Weltrettung: Die Welt zu retten, ist eine komplexe Angelegenheit. Was kann ich persönlich beitragen? Was müssen Politik und Wirtschaft tun? Thomas Friemel, Gründer des Wirtschaftsmagazins enorm und Kommunikationsexperte, stellt Fragen und gibt Antworten.
Von Thomas Friemel
Unverpackt einkaufen, vegan essen, Upcycling, Urban Gardening, Mikrolandwirtschaft: Was sind die wirklichen Hebel?
Nichts davon. Ob wir unverpackt einkaufen, auf Plastik und Fleisch verzichten, Mitglied einer solidarischen Landwirtschaft werden, aufs Fliegen und sogar aufs Auto verzichten — allein hat das natürlich so gut wie keine direkte Auswirkung aufs Weltklima. Selbst wenn sich ein paar Millionen Menschen so umweltbewusst verhalten würden, wären die Änderungen nur marginal. Trotzdem werden Gegner der Klimakrise oft gefragt, was sie persönlich gegen die Klimakrise tun. Haben Sie schon einmal gehört, dass etwa Gegner der Arbeitslosigkeit gefragt wurden, was sie persönlich gegen die Arbeitslosigkeit tun? Solche Fragen sind also in erster Linie Ablenkungsmanöver.
Kann durch individuelles Handeln überhaupt etwas bewirkt werden?
Natürlich, auf einer übergeordneten Ebene. Es ist wichtig, dass jede*r Einzelne von uns entsprechende Schritte unter nimmt. Der Sozialpsychologe Prof. Harald Welzer geht davon aus, dass es drei bis fünf Prozent einer Gesellschaft braucht, damit „ein System kippt“ — denn der Mensch folgt Vorbildern. Außerdem üben wir mit unserem Handeln Druck auf Wirtschaft und Politik aus. Durch ein — auch in den Medien — sichtbares Anders-Verhalten von Konsument*innen und Wähler*innen verändert sich auch das Gebaren jener Akteure, die die Hebel für gesellschaftliche Change-Prozesse in den Händen halten.
Brauchen wir nicht ökonomische Anreize, und wenn ja, wo?
Grundsätzlich sagt es Prof. Franz Josef Radermacher, Verfechter der ökosozialen Marktwirtschaft und der Global Marshall Plan Initiative, schon richtig: „Hat der Markt vernünftige Rahmenbedingungen, produziert er vernünftige Ergebnisse. Ist der Markt frei gesteuert, dann ist er ein Bonanza-System zur Plünderung. Es geht darum, dem Markt die richtigen Anreize und Vorgaben zu machen, sodass das Eigeninteresse mit dem Gesamtwohl zusammengeht.“ Was er damit meint, erleben wir derzeit in der Frage des CO2-Preises: Wenn man die Umwelt schützen will, dann muss es sehr teuer werden, sie zu zerstören; wer dagegen im Einklang mit der Natur wirtschaftet, wird belohnt. Das leistet das im September vorgelegte Klimapaket der Bundesregierung nach Expertenmeinung jedoch nicht. „Ich bin entsetzt ob der Tatsache, dass da so gut wie gar nichts beschlossen wurde“, so etwa Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum Kiel. Die Angst vor den Wähler*innen hätte ein wirksames Paket mit einem entsprechenden CO2-Preis verhindert.
Wie können wir die Rahmenbedingungen wirksam ändern?
Die Wissenschaftlerin Luise Tremel geht davon aus, dass eine gesellschaftliche Transformation nur dann gelingt, wenn sie es durchs „Nadelöhr der Politik“ schafft. Derzeit hat man den Eindruck, dass die Menschen im Land — was die ökosoziale Transformation angeht — schon weiter sind als die Politik. Nach dem Tremel‘schen Modell folgt dieser Mobilisierungsphase die Phase der politischen Regulierung. Viele der maßgeblichen Themen der Nachhaltigkeitsszene liegen derzeit auf dem Kabinetttisch — wer sie mitgestalten möchte, muss Verantwortung ergreifen: in Parteien, in den Industrie- und Handelskammern, in Berufsverbänden und NGOs. Nur wer sich einmischt, kann Rahmenbedingungen gestalten. Wissenschaftler sind sich einig: Wir sollten uns lieber politisch engagieren, als uns an unserem persönlichen CO2-Fußabdruck abzuarbeiten
Wäre ein grüner Diktator die Lösung?
