Florian arbeitet in der GLS Bank und hat sich für den Protest im Garzweiler-Dorf Lützerath unbezahlten Urlaub genommen. Er erzählt uns in einem Telefonat, warum er nach Lützerath gereist ist, wie kritisch die Situation vor Ort für Bewohner*innen und Protestierende mittlerweile aussieht und wie Menschen unterstützen können.
Hallo Florian, wo genau bist du denn gerade?
Ich bin gerade in Lützerath, ein kleines Dorf direkt an der Kante vom Tagebau Garzweiler, eins von drei Tagebaugebieten hier im Rheinland. Lützerath soll spätestens im nächsten Frühjahr abgerissen werden. Wie auch sieben weitere Dörfer, wenn es nach RWE geht. Das alles, um noch mehr Braunkohle abzubaggern. Um die letzten Dörfer zu retten, hat sich über die vergangenen Monate aber ein relativ großer Protest entwickelt.
Wie groß ist Lützerath?
Lützerath war nie ein richtig großes Dorf. Hier waren ungefähr 20 bis 30 Häuser. Aber es ist ähnlich wie der Hambacher Forst zum Symbol geworden und steht sinnbildlich für alle Orte, die dem Erdboden gleichgemacht wurden und werden. Und das für eine Energieform, die Mensch und Umwelt massiv schadet. Mittlerweile wurden fast alle Häuser im Ort von RWE abgerissen worden. Was noch steht, ist ein alter Hof vom Eckardt.
Wer ist Eckardt?
Eckardt Heukamp ist ein Landwirt aus dem Ort, der auch noch in Lützerath lebt. Er weigert sich bis heute, sein Haus in Lützerath an RWE zu verkaufen. Wobei „Verkaufen“ nicht der richtige Begriff ist. Letztendlich sprechen wir hier von Enteignung. Eckardt lebt in vierter Generation auf dem Hof. RWE will vor Gericht bewirken, dass sein Haus und seine landwirtschaftlichen Flächen in den Besitz von RWE übergehen.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Wie sieht der Ort denn gerade aus?
Zu Eckards Hof gehören zwei weitere Gebäude, die wir hier vor Ort nutzen. Eins davon ist unsere Werkstatt. Dort lagern wir Baumaterial und Werkzeug und dann gibt´s noch ein Haus, in dem eine Wohngemeinschaft lebt. Die Leute sind nach Lützerath gezogen, um hier den Protest mit zu organisieren.
Dann stehen noch zwei bis drei Häuser, die bereits RWE gehören und von Security-Mitarbeiter*innen bewacht werden. Genauso, wie zwei landwirtschaftliche Hallen, die ehemals einem anderen Landwirt im Ort gehörten.
Das Zentrum ist aber eine einfache Wiese, die direkt bei Eckardt am Hof liegt: Da stehen Zelte und in die Bäume um die Wiese herum wurden Baumhäuser gebaut, bestimmt 15 Stück. Außerdem hat die KüFa, ein selbstorganisiertes Küchenkollektiv, hier ihre Zelte aufgeschlagen und versorgt uns dreimal täglich mit richtig leckerem veganem Essen. Hier kann sich auch jede*r zum Gemüseschnibbeln und Essenvorbereiten eintragen.
Das heißt, es gibt jetzt mittlerweile eine komplette Infrastruktur da?
Genau, wir haben hier Komposttoiletten, was richtig cool ist, das ist viel schöner als Dixies. Wir haben auch Waschbereiche mit Abpumpsystem, die in die Kanalisation führen. Duschen gibt´s auch, außerdem eine Fahrradwerkstadt und natürlich Fahrräder, die man sich ausleihen kann. Es gibt ein großes Zirkuszelt, dort finden Veranstaltungen, Workshops und Vorträge statt. Ansonsten wird den ganzen Tag gehämmert und gebastelt.
Kannst du einmal sagen, wer sind denn „Wir“, welche Bewegungen verbergen sich dahinter und wie viele Menschen?
Wir sind im Moment 200 bis 300 Leute, letztes Wochenende waren es knapp 1000 Menschen hier im Camp, bei der Demonstration mehr als 5000. Es gibt hier mehrere Bündnisse, zum Beispiel „Alle Dörfer bleiben“ das auch seit über einem Jahr die Mahnwache in Lützerath organisiert, wo Menschen sich ein Bild von der brisanten Situation machen können und Informationen erhalten. „Ende Gelände“ hat am letzten Sonntag im Oktober eine Aktion gemacht und versucht einen Kohlebagger zu blockieren. Menschen von Extinction Rebellion sind mit vor Ort und engagieren sich in der Community oder kommen zu den Wochenendaktionen. Dann gibt’s auch noch ein christliches Bündnis: „Kirche im Dorf lassen“. Das Camp ist aber zum größten Teil selbstorganisiert mit Camp AG, Toiletten AG, Küchen AG, Aktions AG – alles was es fürs Zusammenleben braucht. Greenpeace ist seit Mitte Oktober vor Ort mit zwei Containern und unterstützt auch das Camp, aber sind nicht in der Organisation mit drin. Auch Menschen von außerhalb des Camps bringen sich ein, spenden Lebensmittel, Werkzeuge oder bringen Baumaterial.
