Katrin Scheib ist Journalistin und lebt in Moskau. Unter kscheib.de bloggt sie über ihr Leben in Russland, für uns hat sie einen Wirtschaftsteil über Stadtentwicklung als Gastbeitrag geschrieben.
Was Stadtentwicklung und Demokratie miteinander zu tun haben, kann man gut am Beispiel von Russlands Großstädten erzählen. Nicht nur zur Fußball-WM wurde da in den Austragungsorten generalstabsmäßig gebaut, renoviert, poliert und auf Englisch beschriftet. Vor allem in Moskau ist man bereits seit einigen Jahren dabei, die Stadt radikal aufzuhübschen – ohne Bürgerbeteiligung, und oft auch ohne Rücksicht auf das, was sich dem Verschönerungsdrang so in den Weg stellt.
„Viele in Moskau sehen darin einen kaum verborgenen Plan, die urbane Mittelklasse zu beruhigen, die in den Jahren 2011/2012 gegen Wahlbetrug demonstriert hatte“, schreibt der Economist, „Bürokraten sehen zudem ein Mittel, eine stagnierende Wirtschaft anzukurbeln.“ Für den Alltag in der Hauptstadt hat das ganze Gebaue zunächst einmal durchaus positive Seiten: breitere Bürgersteige, mehr Zebrastreifen und mehr Fußgängerampeln in einer Stadt, in der sonst immer das Auto Priorität hatte. Blumenkübel, Bänke, Bushaltestellen mit USB-Anschlüssen, an denen man sein Handy aufladen kann. Sogar Radwege, hier und da – obwohl Radfahrer im Moskauer Stadtbild kaum vorkommen. „If you build them, they will come?“ Vielleicht.
Das beste Beispiel ist wohl der Gorki-Park, der gerade 90 Jahre alt geworden ist. Noch vor zehn Jahren war das ein zugemüllter Rummelplatz am Ufer der Moskwa: hier eine Dinosaurier-Statue, da eine Fressbude, hier blinken Lichter, da plärrt Musik. Und immer, immer stolpert man über irgendwelche Stromkabel. Seit 2012 ist das anders, der Park wurde runderneuert und durchgehipstert. Man kann hier jetzt Pétanque spielen oder Beachvolleyball, sich vor unzähligen Blumenbeeten instagrammen oder sich auf einem Riesenkissen auf einer Wiese fläzen und das kostenlose WLAN nutzen. Alles im selben Design, alles luxussaniert. Ohne Bürgerbeteiligung, aber mit ordentlicher Oligarchen-Finanzspritze. „Parkgorkification“ ist ein Wort, das man manchmal hört, als Kurzfassung für dieses „Haltet euch raus, dann machen wir es euch auch hübsch.“
Der Guardian hat mal Moskauer befragt, wie sie zu dieser Art der Stadtentwicklung stehen; das Ergebnis war durchwachsen. Lob für mehr Grün und weniger Schlaglöcher, Kritik an mangelndem Mitspracherecht: „Uns, die Bewohner von Moskau, hat niemand gefragt zu den Veränderungen in der Stadt. (…) Man kann so viele schicke Dinge bauen, wie man Geld hat, aber wenn die Moskauer einander nicht vertrauen und nicht das Gefühl haben, dass diese Stadt ihnen wirklich gehört, dann wird das hier nie eine echte Stadt, sondern bleibt ein ‚großes Dorf‘ mit edlen Parks, Craft-Bier und Leihfahrrädern.“
Ähnlich klingt das auch bei Vera Leonowa, einer Expertin für Stadtentwicklung und Stadtplanung, die ich neulich bei einer Recherche kennengelernt habe. „Nie werden die Anwohner nach ihrer Meinung gefragt oder sonst wie beteiligt,“ ist ihre Beobachtung, „denn das braucht Zeit, dann kann sich der Bürgermeister nicht mehr hinstellen und sagen: ‚Schaut mal, wie schnell wir das gebaut haben. Im Westen würde das länger dauern.‘“ Der Bürgermeister, Sergej Sobjanin, will am 9. September wiedergewählt werden. Und Projekte wie der hochglanzige Gorki-Park oder zuletzt der komplett neu geschaffene Sarjadje-Park hinter der Basilius-Kathedrale sind genau die Sorte von Projekt, mit dem der Amtsinhaber bei seinen möglichen Wählern punkten will.
[green_box]Dieser Wirtschaftsteil ist ein Gastbeitrag von Katrin Scheib zur Stadtentwicklung in Moskau. Weitere spannende Gastbeiträge anderer Autoren und Blogger findet Ihr hier.[/green_box]
Titel: Tom Grimbert / Park: Tom Grimbert / Wohnblock: Mike Kononov
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