Mit einem Green New Deal wird die Hoffnung auf eine sozial-ökologische Transformation verbunden, die keine radikale Abkehr von unserer bisherigen Lebensweise verlangt. Genau deshalb ist er brandgefährlich.
Ein Gastbeitrag aus dem agora42 Magazin von Frank Augustin.
Wirtschaftswachstum ist heute die mit Abstand größte Gefahr für Leib und Leben. Man muss es schnellstmöglich stoppen, koste es, was es wolle. Der Preis wird in jedem Fall geringer sein als jener, der bei einem Weiter-so zu zahlen wäre. Denn die ökologischen und sozialen Schäden, welche durch die Ermöglichung wirtschaftlichen Wachstums angerichtet werden, sind schon heute immens und die Umweltkatastrophen und Kriege (um Ressourcen, um Nahrung, um Mitsprache), die weiteres Wachstum zur Folge hätte, würden alles bisher Bekannte in den Schatten stellen.
Die Katastrophenzeit hat längst begonnen, sie wird jedes Jahr mehr Menschenleben fordern. Und wir? Stehen herum wie versteinert. Können nicht glauben, was da passiert. Fühlen uns wie im falschen Film.
Warum handeln wir nicht? Weil wir noch hoffen. Auf ein Wunder. Und dieses Wunder trägt den Namen „Green New Deal“. Sprich: Statt dem zerstörerischen Wachstum den Kampf anzusagen, lässt man es weiter frei herumlaufen, versucht es zu ignorieren oder zu beschwichtigen, nimmt es achselzuckend in Kauf oder hilft ihm gar auf die Beine, wenn es bei seinem Amoklauf ins Stolpern geraten ist.
Gott & Kapital
Wirtschaftswachstum steht im Zentrum eines modernen Glaubenssystems, das gemeinhin „Kapitalismus“ genannt wird und als demokratisch salonfähig gilt. Das sollte uns erstaunen, denn dieses System widerspricht allen Prinzipien und Werten der Demokratie. Kapital ist nicht bloß irgendein Mittel zum produktiven Zweck, nichts weltanschaulich Neutrales, ja nicht einmal etwas originär Wirtschaftliches, sondern „vergöttlichtes Geld“, dem zugeschrieben wird, irdisches Heil – ewiges Wachstum, paradiesische Zustände durch unaufhaltsam steigenden materiellen Wohlstand und technischen Fortschritt – zu bringen. Längst hat sich dieses Kapital auch eine eigene Sphäre – jene der „Finanzen“ – geschaffen, die im Vergleich zur Realwirtschaft riesenhaft angewachsen ist. Die in dieser Sphäre gehandelten „Waren“ sind nicht etwa Güter wie Weizen oder Autos, sondern eigentlich nur Preise – sprich Derivate wie z.B. Futures, Optionen, Zertifikate, Swaps oder Aktienanleihen. Das Weltbruttosozialprodukt beträgt im Vergleich zum auf – je nach Schätzung – zwischen 600 und 1.200 Billionen Dollar taxierten Derivatemarkt lächerliche 80 Billionen Dollar.
Güter oder menschliche Bedürfnisse sind also im Kapitalismus sekundär. Es geht um Höheres, um Unbedingtes, Göttliches. Das war auch früher schon so, doch haben erst die neueren Entwicklungen auf den Finanzmärkten den Beweis dafür erbracht. Hier und heute gilt die reine Lehre: Geld schafft Geld, befreit von der schmutzigen und widersprüchlichen materiellen Realität. In den Worten des Kulturwissenschaftlers Joseph Vogl: „Die Bewegung des Kapitals erscheint (…) als ein sich selbst generierendes Leben, das seine sozialen Existenzbedingungen seiner eigenen Logik unterwirft.“ Und die Realwirtschaft, nurmehr als Vorwand für spekulative Geschäfte missbraucht, spielt naiv-untertänig mit. Widerstand? Wie bitte? Das ist doch was Politisches!
Halbe Demokratie
Es ist bitter, aber man hat sich nur zur Hälfte von voraufklärerischem Gedankengut gelöst; mit einem Bein steht man noch im Aberglauben. Dabei geht es gar nicht darum, Glauben zu kritisieren. Längst sollte klar sein: Wer an „höhere“ Prinzipien oder Mächte glaubt, dessen Glaube ist zu schwach – denn er glaubt nicht genug an die Menschen. Er zweifelt daran, dass sie das Leben aus eigener Kraft sinnvoll gestalten können. Damit zweifelt er/sie nicht zuletzt an sich selbst. Die benötigte Hilfestellung wird manchmal „Gott“ genannt – oder eben „Kapital“, „Märkte“, „Wachstum“, „technischer Fortschritt“.
