-, Pestizid- und Saatgutproduktion – und auch die ökologische Landwirtschaft. Eine Antwort finden wir in der Pflanzen- bzw- Saatgutzüchtung. Von ihr hängt ganz unmittelbar ab, was auf unseren Teller kommt. Mittelbar geht es um Einkommen, Wirtschaftsmacht, Hunger, Klima, Migration, Chancenverteilung zwischen Nord und Süd.
Agraringenieurin Verena Wahl von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft gibt im Interview Einblicke in die Saatgutzüchtung.
Die Natur ist doch sehr erfinderisch. Fast überall wachsen Pflanzen auch von alleine. Wozu brauchen wir überhaupt Saatgutzüchtung?
Ohne Züchtung hätten wir weniger Pflanzen, die wir essen könnten. Das wird deutlich am Beispiel Getreide – eigentlich ein Gras. Ohne dauernde Auswahl des Grases mit den größten Körnern, hätten wir heute immer noch Gras. Ähnlich Radieschen: Wenn wir die Pflanzen mit den dicksten Wurzeln nicht über eine lange Zeit ausgewählt hätten, hätten wir heute keine Radieschen mit verdickten, essbaren Wurzeln (der botanische Fachbegriff dafür ist „Sprossachse“). Und auch bei den Tomaten sind die hunderte von Sorten, die wir heute kennen, durch Züchtung und Auswahl nach Geschmack und Größe entstanden. Züchtung hat zu einer großen Sortenvielfalt geführt. Ohne Züchtung würden sich Nutzpflanzen auch recht schnell wieder zurück entwickeln oder in der freien Natur aussterben.
Wer züchtet?
In der Regel sind das gelernte Agrarwissenschaftler/innen. Die Mehrheit der Züchter/innen ist bei einem der sieben Agrarkonzerne angestellt, die rund 70 % des globalen Saatgutmarktes abdecken. Ein großer Teil der Züchtungsforschung findet bei diesen Unternehmen am Computer und in Laboren statt.
Daneben gibt es die ökologische Züchtung, die überwiegend von gemeinnützigen Organisationen und Vereinen betrieben wird. Bei ihnen gehören die Sorten nachher dem Verein bzw. der Gemeinschaft und können nicht patentiert werden. Der Ökolandbau macht nur 6 % der Fläche in Europa aus und der Anteil ökologisch gezüchteter Sorten ist noch gering. Da es von der Idee für die züchterische Bearbeitung einer Pflanze bis hin zu einer angemeldeten Sorte bis zu 15 Jahre dauern kann, muss man heute die entsprechende Entwicklungsarbeit vorantreiben, wenn man in Zukunft unabhängig von großen Konzernen arbeiten will.
Gibt es auch noch einen nennenswerten Anteil von privaten oder Kleinbauern, die ihr Saatgut selbst erzeugen?
Beim Gemüse ist das eher selten, da es meist sehr aufwändig ist. Gerade rund um die Urban-Gardening-Szene gibt es aber immer mehr Gärtner/innen, die das Vermehren von Gemüsesaatgut wieder lernen. Bei Getreide bauen noch ungefähr die Hälfte aller Landwirt/innen ihr Getreide nach. Sie halten einen Teil der Ernte zurück und säen im Herbst oder im nächsten Frühjahr ihr eigenes Saatgut wieder aus.
Wie funktioniert Züchtung?
Die klassische Methode ist die Selektionszüchtung. Ausgewählt wird nach bestimmten Kriterien: Geschmack, Aussehen, Farbe, Form, Ertrag, Resistenzen gegen Krankheiten. Vermehrt werden dabei nur Pflanzen, die den festgelegten Kriterien entsprechen. Eine andere traditionelle und verbreitete Methode ist die Kreuzung. Hier werden gezielt Pflanzen mit bestimmten Eigenschaften miteinander gekreuzt. Beide Methoden werden sowohl in der konventionellen als auch in der ökologischen Züchtung angewendet.
