Wer Saatgut produziert, hat die Macht über unser Essen, denn Saatgut ist die Grundlage unserer Lebensmittel. Eine intensive Auseinandersetzung mit den Entwicklungen am globalen Markt lohnt sich also – eine Aufgabe, die die Saatgut-Tagung der Zukunftsstiftung Landwirtschaft jedes Jahr übernimmt. Ende Januar 2022 war es wieder soweit: In digitaler Form tauschten sich die Teilnehmenden über den wachsenden Öko-Saatgutmarkt in Deutschland aus und über ganz konkrete ökologische Züchtungsprojekte, die Sorten für den Ökolandbau entwickeln. Hier kommt unser spannender Einblick!
Anbieter: Immer größer und mächtiger
Mit der Verbreitung von Hybridsaatgut in den 1980er Jahren wurde Saatgut profitabel. Durch die Einführung von Gentechnik und neue Möglichkeiten, geistige Eigentumsrechte geltend zu machen, wurde Saatgut in Kombination mit Pestiziden zu einem lukrativen Geschäft. Marita Wiggerthale, Referentin für globale Agrarfragen bei Oxfam Deutschland, hat den Markt unter die Lupe genommen: Durch mehrere Fusionswellen reduzierte sich die große Bandbreite an Saatgut-Anbietern immer mehr. Seit dem Jahr 2018 sind es nur noch vier Unternehmen, die den Saatgut- und Pestizid-Markt weltweit maßgeblich bestimmen.
Ein Beispiel, was das für unser Lebensmittelangebot bedeutet: Das Unternehmen Bayer-Monsanto hat in Deutschland bei Möhren einen Marktanteil von 60 bis 70 Prozent, bei Lauch und roten Zwiebeln 90 bis 100 Prozent. Wiggerthale stuft die Konzentration auf dem Saatgut- und Pestizid-Markt daher als sehr hoch ein. Viele landwirtschaftliche Erzeuger*innen sind abhängig von dem Sorten-Angebot und müssen damit auch Preissteigerungen aufgrund mangelnder Alternativen hinnehmen.
Die Aktionäre und ihre Interessen
Die Preissteigerung hat aber auch einen weiteren Grund. Wiggerthale zeigt auf, dass große Investmentgesellschaften wie BlackRock vermehrt in globale Saatgut-Unternehmen investieren. Die Aktien dieser großen Unternehmen liegen zu 13 bis 27 Prozent in der Hand von Investmentgesellschaften. Die Aktionäre sind vor allen Dingen auf Profite aus und treiben damit die Preise für Saatgut in die Höhe. Der Gewinn geht an die Aktionäre und wird nicht in die Qualität der Sorten investiert.
Ganz anders läuft es zum Beispiel bei der Bingenheimer Saatgut AG. Petra Boie, Mitglied der Geschäftsführung, betont, dass die Bingenheimer Shareholder nicht auf Profit aus sind, sondern die ökologische Saatgutarbeit voranbringen wollen und Gewinne daher weitestgehend reinvestiert werden.
Von der Saat und den Sorten
Damit Saatgut vermarktet werden kann, müssen im ersten Schritt Sorten entwickelt werden. Konkrete Projekte aus der ökologischen Züchtung wurden auf der Tagung vorgestellt. Unter zertifiziert biologischen Bedingungen gehen aus diesen Züchtungen dann ökologische Sorten hervor.
Ökologisches Saatgut ist jedoch nicht gleich ökologisches Saatgut. Es muss bisher nämlich nicht aus ökologischer Züchtung stammen, sondern nur “ökologisch vermehrt” werden. Dies führt dazu, dass auch konventionelle Saatgut-Firmen ökologische Saat anbieten können. Womit wir wieder beim genauen Blick wären…
Ohne Daten kein Saatgut?
Im Gegenteil zu lokalen Netzwerken, die Saatgut auf dem Feld weiter vermehren und auf regionaler Ebene vermarkten, haben die Großunternehmen ein anderes Verständnis von Ernährungssicherheit. Ihre Vision ist die Kontrolle über die gesamte Wertschöpfungskette: von der Entwicklung des Saatguts, über die Landmaschine bis zum Logistik-Unternehmen, so die Einschätzung des Kanadiers Pat Mooney, Experte für Bio-, Nano- und Gentechnik und ihre Folgen.
Ein solches System basiert von Anfang bis Ende auf Datentransfer und einer digitalen Infrastruktur. Und es ist auf globale Lieferketten angewiesen. Die Notwendigkeit regionaler Strukturen schreiben sich sogar die großen Unternehmen auf die Fahnen, sagt Mooney. Sie wollen die lokalen Lieferketten mittels bester technologischer Infrastruktur effizient gestalten. Doch im Kern beruht diese Infrastruktur auf Informationstechnologie, die sich ebenfalls in den Händen weniger Großkonzerne befindet und deren technische Komponenten wiederum von globalen Lieferketten abhängig sind.
Krisenzeiten: Chance für lokale Strukturen
Lieferengpässe haben wir im vergangenen Jahr erlebt: Die Blockade des Suezkanals durch den Frachter „Ever Given“ und die Corona-Krise haben wichtige Wirtschaftszweige getroffen. Diese Ereignisse verunsicherten auch die Regierungen, die alle Hebel in Bewegung setzten, um die Versorgung von Bevölkerung und Wirtschaft sicherzustellen.
Pat Mooney macht uns Mut: In Krisenzeiten erlangen lokale Strukturen neue Relevanz, auch auf politischer Ebene. Er sieht die Chance, dass die Politik die Weichen zur Stärkung lokaler Wertschöpfungsketten stellt. Und er ruft dazu auf, sich auch international zu vernetzen und Saatgut und Sorten auszutauschen, um mit möglichst großer Pflanzenvielfalt dem fortschreitenden Klimawandel zu begegnen und für jede Region angepasste Sorten zu entwickeln.
Saatgut ist ein Kulturgut
Damit regionale Züchter-Netzwerke weiter ausgebaut werden können, sind wir alle gefragt, Verantwortung für das Kulturgut Saatgut zu übernehmen.
Was können wir tun?
Wir können mit Freunden und Bekannten über Saatgut sprechen.
Wir können in unserem Bioladen nach ökologisch gezüchteten Getreide-, Obst- und Gemüsesorten fragen und damit mehr Bewusstsein schaffen für die Notwendigkeit einer ökologischen Pflanzenzüchtung.
Wir können Saatgut aus ökologischer Züchtung bestellen und damit unseren Garten bzw. Balkon sowie unser Leben bereichern. Eine Auswahl von Bezugsquellen findet ihr hier.
Wir können die ökologische Pflanzenzüchtung und das Netzwerk aus ökologischen Saatgut-Züchtern mit einer Spende stärken. Nur dank zahlreicher Unterstützer ist es kontinuierlich gewachsen. Hier geht es zur Spende an den Saatgut-Fonds.
Mehr Infos
Wenn ihr euch für bestimmte Aspekte zum Thema Saatgut interessiert, könnt ihr euch die Vorträge der Saatgut-Tagung vom 29. Januar 2022 anhören: Sie sind auf der Webseite der Zukunftsstiftung Landwirtschaft abrufbar.
Es gibt auf unserem Blog noch viele weitere spannende Artikel zum Thema Saatgut!
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