In dieser Blogreihe bringen wir im Kontext der Bundestagswahl Positionen zu Gesellschaft und Wirtschaft in die Diskussion. Die politischen Forderungen der GLS Bank eG finden Sie hier. Diese Woche schreibt Prof. Niko Paech über „die Illusion des grünen Wachstums“.
Klimaschutz gegen den Strich gebürstet von Niko Paech
Der folgenreichste Irrtum, in den sich die menschliche Zivilisation je verrannt hat, entstammt keineswegs grauer, von Aberglauben und Unaufgeklärtheit geprägter Vorzeit. Er ist vielmehr eine Kopfgeburt der Moderne, zumal besinnungsloser Fortschrittgläubigkeit: durch Wissensvermehrung, Innovationskraft und technologische Perfektion, so wird angenommen, sei es möglich, aus dem materiellen Nichts einen fortwährend wachsenden Wohlstand zu erschaffen, der wundersamerweise selbst alles andere als immateriell ist.
Längst grassiert eine Neuauflage dieser Utopie, nämlich in Gestalt eines „grünen“ Wachstums, als dessen prominentestes Beispiel die sog. „Energiewende“ firmiert. Klimaschutz hat sich längst zur Schicksalsfrage emporgeschraubt und die aktuelle Unwetterkatastrophe liefert eine weitere Zäsur. Urplötzlich spielt sich vor der eigenen Haustür ab, was bislang aus sicherer Entfernung im globalen Süden beobachtet wurde, nämlich eine nahezu schicksalhaft gewordene Verletzlichkeit aller lebenswichtigen Strukturen. Im hitzigen Gezerre um Deutungshoheit keimt die Hoffnung auf, ein lang ersehnter politischer Ruck möge nun der Energiewende zum Durchmarsch verhelfen.
Vermittels erneuerbarer Energieträger soll die Komfortzone mit einem nunmehr ökologisch einwandfreien Antrieb ausgestattet werden, damit Wohlstandsschutz und Klimaschutz zu einer technologischen Allianz verschmelzen. Ganz gleich, ob man Merkel, von der Leyen, Baerbock, Fridays for Future oder den Bundesverband der Deutschen Industrie fragt – bekräftigt wird unisono, dass alles einzuebnen sei, was der Windkraft, Solarenergie, Elektromobilität, Wasserstofftechnologie, Power-to-Gas, LED-Beleuchtung, Passivhausbauweise etc. entgegenstehen könnte. Gestritten wird nur über die Geschwindigkeit und Finanzierung. Selbstredend erweist sich eine derart technizistische Klimaschutzstrategie als profitabel und konform mit den Wünschen der Wählermehrheit.
Deren Forderungen an die Politik könnten schizophrener kaum sein. Jeder ökologisch ruinöse Luxus, ohne den niemand verhungern, erfrieren oder in der Erfüllung seiner Grundbedürfnisse eingeschränkt würde, verzeichnet unaufhörlich neue Nachfragerekorde: Überflüssigste Konsumgüter, Kreuzfahren, Urlaubsflüge, internationaler Schüler-, Praktikanten und Studentenaustausch, Party- und Sky-Tourismus, rücksichtslose Digitalisierung aller Lebensbereiche selbst im Kindesalter, Einwegverpackungen, aberwitzigster Service-Konsum und vor allem immer üppigerer und edel gelegener Wohnraum. Zudem werden fortlaufend neuerdings unzureichende Infrastrukturen in Bildung, Wissenschaft, Kunst, Verkehr und Kommunikation ausgemacht, die schleunigst aufzublähen sind – insgesamt mit dem Resultat, Heerscharen konsum- und technikabhängiger Kreaturen zu erschaffen, die zu keiner eigenständigen Versorgungsleistung mehr befähigt sind: Flugtickets, Tablets, Instagram und Plastikmüll kann man nicht essen.
Selbst wenn die deutsche Energiewende, wenigstens gemessen an ihren eigenen Maßstäben, nämlich lediglich das Elektrizitätssystem zu transformieren, auch nur annähernd funktionsfähig wäre, käme dies noch immer dem Versuch gleich, ein Fass ohne Boden füllen zu wollen, zudem ein solches, dessen Öffnung immer weiter aufreißt, während sein Zufluss an physische Grenzen gerät. Das Zauberwort „erneuerbar“ trübt jeden vernunftgeleiteten Blick auf die Limitationen der damit etikettierten Energieträger. Die Gleichung „erneuerbar = unbegrenzt = ökologisch“ ist schlicht unzutreffend. Beispielsweise Wind ist eine knappe Ressource, die innerhalb eines bestimmten Zeitabschnitts und geographischen Raumes diversen Verwendungskonkurrenzen unterliegt. Je geringer der Abstand zwischen Windkraftanlagen und je größer diese sind, desto geringer ist die durchschnittliche Ausbeute, weil die von einer Anlage abgeschöpfte Bewegungsenergie für die anderen „verbraucht“ ist. Weiterhin ist die von den Rotoren abgeschöpfte Windenergie nicht mehr für die Entstehung von Regenwolken verfügbar. Durch diesen und weitere physische Effekte beeinflussen Windkraftanlagen das Klima, wie neue Studien aus den USA zeigen: Sie können zu signifikanten Temperaturerhöhungen führen.