Der Unterschied zwischen ökologischer und konventioneller Züchtung liegt unter anderem in den Kriterien, nach denen die Auswahl der Pflanzen erfolgt. In der konventionellen Züchtung ist der Ertrag ausschlaggebend, hier wird möglichst eine Sorte für alle gezüchtet. Das Ziel der ökologischen Züchtung sind widerstandsfähige, an den Standort angepasste Pflanzen, die ohne viel chemischen Dünger und Pestizide Ertrag bringen und schmackhaft sind.
Geht von der konventionellen Züchtung eine Gefahr aus?
Nicht von den traditionellen Züchtungsweisen. Kritisch sind aber die neuen Methoden, darunter die Gentechnik und direkte Eingriffe in das Genom. Sie stellen u.a. eine Gefahr für die biologische Vielfalt dar. In der Regel verkaufen die großen Agrarkonzerne Hybridzüchtungen, die sich nicht selbst vermehren oder an veränderte Bedingungen anpassen können. Auch dadurch, dass wenige Konzerne das Geschäft dominieren, geht seit langem Vielfalt verloren. Man schätzt, dass in den vergangenen hundert Jahren 90 % aller Kulturpflanzensorten in Europa ausgestorben sind. Die Konzentration der Saatgutproduktion auf einige wenige, sehr große Konzerne birgt außerdem die Gefahr von Abhängigkeiten. Die Konzerne melden Patente auf Saatgut an – diese gehören dann nur wenigen – und beherrschen den Markt.
Die Folgen einer solchen Abhängigkeit können wir in Syrien beobachten. Hier ist Saatgut ein politisches Instrument. Die Verteilung des Saatguts wird von der Regierung kontrolliert, Aushungern ist Teil der Kriegsführung. In Rebellen-Gebieten haben die Menschen daher Probleme, Saatgut zu erhalten. Durch das von Exil-Syrern gestartete Netzwerk „The 15th Garden“ bringen sich Menschen in Syrien bei, in kleinen Stadtgärten wieder selber Gemüse anzubauen. Vermehrbare, nicht patentierte Sorten sind dafür essentiell, Hybridsorten sind unter solchen Umständen nutzlos.
Welche Rolle spielt die Zukunftsstiftung Landwirtschaft für die ökologische Züchtung?
Die ökologische Züchtungsforschung hat in Deutschland einen Finanzbedarf von ca. 2,5 Millionen Euro im Jahr für über 100 Projekte. Diese Kosten können aber nicht über den Verkauf des Saatguts aufgebracht werden. Deshalb ist die ökologische Entwicklung von Sorten und passendem Saatgut auf Spenden angewiesen. Die Zukunftsstiftung Landwirtschaft mit ihrem Saatgutfonds sammelt inzwischen jährlich rund eine Million Euro von privaten Spender/innen, Ökounternehmen und anderen Stiftungen und gibt diese an gemeinnützige Züchtungsprojekte weiter.
Was kann ich selbst tun, wenn ich die ökologische Züchtung unterstützen möchte?
Zunächst im eigenen Garten oder auf dem Balkon ausschließlich ökologisches Saatgut verwenden. Das hat auch den Vorteil, dass ich mein eigenes Saatgut gewinnen kann, denn das meiste ökologische Saatgut ist samenfest und nachbaubar. Saatgut, das ich im Supermarkt kaufe, kommt in der Regel von den großen Agrarkonzernen, da auch die scheinbar kleinen Firmen meist Teil dieser Konzerne sind. Einen Hinweis darauf findet sich auf dem Samentütchen häufig nicht.
Daneben sollten Verbraucher/innen beim Einkauf von Lebensmitteln auf ökologische Erzeugung achten und dabei auch die hohen Standards der deutschen Bioverbände wertschätzen. Man kann auch seine/n Landwirt/in oder seine/n Gärtner/in fragen, welche Sorten er oder sie verwendet, und damit deutlich machen, dass einem das Thema wichtig ist. Und natürlich spenden!
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Titelfoto: Zukunftsstiftung Landwirtschaft
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