Der Generationswechsel stand im Mittelpunkt der 20. Saatgut-Tagung der Zukunftsstiftung Landwirtschaft. Welche Rolle spielt die ökologische Pflanzenzüchtung für die Landwirtschaft von morgen? Und was motiviert junge Menschen, die Arbeit der Saatgut-Pionier*innen aufzugreifen und in die Zukunft zu tragen? Unsere Autorin Laura Krautkrämer sprach auf der Saatgut-Tagung mit alten und jungen Züchter*innen.
Die meisten heute bestehenden Öko-Züchtungsprojekte im deutschsprachigen Raum wurden in den 1980er oder 1990er Jahren gegründet. Vielerorts steht ein Generationswechsel an. Als eine Saatgut-Tagung des Übergangs bezeichnete deshalb Oliver Willing, Geschäftsführer der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, die diesjährige Saatgut-Tagung, bei der Ende Januar wieder rund 100 Menschen in Kassel zusammenkamen. Schon jetzt arbeiten neben den erfahrenen Pionier*innen viele junge Züchter*innen daran, die Sorten für morgen zu züchten. Sie widmen sich mit großem Engagement einer Arbeit, die außerordentlich langwierig ist – und chronisch unterfinanziert. Umso wichtiger ist die Unterstützung durch den Saatgutfonds der Zukunftsstiftung Landwirtschaft in der GLS Treuhand, die seit 1996 ökologische Züchtungsforschung fördert (Spendenaufkommen 2020: rund 1,8 Mio. Euro).
Saatgut-Tagung / Agrarwende gestalten
Bei allen individuellen Unterschieden zeigt sich: Die junge Generation ist sich der politischen Dimension ihrer Arbeit bewusst. Auf dem Weg zu mehr Ernährungsgerechtigkeit spielt die ökologische Pflanzenzüchtung eine zentrale Rolle. Mit nachbaufähigem Saatgut kann sich die Landwirtschaft dem Zugriff der wenigen mächtigen, global agierenden Agrarkonzerne entziehen. Zudem sind Öko-Sorten für den Anbau ohne stickstoffhaltigen Kunstdünger und den Einsatz giftiger Pestizide ausgelegt und liefern damit das passende Saatgut zur dringend nötigen Agrarwende.
Viele Wege führen zum Ökosaatgut
Wie unterschiedlich die Wege in die Öko-Züchtung verlaufen können, zeigten eindrucksvoll die ersten drei Beiträge der Tagung. So berichtete Fadi Kanso, der seit 2016 bei der Sativa Rheinau AG in der Schweiz Gemüse und Sonnenblumen züchtet, wie er ausgerechnet am 11. September 2001 in der Botschaft in Beirut ein Studentenvisum für Deutschland beantragte – wenige Stunden später sah er zu Hause im Fernsehen die Bilder von den brennenden Türmen des World Trade Center. Trotz der darauffolgenden Ausnahmesituation in seinem Heimatland Libanon konnte er einige Wochen später nach Deutschland einreisen. Die ökologische Pflanzenzüchtung lernte Fadi Kanso während seines Studiums der Agrarwissenschaften an der Universität Hohenheim kennen. Ihn fasziniert vor allem die Wechselwirkung zwischen Pflanze und Züchter: „Das Schöne ist: Es bleibt lebendig. Da ist ein Austausch zwischen Züchter und Pflanze – das ist eine gemeinsame Reise.“
Zukunftsfähige Sorten züchten
Christhild Brauch verantwortet seit fünf Jahren einen eigenen Züchtungsbetrieb auf Gut Mönchhof im hessischen Werra-Meißner-Kreis, wo sie elf verschiedene Gemüsekulturen züchtet. „Die innere Würde der Pflanzen wird mir immer deutlicher. Jede Pflanze hat ihre Eigenheiten“, erklärte sie. Dieser Würde wolle sie in der Kulturpflanze Ausdruck verschaffen, auch wenn sich daraus manchmal Konflikte mit anderen, quantitativen Züchtungszielen – etwa Größe und Einheitlichkeit – ergeben. „Angesichts der brennenden Erde frage ich mich, ob wir uns das Ideal von Quantität überhaupt noch leisten können? Was brauchen wir in zehn Jahren? Vielleicht sind da ganz andere Qualitäten nötig?“
