Mikrofinanz – Mittwochabend Bargeld abheben, Sonntag eine Rechnung online begleichen oder die neue Nähmaschine mit einem Ratenkredit finanzieren – für viele Menschen unvorstellbar. Niemand würde ihnen eine Finanzierung anbieten. Ein Konto oder ein Sparbuch eröffnen? Fehlanzeige!
Auch ein Gründerkredit für ihre Geschäftsidee bleibt für sie ein Wunschtraum. Zwei Milliarden Menschen, die Hälfte aller Haushalte in Schwellen- und Entwicklungsländern, besitzen keinen Zugang zu normalen Bankgeschäften und Versicherungsdienstleistungen, wie wir sie hierzulande täglich nutzen. Eine Absicherung für Dürreperioden, Vorsorge fürs Alter oder auch nur Geld sicher anzusparen oder anzulegen – das ist für all diese Menschen kaum möglich.
Mikrofinanz ist ein bekanntes Instrument, um diese Lücke zu schließen. In Gegenden in denen Menschen sonst keinen oder nur begrenzten Zugang zu Finanzdienstleistungen haben, bietet Mikrofinanz insbesondere mit dem Ziel der finanziellen Inklusion verlässliche und bedarfsgerechte Leih- und Sparmöglichkeiten. Eng verwoben ist der Begriff Mikrofinanz mit dem Namen Muhammad Yunus. Im Rahmen eines Entwicklungsprojektes einer Universität vergab Yunus erstmals Kleinstkredite an arme Menschen in Bangladesch mit den Zielen Armutsbekämpfung und Emanzipation. Im Jahr 1983 wurde sein Vorgehen institutionalisiert – in Form der Grameen Bank. Für seine Pionierarbeit im Bereich der Mikrofinanz wurde Yunus im Jahr 2006 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Die Idee hinter der Mikrofinanzierung erinnert an unsere eigene Geschichte. Deutsche Bauern und Handwerker gerieten während der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert oft in finanzielle Schwierigkeiten. Abhängig von privaten Geldverleihern, rutschten viele tief in die Verschuldung ab. Basierend auf den Grundsätzen von Selbsthilfe und Selbstverantwortung entstanden aus dieser Not heraus die ersten Genossenschaften.
Historische Fehler
Es gibt ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Mikrofinanz: Als der Markt zunehmend florierte, tauchten immer mehr Anbieter auf, die hohe Renditen und schnelle Gewinne sahen. Die Folge davon war eine verantwortungslose Vergabe der Kredite. Übersättigte Märkte führten zu mangelnder Rücksichtnahme auf die Zahlungsfähigkeit. Gepaart mit intransparenten Verträgen, überteuerten Gebühren und makabren Eintreibemethoden trieb dies viele Kreditnehmer*innen in die Verzweiflung. Aus diesen historischen Fehlern wurden Lehren gezogen.
Die Initiative Smart Campaign beispielsweise versucht, Kreditnehmer*innen weltweit vor Überschuldung zu bewahren. Sie hat sieben Prinzipien entwickelt, die dazu dienen, Mikrofinanzkunden zu schützen. Dazu zählen die Vermeidung von Überschuldung, verantwortliche und transparente Preiskonditionen sowie ethisches Verhalten der Mitarbeitenden der Mikrofinanzinstitute. Dank sogenannter Due-Diligence-Prüfungen gelingt es ihnen gut, die Institute vor Ort zu prüfen. Hinterfragt werden Arbeitsweise, Kreditbedingungen, Management, wirtschaftliche Stabilität und die Zukunftsfähigkeit des Mikrofinanzinstituts. Ein besonderes Augenmerk gilt den Märkten. Wie gesättigt sind sie? Wie würden sich weitere Investitionen auswirken? Im Zweifel gilt es heute, sich stets gegen weitere Investitionen zu entscheiden.
Finanzielle Inklusion
Armutsbekämpfung und Emanzipation waren die ursprünglichen Motive. Heute ist finanzielle Inklusion das Ziel der Mikrofinanz: Jeder Einzelne soll Zugang zu den gängigen Bankdienstleistungen erhalten. Dazu bedarf es mehr als „nur“ der Vergabe von Mikrokrediten! Sparmöglichkeiten, Versicherungen und eine faire und verlässliche Beratung sind Dinge, die jedem Menschen zugänglich sein müssen. Darum ist Mikrofinanz heute ein vielfältiges Instrument. Wichtig ist es, die Instrumente entsprechend der regionalen Gegebenheiten zu orchestrieren. Mikrofinanz ersetzt niemals die Entwicklungszusammenarbeit – vielmehr ist sie sinnvoller Bestandteil des Entwicklungsprozesses. Diesem Ziel stehen viele Herausforderungen gegenüber. Weite Entfernungen zur nächsten größeren Stadt, schlechte Infrastrukturen, fehlende Ausweispapiere und regulatorische Anforderungen sind eine enorme Hürde. Auch an der mangelnden Bekanntheit und dem ungenügenden Verbraucherschutz wird gearbeitet.