Entsprechend haben wir seit dem Zweiten Weltkrieg nur in einer halben Demokratie gelebt. Das wussten oder ahnten viele – am besten wohl die Politiker*innen der CDU/CSU, einer Partei, die schon durch ihren Namen zu verstehen gibt, dass man an der Befähigung der Menschen zu politischer Mündigkeit zweifelt: Demokratie, na klar, ist ne gute Sache, aber ohne Hilfestellung „von oben“ wird das nichts. Korrekt wäre also „Kapitalistisch Demokratische Union“, denn unser moderner Gott offenbart sich ja durch das auf quasireligiösen Prinzipien beruhende Wirtschaftssystem sowie einer naiv-gläubigen Vorstellung von „Märkten“, auf denen diese Prinzipien walten. Man denke an den berühmt-berüchtigten Satz von Angela Merkel: „Wir leben ja in einer Demokratie und sind auch froh darüber. Das ist eine parlamentarische Demokratie. Deshalb ist das Budgetrecht ein Kernrecht des Parlaments. Insofern werden wir Wege finden, die parlamentarische Mitbestimmung so zu gestalten, dass sie trotzdem auch marktkonform ist, also dass sich auf den Märkten die entsprechenden Signale ergeben.“ Das entspricht der heute gängigen Vorstellung von Demokratie: Halb Demokratie, halb Götzendienst. Dabei sollte Demokratie bedeuten, Menschen stark zu machen – nicht, sie in ihrer Schwäche zu bestärken.
Hoffnung? Nein, danke!
Es wäre jedoch verfehlt, nur die CDU/CSU an den Pranger zu stellen. Der Blick in die politische Landschaft Deutschlands ist erschreckend: Keine politisch relevante Partei spricht sich entschlossen gegen Wirtschaftswachstum aus – keine dieser Parteien dürfte sich folglich demokratisch nennen.
Doch auch starken politischen Willen zur Durchsetzung demokratischer Werte vorausgesetzt, stehen uns 15, 20 schwierige Jahre bevor. Allzu lange und allzu unreflektiert hat man sich quasireligiösen Vorstellungen hingegeben. Nicht nur die gesellschaftlichen Strukturen, sondern auch das Selbstverständnis der Menschen beruhen auf dem modernen Aberglauben; groß ist überdies noch die Hoffnung auf die Lösung aller Probleme durch technischen Fortschritt, die eng mit der kapitalistischen Religion verbunden ist. Deshalb ist es naiv zu meinen, der Ausstieg aus dem Wachstum könne irgendwie intelligent-sozial-kontrolliert erfolgen, kurz: smart. Es ist naiv zu meinen, eine vernünftigere Form des Wirtschaftens, die keine oder weitaus weniger schädliche Folgen für Mensch und Natur hat, könne quasi aus dem laufenden Betrieb heraus etabliert werden. Denn erstens würde man sich mit seinem Vorhaben gegen einen großen Teil, zunächst wohl die Mehrheit der Bevölkerung stellen, also gegen sehr viele tief religiöse und auch sehr viele sehr reiche und sehr einflussreiche Menschen. Weil deren Selbstbild und Lebenssinn am Kapitalismus hängen, müssten sie ihr ganzes Leben infrage stellen, wenn sie einem solchen radikalen Wandel von Wirtschaftsreligion zu ideologiefreier Wirtschaft zustimmen würden.
Zweitens implodiert das Wirtschaftssystem ohne Wirtschaftswachstum – und zwar grottendoof-asozial-chaotisch. Sobald Gewinne ausbleiben, investieren die Unternehmen nicht mehr und ohne Investitionen kommt man in eine unkontrollierbare Abwärtsspirale (schließlich stellen die Investitionen der einen die Aufträge einer anderen Firma dar). In diesen Abwärtsstrudel werden selbstverständlich auch solide oder nachhaltig wirtschaftende oder hoch innovative Unternehmen gerissen, denn es gibt auch bei ihnen keine relevante Nachfrage mehr. Natürlich werden in einer solchen Krise kaum mehr Kredite vergeben – dafür gehen die Banken pleite, da niemand mehr sein Darlehen abzahlen kann und die Leute ihre Konten räumen. Und da zudem die Steuereinnahmen einbrechen, fallen nicht nur staatliche Subventionen weg, sondern auch die Gehälter der Staatsangestellten. Die öffentliche Infrastruktur? Nach kurzer Zeit futsch. EZB? Längst wirkungslos. Lieferketten? Zerlegt. Arbeitslosigkeit? Der Normalzustand. Und dass sich das Ganze im globalen Maßstab abspielen wird, bedarf angesichts der Vernetztheit heutiger Wirtschaft keiner weiteren Erläuterung.
Man versteht also gut, warum viele auf einen Green New Deal und mithin weiteres Wirtschaftswachstum setzen. Sie hoffen, ohne schwere Krise, ohne gesellschaftliche Konflikte und ohne radikale Veränderungen davonzukommen. Dies verhindert jedoch, dass wir die alten Strukturen und Gewohnheiten über Bord werfen und hält uns auf Katastrophen-Kurs.