[green_box]Der Blogbeitrag von Niko Paech hat zu zahlreichen Reaktionen geführt. Super, denn um die Diskussion geht es uns ja! Eure Kritik konzentriert sich auf die Aussagen über Windräder. Hier sieht die Wissenschaft zwar lokale Einflüsse, mehr aber auch nicht. Thomas Feuerle von der TU Braunschweig sagt zum Beispiel: „Aus meiner Sicht gibt es keine direkten Auswirkungen auf Wetter und Klima.“ Wir finanzieren den Ausbau der Erneuerbaren, Infos dazu findet ihr hier. Wie uns die Transformation gelingen kann, wollen wir weiter mit Euch diskutieren und hier im Blog auf Energiewende & Co. eingehen.
Weitere Ausführungen dazu aus der Redaktion (unten).[/green_box]
Die Energiedichte von Wind wurde bislang stark überschätzt. Die dementsprechend hohen Flächenverbräuche lassen erstens eine weitere physische Begrenzung offenkundig werden, bedingen zweitens immense Schäden für Natur und Landschaft – ganz zu schweigen von einem Szenario, in dem der motorisierte Individualverkehr und die Beheizung von Wohnraum elektrifiziert werden – und tragen drittens zum mittlerweile katastrophalen Verlust unverdichteter Böden bei, die als hydrologischer Puffer entfallen, wie das aktuelle Hochwasserdrama zeigt.
Damit der Veränderungsdruck, den die Überschwemmungskatastrophe erzeugt, nicht eine gescheiterte oder sogar kontraproduktive Klimaschutzstrategie befördert, bedarf es einer anderen Ausgangsüberlegung: Wenn der Planet erstens physisch begrenzt ist, zweitens industrieller Wohlstand nicht von ökologischen Schäden entkoppelt werden kann, drittens die irdischen Lebensgrundlagen dauerhalft erhalten bleiben sollen und viertens globale Gerechtigkeit herrschen soll, muss eine Obergrenze für den von einem einzelnen Individuum beanspruchen materiellen Wohlstand existieren. Demnach stünde jeder Person ein jährliches CO2-Kontingent von nicht mehr als einer Tonne zu, um das 1,5-Grad-Klimaschutzziel bei 7,7 Milliarden Menschen zu erreichen. In Deutschland liegt dieser Wert bei 12 Tonnen.
Lösungswege
Unabdingbar wäre ein drastisch verkleinertes Industriesystem, basierend auf einer 20-Stunden-Woche zwecks Erhalts von Vollbeschäftigung, erweitert um eine Regional- sowie Subsistenzökonomie. Die freigestellten 20 Stunden könnten für handwerkliche Ergänzungsleistungen und kooperative Formen der Selbstversorgung verwendet werden. Dazu zählen die Eigenproduktion, Gemeinschaftsnutzung und Nutzungsdauerverlängerung. Wenn Konsumgüter doppelt so lange und/oder von mehreren Personen genutzt werden, sinkt sowohl der Bedarf an Neuproduktion als auch an Einkommen, um eine angemessene Versorgung zu finanzieren. Erste Schritte bilden offene Werkstätten, Reparatur-Cafés, kommunale Ressourcenzentren sowie nachbarschaftliche Netzwerke des Leistungs- und Erfahrungstausches. Kreative und kollaborative Eigenproduktion reicht von der Wiederverwertung ausrangierter Gegenstände – z.B. zwei kaputte Computer ausschlachten, um daraus ein funktionsfähiges Gerät zu basteln – über selbst gefertigte Holz- oder Metallobjekte bis zur semi-professionellen Marke „Eigenbau“.