Von der Physik zur Züchtung
Als Versuch, eine „ganz und gar unwahrscheinliche Biografie schlüssig darzustellen“ leitete Carl Vollenweider seinen Beitrag ein. Und tatsächlich: Im Lebenslauf des promovierten Physikers, der sich jahrelang an der ETH Zürich mit Relativitätstheorie und Quantenmechanik auseinandergesetzt hat, stellt die Entscheidung, sich der ökologischen Pflanzenzüchtung zu widmen, eine unerwartete Wendung dar. Auslöser war ein Interview mit der indischen Öko-Aktivistin Vandana Shiva, das ihn so beeindruckte, dass er nach Nordindien zu der von Shiva begründeten Versuchsfarm Navdanya reiste. Dort wiederum traf er die Tochter des deutschen Züchtungspioniers Hartmut Spieß, die ihm von der Arbeit ihres Vaters auf dem Dottenfelderhof in der Nähe von Frankfurt am Main berichtete und davon überzeugte, diese näher kennenzulernen. Aus einem Monat Probearbeiten wurde eine dauerhafte Zusammenarbeit: Seit knapp fünf Jahren gehört Vollenweider zum Züchtungsteam des Hofes und arbeitet schwerpunktmäßig an Forschungsprojekten zu Getreidepopulationen und Mais.
Dialog auf Augenhöhe
Auch im weiteren Verlauf der Saatgut-Tagung gab es viele Möglichkeiten, mehr über Motivation und Herangehensweise der jungen Generation zu erfahren. In kurzen, dynamischen Gesprächsrunden stellten sich acht junge Züchter*innen in einer Art „Speed-Dating“ den Fragen der Teilnehmenden.
Fünf Arbeitsgruppen boten intensiven Austausch zu Fragen der Aus- und Fortbildung, zu strategischer Nachfolgeplanung oder partizipativen Organisationsformen in der Ökozüchtung. Auch in der abschließenden Fishbowl-Diskussion wurde deutlich, dass die Frage nach der Züchtung der Zukunft nicht nur Landwirt*innen und Gärtner*innen betrifft, sondern die ganze Gesellschaft. Neben der notwendigen Lobbyarbeit und der existenziellen Frage der Finanzierung geht es auch darum, ins Gespräch zu kommen und Teil der Ernährungswirtschaft zu werden. „Wir brauchen den Austausch mit der gesamten Wertschöpfungskette: Was will der Markt, was wollen die Züchter?“, so Herbert Völkle, Züchter und Geschäftsführer bei der Getreidezüchtung Peter Kunz in der Schweiz. „Wichtig ist dabei, dass dieser Austausch auf Augenhöhe geschieht. Wir Züchter sollten keine Bittsteller sein.“
Geld hilft
Ideelle und finanzielle Unterstützung kommt bereits von vielen Unternehmen aus der Biobranche, Stiftungen und Privatpersonen, die durch Spenden an den Saatgutfonds eine finanzielle Grundlage für diese zukunftsweisende Arbeit schaffen. Legen auch Sie Keime für die Zukunft mit einer Spende an den Saatgutfonds.
Mehr Infos
Informationen zu den ökologischen Züchtungsprojekten findet ihr unter www.saatgutfonds.de.
Eine detaillierte Dokumentation der Saatgut-Tagung wird derzeit erstellt. Schreibt bei Interesse an die Zukunftsstiftung Landwirtschaft, Kontakt: stella.buenger@gls-treuhand.de
Mehr über Laura Krautkrämer erfahrt ihr hier www.laura-krautkraemer.de
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