Abschied von der Angst
Ich plädiere deshalb dafür, den Zusammenbruch der Weltwirtschaft nicht länger zu verhindern oder wie ein dystopisches Zukunftsszenario zu behandeln. Denn dieser Zusammenbruch ist bereits gewusste und gefühlte, nur eben noch nicht vollständig eingetretene Realität. Ich plädiere dafür, ihn zwar durchaus als die Katastrophe zu sehen, die er in vielerlei Hinsicht ist, aber als notwendige Katastrophe und als notwendige Bedingung für eine lebenswerte Zukunft. Abwenden können wir einen Crash ohnehin nicht, sondern uns nur zwischen einer früheren oder späteren ökonomischen Katastrophe entscheiden. Denn die (spätere) ökologische Katastrophe wäre ja gleichermaßen eine ökonomische: Ohne wichtige Ressourcen und in einer zunehmend lebensfeindlichen Umwelt sowie konfrontiert mit einer stark schrumpfenden Weltbevölkerung ist an Wirtschaftswachstum nicht zu denken.
Man sollte auch bedenken, dass es in den letzten Jahrzehnten nur zwei Mal zu einer signifikanten Verringerung des CO2-Ausstoßes gekommen ist, nämlich im Krisenjahr 2009 und im Corona-Jahr 2020. Ist also die einzige Möglichkeit, die Klimakatastrophe noch abzuwenden, nicht gerade das, was man verzweifelt zu verhindern sucht: der massive Rückgang von Produktion und Konsum? Warum die Vergiftung und Vermüllung großer Teile der Erde noch weitertreiben, wenn eh Schicht im Schacht ist? Warum so viele (junge) Leute in eine Zukunft peitschen, die sie gar nicht haben, wenn es weitergeht wie bisher? Warum so viel ehrlichen Idealismus in sinnlosen Kämpfen für einen Green New Deal und damit die Erhaltung des unhaltbaren Status quo verheizen?
Jetzt geht es darum, den Zusammenbruch des Alten zu akzeptieren und zu meistern. Das ist nicht nur Arbeit am Negativen, sondern bedeutet auch die Befreiung von sinnlosen Routinen, von unwürdiger Anbiederung an scheinbar Alternativloses, von Hektik und Stress. Jetzt ist Kreativität gefragt – nicht um des Profits, sondern um des Überlebens und des guten Lebens willen. Im Fokus muss dabei selbstverständlich die Gewährleistung einer Grundversorgung stehen. Los geht’s mit der Neuorganisation der Nahrungsmittelproduktion: massive Unterstützung der Landwirt*innen (so lange das noch möglich ist), damit diese die Produktion aufrechterhalten, wo sie sinnvoll ist, und auf nachhaltiges und resilientes Produzieren umstellen, wo es nötig ist (positiver Nebeneffekt: das Ende der Massentierhaltung).
Dann muss die Wasser- und Stromversorgung krisensicher gemacht werden. Letztere in weitaus bescheidenerem Umfang, denn es geht ums Überleben und nicht um Streaming-Serien – vor allem aber wird sich der Energiebedarf in den Sektoren Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen durch die wegfallende Produktion dramatisch verringern. Wichtig auch: Die Sicherung der medizinischen Grundversorgung und der Mobilität. Alle Arbeitslosen müssen überdies ordentlich wohnen können (wie gesagt: Wir reden hier, zumindest anfangs, von der Mehrheit der Bevölkerung), das heißt Umverteilung und Umnutzung sind in Bezug auf Wohnraum ebenso selbstverständlich wie ganz im Sinne derjenigen Eigentümer*innen, die keinen Bürgerkrieg und in dankbare Gesichter schauen wollen. Und, ohne Zweifel: Rechtzeitiges und konsequentes Vorgehen gegen alle Gruppen, die die Umbruchphase zur Etablierung von Parallelgesellschaften nutzen wollen. Zuletzt: Von all diesen Dingen so viel wie möglich im europäischen Rahmen.
Neue Perspektiven entwickeln sich von alleine, wenn man sich erst einmal vom Alten verabschiedet hat. Je mehr sinnlos gewordene Tätigkeiten und Strukturen verschwinden, desto mehr positive Nebeneffekte werden sich zeigen. Der Green New Deal hingegen steht nicht für einen solchen Abschied und damit auch nicht für einen echten Neubeginn. Er steht für mangelnde demokratische Überzeugung und fehlenden Mut.
[dark_box]agora42 ist das philosophische Wirtschaftsmagazin. Die Themenhefte widmen sich den großen Fragen der Ökonomie wie etwa Wachstum, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit oder Geld – anspruchsvoll und verständlich. Ökonomie ohne Philosophie ist leer. Denn was ist der menschliche Bedarf? Wer bestimmt die Ziele? Was ist Wohlstand? Geht es auch ohne Wachstum? Philosophie hingegen, die sich um die ökonomischen Gegebenheiten nicht schert, ist blind für das tatsächliche Leben der Menschen. agora42 ist die unabhängige Plattform für Positionen, Austausch und Visionen. Die Ausgabe zum Thema: „KAPITAL“ erhalten Sie hier. Mehr Infos unter: agora42.de[/dark_box]
Was denkt ihr über den Green New Deal, kommentiert einfach unter diesem Artikel. Wir freuen uns über den Dialog. Weitere spannende Artikel von agora42 gibt es hier. Passend dazu:
Aysel Osmanoglu: „Das ist keine Hoffnung, sondern eine Notwendigkeit.“
Foto / Frank Augustin: Janusz Czech
Schreibe einen Kommentar