„Menschen handeln nicht auf der Grundlage von rationalökonomischen Kalkülen und Einsichten, sondern sie handeln auf Grundlage von Beziehungen und kulturellen Prägungen, das heißt von Geschichte“, sagt etwa Welzer. Heißt: Ein verordneter ökosozialer Handlungsrahmen könnte zu massiven Gegenbewegungen führen. Welzer glaubt: „Wir überschätzen die Wirkung von Vernunft, von wunderbaren Modellen, von Einsicht. Beim Menschen sind Einstellung und Handlung zwei völlig verschiedene Angelegenheiten.“ Der Philosoph Peter Sloterdijk macht einen Unterschied zwischen einer sogenannten Modellproblematik und einer gefühlten Problematik. „Da die Menschen in ihren gefühlten Problemwelten leben, sind sie schwer erreichbar für Vorschläge, die aus einer anderen Perspektive erfolgen.“ Selbst wenn die Perspektiven das eigene Überleben sichern sollten. Darum kommen wir nicht umhin, mit den Werkzeugen der Demokratie — Dialog, Überzeugungsarbeit, Mehrheiten schaffen — für eine bessere Umweltpolitik zur Weltrettung zu streiten. Auch wenn es länger dauert.
Durch Bäumepflanzen kann jedes Unternehmen grün erscheinen. Ist das gut?
Weltrettung durch Greenwashing ist mittlerweile ein alter Hut und funktioniert bei kritischen Kund*innen längst nicht mehr: Ein Unternehmen stellt einen Scheck für den Kindergarten nebenan aus, die Lokalpresse berichtet — fertig ist das soziale Engagement. Gerade in Zeiten des Klimawandels brüsten sich nicht wenige, den Regenwald zu retten. Einige grüne Start-ups wie der Mobile-Banking-Anbieter Tomorrow schieben in ihrer Kommunikation ihre Baumaktionen so weit nach vorne, dass das gesamte Unternehmen als nachhaltig erscheint. Und damit die kritischen Punkte überlagert werden. Hinter Tomorrow etwa steht mit der solarisBank ein konventionelles Unternehmen. Die Guthaben der Kund*innen werden weitgehend in Anleihen einer Landesförderbank angelegt, immerhin nicht in Rüstung und andere kontroverse Branchen.
Die Nachhaltigkeitsplattform Utopia kommt zu dem Schluss: „So wirkt Tomorrow derzeit noch wie ein grüner Überzug für ein konventionelles Konto.“ Die Frage ist, ob solche Unternehmen es beim Bäumepflanzen belassen oder ob sie allmählich auch ihr Kerngeschäft nachhaltig gestalten. Uns als Kund*innen bleiben einstweilen das genaue Hinsehen und das Abwägen solcher Angebote.
Warum ist Verzicht so schwierig für uns, wenn es um die Weltrettung geht?
Soziologisch betrachtet ist die kulturelle DNA in Deutschland seit den 68ern zunehmend von Freiheiten geprägt, die jetzt teilweise von der Umweltbewegung infrage gestellt werden. Das Credo der Klimaaktivisten ist ganz klar: Wir müssen verzichten — auf zu viel Fleisch, auf Fernreisen, aufs Auto. „Das ist ein gravierender Eingriff in unsere bisherige Freiheit und unser Konsumverhalten. Das kann als Bedrohung wahrgenommen werden und Abwehrreaktionen hervorrufen“, sagt etwa die Soziologin Prof. Anita Engels von der Universität Hamburg. Die Forderungen nach Verzicht widersprechen nicht nur dem liberalen Zeitgeist in unserer Gesellschaft, sondern führen auch insbesondere bei denjenigen zum Aufschrei, die sich doch diese Annehmlichkeiten in den vergangenen Jahrzehnten hart erkämpft haben. Viele fordern daher, den Verzicht ökonomisch abzufedern und ihn auch als Chance für die Wirtschaft zu ergreifen. Andere werden nicht müde darauf hinzuweisen, dass ihrer Erfahrung nach im Verzicht das wahre Leben und der wahre Genuss zu finden seien. In den 1990er-Jahren wären die notwendigen Einschnitte tatsächlich noch nicht so hart gewesen (siehe Seite 33). Wenn wir allerdings schnell von derzeit elf Tonnen CO2-Emissionen pro Kopf in Deutschland pro Jahr auf nur noch eine Tonne kommen wollen — was dem 1,5-Grad-Ziel entspricht —, wird es ohne persönliche Abstriche kaum gehen.
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[green_box]Ein Artikel aus dem GLS Kundenmagazin Bankspiegel zum Thema Weltrettung. Diesen und viele andere spannenden Artikel finden Sie im Blog. Alle Ausgaben des GLS Bankspiegel als PDF finden Sie unter: https://www.gls.de/bankspiegel/. [/green_box]
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