Chancen international: Generationen und Kontinente verbinden

Die 31-jährige Südafrikanerin Batya Blankers hat 2018 die CHANCEN international gGmbH mitgegründet und finanziert damit jetzt Studierende in Ruanda. Das Modell hat sie zuvor in Deutschland selbst ausprobiert.

Bezahlen: bitte später

Das Prinzip ist einfach: Ein Fonds bezahlt die Studiengebühren. Die Rückzahlung erfolgt abhängig vom späteren Einkommen. Erfunden haben diesen Umgekehrten Generationenvertrag (UGV) Studierende der Universität Witten/Herdecke, als die Hochschule in den 90er Jahren Gebühren einführen musste. Sie wollten verhindern, dass das Studium am Geld scheitert. Mit Erfolg: Über 2.500 Studierende wurden bislang finanziert. Mittlerweile gibt es den UGV auch an weiteren 20 deutschen Hochschulen, angeboten von der 2016 gegründeten CHANCEN eG, die mit der GLS Bank und der GLS Treuhand kooperiert.

Aus persönlicher Erfahrung

Auch Batya Blankers hat mit dem UGV studiert. Sie kam 2015 aus Südafrika an die Universität Witten/Herdecke. Eigentlich wollte sie gleich nach ihrem Abschluss an der Waldorfschule in Johannesburg 2006 an die Uni. Die kostet aber in Südafrika wie in den meisten afrikanischen Ländern Geld — oft viel Geld. Da Blankers aus einer großen Familie kommt, war klar, dass sie sich selbst um die Finanzierung kümmern musste. So schob sie das Studium erst einmal auf und fing an zu arbeiten. Nach mehreren Jobs, davon fünf  Jahre bei einem Software-Start-up, stieß sie beruflich an ihre Grenzen. „Ich brauchte ein Vollzeitstudium. Und der UGV löste letztlich meine Finanzierungssorgen.“

Feldforschung und Zusammenarbeit

In Witten engagierte sich Blankers von Anfang an in der neu entstehenden CHANCEN eG. Einige Studierende hatten Verbindungen in den globalen Süden und überlegten sich, den UGV auf den afrikanischen Kontinent zu übertragen. „Da wollte ich unbedingt dabei sein“, sagt Blankers. Zunächst sollte ein kleines Chancenteam durch gründliche Datenanalyse und anschließende Feldforschung vor Ort erfolgversprechende Länder für den UGV eruieren. Nach der Analyse blieben von 54 Ländern am Ende Südafrika und Ruanda übrig. Während der Feldforschung lernte das Team das renommierte Akilah Institute in Ruanda kennen. Das Institut muss Studiengebühren verlangen, will aber unbedingt auch ärmeren Menschen eine Ausbildung ermöglichen. Schnell war klar, dass hier eine Zusammenarbeit passt. Anfang 2018 wurde die CHANCEN international gGmbH gegründet. Neben Geld von Impact-Investoren sammelt sie auch Spenden ein. In Kigali eröffnete Blankers mit zwei Mitarbeiterinnen ein Büro. Gemeinsam entwickelten sie den kompletten Prozess: von der Bewerbung über das Community-Management bis zur Rückzahlung. Über 700 Anfragen erhielten sie in der ersten Runde. 420 Bewerber*innen konnten sie zusagen. In diesem Jahr kamen 750 weitere Studierende von Akilah und dem zweiten Bildungspartner Kepler University dazu.

Bildungsprivileg aufbrechen

Dabei war in Ruanda das Studium bislang immer das Privileg von einigen Wenigen. Damit die jungen Bewerber eine eigenverantwortliche Entscheidung für den UGV treffen können, bietet CHANCEN international zunächst Kurse zu Financial Literacy an. Außerdem werden mit der Familie oder unterstützenden Institutionen vorher Gespräche geführt. „Wir schließen nicht irgendeinen Darlehensvertrag, wir bauen eine Beziehung auf und leben gemeinsame Werte.“

In Ruanda ist seit Ende des Völkermords im Hochschulwesen einiges in Entwicklung, nicht zuletzt aufgrund der etwa 30 privaten Hochschulen. Dort wird zum Teil im Schichtbetrieb unterrichtet. Ein gutes Beispiel dafür ist das Akilah Institute, mit dem der UGV in Ruanda begonnen wurde. Der Fokus liegt auf beruflicher Bildung. Hier gibt es Studiengänge für Hotellerie, IT und Unternehmensführung, jeweils verbunden mit intensiven Praxisphasen in Unternehmen. Bei den Abschlüssen geht es in erster Linie darum, inwieweit die Studierenden ihr Wissen praktisch und lösungsorientiert anwenden können. Der Bedarf ist groß. Denn in Ruanda siedeln sich immer mehr Solaranbieter und Telekommunikationsfirmen an, auch eine Niederlassung von VW. Sie alle suchen händeringend gut ausgebildete Arbeitskräfte.

Perspektiven für Afrika

Bis Ende dieses Jahres wird die Teilnehmerzahl am UGV voraussichtlich auf 1.500 klettern. Im Juli haben die ersten 50 Studierenden mit ihren ersten Rückzahlungen angefangen — 70 Prozent von ihnen hatten bereits vor ihrem Abschluss ein Jobangebot. Mittlerweile interessieren sich erste afrikanische Investoren für das Modell. Blankers ist vom Erfolg der CHANCEN international überwältigt. Das Büro in Kigali ist auf zehn Mitarbeiter*innen gewachsen. In naher Zukunft könnte der UGV auch in Kenia umgesetzt werden. „Für mich ist es wie ein Traum“, sagt Blankers. Mit einem für europäische Verhältnisse kleinen Geldbetrag von 1.500 bis 2.000 Euro entsteht in Ruanda eine Vielzahl von Möglichkeiten. Jede*r Ruander*in mit einem höheren Abschluss unterstützt fünf bis sechs weitere Familienmitglieder.

Die Wahrscheinlichkeit, dass jüngere Geschwister studieren, wenn ein älteres Geschwisterkind studiert hat, steigt um ein Vielfaches. „Ich habe es zu meiner Aufgabe gemacht, dass mehr junge Menschen studieren können. Innovatoren, Gründer*innen und Führungspersönlichkeiten, die die Entwicklung ihres Landes mitgestalten, fallen nicht vom Himmel. Ich glaube, das Prinzip und die Denkweisen des UGV sind die Zukunft meines Kontinents.“

Foto: Akilah Institute

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Chancen eG: Bildung gemeinsam finanzieren

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