Im Nahrungsmittelbereich erweisen sich Hausgärten, Dachgärten, Gemeinschaftsgärten und die Solidarische Landwirtschaft als Wegweiser einer partiellen De-Industrialisierung. Derartige Subsistenzpraktiken erfordern drei Ressourcen: Erstens handwerkliches Improvisationsgeschick, künstlerische und substanzielle Kompetenzen. Zweitens eigene Zeitressourcen, denn manuelle Verrichtungen, die energie- und kapitalintensive Industrieproduktion ersetzen, sind entsprechend arbeitsintensiv. Drittens sind soziale Netze wichtig, damit sich verschiedene Neigungen und Talente synergetisch ergänzen können. Eine für das 21. Jahrhundert taugliche Sozialpolitik kann sich nicht mehr allein auf Transferleistungen oder eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen beschränken; sie müsste vielmehr ökonomische Autonomie im Sinne von „Geldunabhängigkeit“ und somit Krisenrobustheit anstreben. Hierzu bedarf es eines Bildungssystems, das den Akademisierungswahn zugunsten lebensdienlicher Befähigungen überwindet.
Dringend nötig wären ein Bodenversiegelungsmoratorium und Rückbauprogramme für Industrieareale, Autobahnen, Parkplätze, Flughäfen und Mastställe, um diese zu entsiegeln und zu renaturieren. Auf stillgelegten Autobahnen und Flughäfen könnten Windkraft- und auf Hausdächern Photovoltaikanlagen installiert werden, um eine (bescheidenere) Energiewende ohne Natur- und Landschaftszerstörung zu ermöglichen. Flüssen müsste mehr Raum zugestanden werden, was nicht nur dem Hochwasserschutz, sondern der Biodiversität zugutekäme.
Der Flugverkehr wäre drastisch einzuschränken, der Kreuzfahrtsektor abzuwickeln, Teile der Automobilindustrie wären zu konvertieren. Autofreie Sonntage und Städte sind ein Gebot der Stunde. Lastenfahrräder, Carsharing und der ÖPV bieten ungenutzte Potenziale. Die kulturellen und landschaftlichen Schönheiten innerhalb eines postfossilen Radius zu erkunden, hilft gegen Bewegungsmangel, stärkt die hiesige Wirtschaft und motiviert zum Schutz der heimischen Natur.
Weitere Beiträge von Prof. Niko Paech und zur pluralen Ökonomie:
• Postwachstumsökonomie.de
• Vortrag Hochschule Augsburg: Prof. Dr. Niko Paech: Wege zur Postwachstumsökonomie
• Netzwerk-Plurale-Ökonomie
• Exploring Economics
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Video: Weltklimavertrag – Quo vadis Deutschland?
Podiumsdiskussion vom 28. April 2021, mit Prof. Dr. Volker Quaschning
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Aus der Redaktion:
Der Blogbeitrag von Niko Paech hat zu zahlreichen Reaktionen auf unseren Kanälen geführt. Zustimmung und Kritik haben uns erreicht – für die Diskussion und alle Beiträge von Euch bedanken wir uns! Es ist doch positiv, wenn wir um die richtige Entwicklung streiten und uns alle Meinungen anhören.
Mit der vielkritisierten Behauptung Paechs, die von den Rotoren abgeschöpfte Windenergie sei nicht mehr für die Entstehung von Regenwolken verfügbar, haben wir uns intensiv beschäftigt. Hier einige unserer Rechercheergebnisse:
- Dr. Detlev Heinemann, Meteorologe: „Dass das regionale Klima damit beeinflusst wird, ist unwahrscheinlich.“
- Uwe Zimmermann, Klima-Büro des Deutschen Wetterdienstes: „Das lässt sich nicht belegen, denn es gibt keine wissenschaftliche Abhandlung dazu. Zumal ja die meisten Wolken weit außer der Reichweite der bis maximal 200 Meter hohen Windräder liegen.“
- Thomas Feuerle, TU Braunschweig: „Aus meiner Sicht gibt es keine direkten Auswirkungen auf Wetter und Klima.“
- Marc Salzmann, Meteorologe: „Die Änderungen waren messbar, aber nicht so relevant, dass sich das Wetter geändert hätte.“
Der Tenor der Aussagen scheint einhellig: Es mag Auswirkungen geben, diese unterstützen – unserer Einschätzung nach – aber weder die These der Verhinderung von Regenwolken, noch die des Beitrags zur Temperaturerhöhung.
Die GLS Bank hat übrigens bereits 1988 eines der ersten Windräder Deutschlands finanziert. Wir stehen absolut hinter dem Ausbau erneuerbarer Energien und haben uns 100 % Erneuerbare Energien zum Ziel gesetzt (Link). Die GLS Bank arbeitet zudem seit 20 Jahren mit der ABO Wind AG zusammen, um die Energiewende voranzubringen und die Erderhitzung abzumildern. (Link)
Das Klima ist ein komplexes Thema. Deshalb Danke für die inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem wichtigen und spannenden Aspekt!
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