Ein Standpunkt zum Thema Alter von Andreas Neukirch, Vorstandsmitglied der GLS Bank.
Endlich mehr Ruhe. Endlich etwas Zeit für Dinge, die wir immer schon mal machen wollten. Endlich die Früchte unserer Arbeit ernten. Im Alter können wir unsere Träume erfüllen, das Leben genießen. Wir leben länger und sind medizinisch besser versorgt denn je. Zu schön, um wahr zu sein?!
Schon Joachim Fuchsberger titulierte: „Altwerden ist nichts für Feiglinge.“ Wenn wir den Medien folgen, dann sind vor allem Armut, Krankheit und Einsamkeit die Phänomene des Alters. Doch woher kommt der Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit? Vielleicht hilft ein Blick auf die Jüngeren, um eine Antwort zu finden. Die Schulzeit wird verkürzt, damit man sich im Wirtschaftsleben nützlich machen möge. Ein verschultes Studium wirkt gegen Eigenverantwortung und Entwicklungsdrang und selten stehen dann unbefristete Beschäftigungen zur Verfügung. Nicht umsonst heißt es Generation Praktikum. Die Fälle von früher Überlastung im Arbeitsalltag steigen stetig. Alles in allem ergibt sich eine große Unsicherheit und Unfreiheit bei gleichzeitiger Verdichtung von Anforderungen im Alltag. Aber auch in dieser Generation gibt es ein positives Lebensgefühl: Menschen, die ihre Qualifikationen einsetzen, um ihr Arbeitsleben passend zu ihrer Entwicklung zu gestalten. Sie machen sich die Digitalisierung zunutze. Sie richten ihre berufliche Karriere nach ihren persönlichen Bedürfnissen aus. Sie suchen ihre eigenen Entwicklungsfelder und gehen auf vorgegebene Karrierestereotypen nicht ein. Aufmerksamkeit für das Heute ist angesagt und nicht Warten auf das Alter.
Diese widersprüchlichen Beobachtungen bei Älteren wie Jüngeren sind meines Erachtens auch darauf zurückzuführen, dass in unseren Sozialsystemen die Solidarität verloren gegangen ist und dass diese Systeme gleichzeitig allen gesellschaftlichen Bereichen ihre Regeln auferlegen. Der Mechanismus, bei dem die Partizipation, zum Beispiel an der Rente, durch Anspruchserwerb erfolgt, ist eigentlich das Gegenteil von Solidarität. Und unter den demografischen Verhältnissen in Deutschland werden damit die von der älteren Generation erworbenen Ansprüche zementiert, während neue Ansprüche zu erwerben kaum noch zugelassen wird. Besitzstandsdenken eben. Alle spüren, dass eine solche gesellschaftliche Verabredung nicht mehr trägt und Entwicklung hemmt. Hierin liegt ein Grund für die Spannungen zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Der ständige Blick in den Rückspiegel dominiert.
Diese Spirale zu durchbrechen, gelingt meiner Meinung nach nur, indem wir die gesellschaftlichen Kräfte bündeln und eine einfache, relativ niedrige Grundsicherung etablieren. So schaufeln die Alten den Jungen wieder ihre Perspektive frei und vertrauen mit der Gelassenheit des Alters darauf, dass die Jugend selbstverständlich etwas ganz Neues und Zukunftsweisendes für unsere Gesellschaft auf die Beine stellen möchte. Eine enorme Generationenleistung im wirklich solidarischen Sinne wäre die Folge! Solange diese Herkulesaufgabe nicht bewältigt, diese Debatte noch nicht einmal geführt wird, werden wir als GLS Bank Gemeinschaftsinitiativen zur Überwindung dieses Dissens unterstützen: zum Beispiel mit der Finanzierung von Mehrgenerationenhäusern, neuen Bildungskonzepten, Altershilfen mit Stadtteilbezug und vielem mehr, was im Kleinen die Generationen wieder gemeinsam nach vorne schauen lässt.
Schreibe einen Kommentar