Mikrofinanz in der Praxis
Ein effizienterer Ofen oder gar eine Kühltruhe, Saatgut, Schulbücher oder eine Ziege – Mikrokredite werden vielfältig genutzt. Sie dienen der Finanzierung unterschiedlichster unternehmerischer Tätigkeiten, landwirtschaftlicher Güter, der Verbesserung der Wohnungssituation oder der Finanzierung sozialer Verpflichtungen (wie die Aus-/Weiterbildung der Kinder). Sie werden außerdem zur Refinanzierung bestehender Notkredite bei freien Geldverleihern in Anspruch genommen. Die Ablösung der damit verbundenen horrenden Zinsaufwände erleichtert häufig das tägliche Leben. Mikrokredite werden zudem genutzt, um schwankende Einkommen auszugleichen. Das Volumen eines Kredites hängt von den Laufzeiten und dem Einkommensniveau des jeweiligen Landes ab und bewegt sich zwischen 50 und 5.000 Euro.
30 Prozent Zinsen, ist das normal?
20 bis 70 Prozent jährlicher Zins ist ein üblicher Satz in der Mikrofinanz. Verglichen mit dem Zinsniveau der Industrieländer ist dies zugegebenermaßen recht hoch. Tatsächlich entspricht es jedoch den lokalen Marktverhältnissen und ist mit Blick auf die Konditionen freier Geldverleiher in ländlichen Gebieten sogar eher gering. Solche sogenannten informellen Geldquellen verlangen nicht selten Zinsen in Höhe mehrerer 100 Prozent. Dies ist möglich, weil für viele Menschen solche Angebote die einzige Chance und Alternative sind.
Mikrofinanzinstitute sind Unternehmen, die Zinsen ihre Einnahmequelle, durch die sie sich refinanzieren – beziehungsweise Erträge für eigene Investition generieren. Die Zinsen decken vorwiegend die Kosten, die bei einer Kreditvergabe entstehen, im Wesentlichen Lohn- und Verwaltungskosten. Generell sind die Kosten pro Kredit bei der Vergabe solcher kleiner Kredite deutlich höher als für einen kommerziellen Kredit. Die Kreditnehmer*innen können häufig wenig Sicherheiten vorweisen, was durch einen Risikozuschlag kompensiert werden muss. Außerdem werden die Kredite häufig noch bar ausgezahlt. Der Transport des Geldes in entlegene Gegenden schlägt sich hier ebenfalls nieder.
Mitarbeitende besuchen die Kreditkunden persönlich, um sich einen fundierten Überblick über die Kreditwürdigkeit und die Erfolgsaussichten des geplanten Geschäftsmodells zu verschaffen. Eine sorgfältige persönliche Kreditwürdigkeitsprüfung ist ein Garant für geringe Ausfallraten. Und so liegt die Rückzahlungsquote bei über 95 Prozent!
Für diese hohe Quote gibt es weitere gute Gründe: Viele Mikrofinanzinstitute bieten kaufmännische Schulungen an, in denen die Kreditnehmer*innen Grundlagen und Arbeitstechniken lernen, um erfolgreich ein Unternehmen aufbauen zu können. Werden Gruppenkredite vergeben, besteht zudem eine soziale Verpflichtung, den Kredit zurückzuzahlen, weil die Mitglieder füreinander bürgen. Kann ein Mitglied einmal nicht mehr zahlen, springt die Gruppe ein. An neue Kreditnehmer*innen wird zunächst nur ein Kredit mit niedriger Summe gegeben. Erst wenn dieser Kredit verlässlich getilgt werden konnte, werden höhere Summen bewilligt. Mit einer Annahme muss allerdings aufgeräumt werden: Mikrokredite erhalten vor allem Haushalte, die ein entsprechendes Rückzahlungspotenzial aufweisen. Die Idee, dass Mikrofinanz den Ärmsten der Armen hilft, ist leider häufig nur das: eine romantische Idee.
Weltweiter Bedarf
Indien, Mexiko, Peru: Besonders die etablierten Märkte wie Lateinamerika und Asien werden häufig mit Mikrofinanz in Verbindung gebracht. Durch die weltpolitischen Ereignisse ist aber auch in Afrika eine hohe Notwendigkeit für den Auf- und Ausbau finanzieller Strukturen entstanden. Und was ist mit dem Kosovo, der Ukraine oder Polen? Auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft ist ein Bankkonto nicht selbstverständlich. Mikrofinanz soll seit einigen Jahren daher ebenso in europäischen Ländern wirtschaftliche Entwicklung fördern, Arbeitsplätze schaffen und Existenzen sichern.