Jetzt gab es ja am Wochenende die Aktion, kannst du darüber noch was erzählen?
Es waren 1000 Menschen am Camp und 5000 bei der Demo. Rund 600 weitere Menschen von „Ende Gelände“ haben Bagger blockiert, indem sie zur Abbruchkante vorgedrungen sind. Verrückt war, dass daraufhin mehr Polizei vor Ort war als Aktivist*innen. Bemerkenswert, was aufgefahren wird, um so eine friedliche Protestaktion zu verhindern. Die Aktivisti wollen ja nichts kaputtmachen.
Beim Baggerbesetzen meinst du?
… ja genau. Es ist krass, wenn du da mehrere hundert Polizist*innen hast, mit Reiterstaffel und Spezialeinheiten. Aber es war auch ein super Gemeinschaftsgefühl. Denn es gab einen Schulterschluss zwischen den Leuten, die zur Demonstration gingen und denen, die einen Schritt weiter und in den zivilen Ungehorsam gegangen sind. Es braucht alle Formen des Protests und wir treten gemeinsam auf.
Du verbringst hier gerade unbezahlten Urlaub, um im Matsch zu campen – warum machst du das?
Das ist eine sehr besondere Gemeinschaft hier. Es ist einfach abgefahren, was die Leute auf die Beine stellen und für mich ist das auch ein Stück Urlaub von meiner sonstigen Arbeit in der GLS Bank. Auch, wenn das jetzt eine unbezahlte Freistellung ist. Für mich bedeutet das keinen Verzicht – diese Zeit ist mir wichtiger als das verpasste Gehalt und das will ich mir auch so beibehalten. Die Kohlekraftwerke in Deutschland sind sechs der zehn größten CO2 Schleudern in Europa, damit haben wir eine riesige Verantwortung. Europäisch und global müssen wir hier jetzt ein Zeichen setzen.
Die Braunkohle ist die dreckigste aller fossilen-Energien, die wir haben. Wir wissen das und wir fördern weiter, als wären wir noch im letzten Jahrhundert. Firmen reißen hier ganze Dörfer ab, während Menschen enteignet werden im Jahr 2021 – das ist doch absurd! Ich bin seit fünf Jahren in der Klimabewegung aktiv, war 2018 im Hambacher Forst und ich merke auch jetzt mit „Ende Gelände“ immer wieder: Mir ist es wichtig, mich als Bürger einzusetzen für eine Zukunft, in der ich leben möchte. Man muss ja gar nicht immer an die Kinder denken. Was in zehn oder 20 Jahren sein wird, betrifft auch unsere Zukunft. Es ist prägend, wenn man bei diesen Tagebauen war oder mal an der Abbruchkante steht. Es ist ein bleibendes Bild, abends in dieses riesige Loch zu blicken. 400 Meter tief geht´s da einfach runter – da stehen die größten Maschinen der Welt, diese Kohlebagger – das sind Monster. Du hast das Gefühl du bist in Mordor und da unten werden die Orcs produziert.
Welche Möglichkeiten gibt es zur Unterstützung, auch wenn ich nicht vor Ort sein kann?
Man kann an ein Bündnis wie „Alle Dörfer bleiben“ oder „Ende Gelände“ spenden. Einmal zu einem Dorfspaziergang am Sonntag zu kommen, kann ein Familienausflug sein. Die Führungen macht Michael, ein ehemaliger Waldführer, der seit mehr als acht Jahren solche Wanderungen anbietet. Erst im Hambacher Forst und jetzt hier in Lützerath. Er zeigt den zerstörten Ort und die Formen des Widerstands im Dorf. Kann ich nur empfehlen.
Es gib zum Beispiel auch Kalender von „Lützerath bleibt“, die bieten sich super als Geschenk an. Auch mal im Familienkreis über solche Themen sprechen ist eine Form der Unterstützung.
Von wann bis wann warst oder bist du da?
Seit dem 28. Oktober bin ich jetzt hier. Ich werde in den nächsten Tagen wieder mit meinem Fahrrad abreisen – mein Zelt ist leider undicht und hier hat es in den letzten Tagen viel geregnet.
Danke für deine Zeit und komm´ gesund wieder nach Hause!
[Das Interview wurde am 2. November geführt. Alle weiteren Entwicklungen in und um Lützerath könnt ihr über den Lützi-Ticker verfolgen.]
Hat Euch dieser Artikel gefallen? Wie seht Ihr dieses Vorgehen in Lützerath? Schreibt es uns gern in die Kommentare. Weitere spannende Artikel zum Thema Energie findet Ihr hier im Blog.
Aus dem Bankspiegel:
Schreibe einen Kommentar