Eindeutige Wirkung?
Die Wirkung der Mikrofinanz ist wissenschaftlich noch nicht eindeutig belegt. Betrachtet man nur das Einkommen, kann eine armutsreduzierende Wirkung bisher nicht nachgewiesen werden. Belegbar jedoch ist, dass die Lebensumstände der Menschen sich deutlich verbessern. In Studien zeigen sich klare Unterschiede zwischen Mikrofinanzkunden und Menschen, die kein Mikrofinanzangebot angenommen haben: Die entsprechenden Haushalte gaben mehr Geld für Nahrungsmittel und Kleidung aus und waren häufiger im Besitz von Haushaltsgeräten. Das Wachstum bei den Sparangeboten der Mikrofinanzinstitute deutet auch darauf hin, dass immer mehr Menschen Geld übrig haben, das sie auf die Seite legen können.
Neben all diesen Möglichkeiten dürfen allerdings die Risiken nicht vergessen werden: Überschuldung, Flutung der Märkte durch die Mikrokredite bei Marktsättigung und unseriöse Mikrokreditpartner. Um dies zu vermeiden, bedarf es vor Ort eines funktionierenden Netzwerks mit Ansprechpartnern, die die Region kennen und wissen, was notwendig ist. Entscheidend ist daher nicht, ob – sondern wie Mikrofinanzierung betrieben wird. Perspektiven schaffen Ein weiterer Nutzen von Mikrokrediten ist, dass unregelmäßige Einkommen ausgeglichen und entsprechende Schwankungen aufgefangen werden können. In Verbindung mit den Möglichkeiten zum Sparen und zum Abschließen von Versicherungen werden so langfristige Perspektiven für die Menschen geschaffen. Sie können sich über das Subsistenzniveau, also die reine Sicherung des Lebensunterhalts hinaus, ein Polster schaffen. So wird es möglich, für das Alter vorzusorgen und langfristige Investitionen zu tätigen.
Auch die Umschuldung ergibt in vielen Fällen Sinn. Wurden Kredite aus informellen Quellen aufgenommen, bietet ein Mikrokredit zu günstigeren Konditionen eine Entlastung für den Kunden und meist auch für die ganze Familie.
Die Stärkung der Eigenständigkeit der Menschen ist ein weiterer Aspekt. Der Zugang zu Finanzdienstleistungen ermöglicht es oft überhaupt erst, eine Tätigkeit im Angestelltenverhältnis aufzunehmen. In diesen Fällen dient ein Darlehen dazu, das Fahrrad oder Moped zu finanzieren, um den Arbeitsweg bewältigen zu können. Verbesserte Lebensbedingungen Viele weitere positive Wirkungen stehen in Verbindung mit der finanziellen Inklusion. Zweckgebundene Kredite für den Ausbau von Sanitäranlagen, den Hausbau oder energetische Sanierungen verbessern die Wohnsituation und die gesundheitlichen Verhältnisse. Außerdem liegt eine positive Wirkung nahe, wenn Geld für die Schule ausgegeben wird oder es den Kindern überhaupt erst ermöglicht wird, am Unterricht teilzunehmen. Spezielle Angebote wie Stipendien für Kinder aus ärmlichen Verhältnissen und die Ausbildung der Kreditnehmer*innen verfolgen einerseits entwicklungspolitische Ziele und bilden andererseits die Grundlage für eine bessere Zukunft.
Die bereits erwähnten Schulungen und Beratungsangebote sind ein weiterer Baustein mit positiver Wirkung. Neben wirtschaftlichen Themen gibt es auch Weiterbildungen zu Gesundheit und gesunder Ernährung. Weitergehende Informationen zum Thema finden Sie in der Studie „Mikrofinanzen in Entwicklungsländern“, die der SÜDWIND e. V. im Auftrag der GLS Bank erstellt hat.
[green_box] Hinweis: Dieser Text beschreibt die Hintergründe im allgemeinen. Wie der GLS AI – Mikrofinanzfonds arbeitet, das beschreiben wir hier und auf gls-fonds.de.[/green_box]
Fotos: (CC BY 2.0) von Department of Foreign Affairs and Trade / bangladesh microfinance // Hand in Hand International / Mageswari | Terracotta doll manufacturer | Kanchipuram, India // Trocaire / Microfinance Business // AusAID 2005; Fishing; Globalisation and Trade; Microfinance; Vietnam.
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