Nachhaltigkeitsberichte und Ihre Schwachstellen: Tolle Zahlen, bunte Bilder

Tolle Zahlen und bunte Bilder: So sehen die Nachhaltigkeitsberichte vieler Unternehmen aus. Doch reicht eine Reduktion von CO2-Emissionen, um 1,5-Grad-kompatibel zu wirtschaften? Genügen interne Richtlinien, um Menschenrechtsverletzungen wirklich Einhalt zu bieten? Mitnichten.

GRI, GWÖ und DNK, ISSB, CSRD, tatütata. Mit freundlichen Grüßen aus der Welt der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die aktuelle Landschaft an Standards, freiwilligen Initiativen und verpflichtenden Gesetzgebungsprozessen stellt sich oft als unübersichtlich dar und wirft für Anwenderinnen und Anwender zahlreiche Fragen auf. Worauf kommt es an, wenn ich die Berichterstattung von Unternehmen nicht als Selbstzweck, sondern als Steuerungsimpuls nutzen möchte? Wie unterscheiden sich die einzelnen Ansätze?

Regulatorik: Die EU zieht das Tempo an

Im Jahr 2011 haben nur etwa 2.500 der insgesamt 42.000 in der EU aktiven Großunternehmen Nachhaltigkeitsberichte veröffentlicht, womit die EU weltweit an der Spitze lag. Mittlerweile sind rund 11.700 Unternehmen dazu verpflichtet, Nachhaltigkeitsaspekte offenzulegen. Mit der Novellierung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) bzw. Non-Financial Reporting Directive soll der Anwendungsbereich nochmals deutlich ausgeweitet werden, auch auf Unternehmen ab 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Die EU zieht also das Tempo an. Und auch die neue Bundesregierung plant, Nachhaltigkeit stärker verpflichtend in Unternehmensprozesse zu integrieren. So soll Deutschland als führender nachhaltiger Finanzplatz etabliert und die Empfehlungen des Sustainable-Finance-Beirats glaubwürdig umgesetzt werden. Viele hatten sich mehr Konkretes gewünscht. Wann und wie die sozial-ökologische Wende in Folge vorangetrieben wird, bleibt derzeit abzuwarten.

Nachsitzen: Integrieren von Nachhaltigkeit verschlafen

Währenddessen bereiten zahlreiche Banken die ersten Berichte zur EU-Taxonomie-Fähigkeit ihrer Portfolien vor, die sogenannte Green Asset Ratio (GAR), und stoßen dabei auf allerlei Herausforderungen mit Datenverfügbarkeiten bei ihren Kundinnen und Kunden. Denn ohne eine entsprechende Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen durch realwirtschaftliche Unternehmen haben es Finanzinstitute schwer, die eigenen Aktivitäten auf Basis der Vorgaben der EU-Taxonomie auf Nachhaltigkeit zu prüfen. Dieser Umstand verkommt jedoch zu oft zu einer Ausrede.

Man hätte durchaus vorher schon an einer Lösung arbeiten und Nachhaltigkeit stärker in die hauseigenen Systeme integrieren können. Nun wird nachgearbeitet, denn schon ab Januar 2022 werden berichtspflichtige Unternehmen in Europa zu den Nachhaltigkeitswirkungen ihrer Wirtschaftsaktivitäten informieren müssen. Die derzeit diskutierte CSRD bietet somit die Chance, bei den angesprochenen Datenlücken Hilfe zu leisten.

Daten, Daten, Daten – aber wo ist der Kontext?

Doch Unternehmen sollen nicht nur Datenlieferant sein. Nachhaltigkeitsberichte können ein wirksames, kontrollierendes, begeisterndes und ehrliches Instrument zur Steuerung und Rechenschaftspflicht in Bezug auf sozial-ökologische Aspekte sein. Dazu aber muss sich die bisherige Praxis deutlich verändern. Die heutige Nachhaltigkeitsberichterstattung arbeitet im Wesentlichen mit ESG-Leistungskennzahlen und stellt im besten Fall die Verbesserung dieser Leistungskennzahlen über einen gewissen Zeitraum dar – den sogenannten ESG-Progress.

Unterstützt werden diese Kennzahlen durch qualitative Beschreibungen von Maßnahmen, Managementsystemen und Initiativen in einzelnen Themenfeldern des ESG-Paradigmas: Umgang mit Menschenrechten, Umweltthemen, Vielfalt, gute Unternehmensführung etc. Aber was sagt diese Form der Kommunikation über tatsächliche Nachhaltigkeit aus? Reicht eine Reduktion von CO2-Emissionen aus, um 1,5-Grad-kompatibel zu wirtschaften? Genügen Richtlinien und interne Prüfverfahren, um Menschenrechtsverletzungen wirklich Einhalt zu bieten? Mitnichten.

Das Ziel lautet: Das System Erde stabilisieren

Um den Beitrag eines Unternehmens zu einer nachhaltigen Entwicklung darstellen zu können, müssen wir planetare Belastungsgrenzen (zum Beispiel die 1,5-Grad-Kompatibilität) und soziale Zielzustände (etwa keine Menschenrechtsverletzungen) klar definieren und Unternehmen daran messen, ob sie innerhalb dieser Leitplanken wirtschaften (Kontextualisierung). Denn die Grenzen unseres Planeten sind nicht verhandelbar, sie sind Naturgesetze und Lebensgrundlage für alle. Nur wenn wir sie aktiv als Gradmesser einsetzen, können Nachhaltigkeitsberichte eine ehrliche Geschichte erzählen und uns dabei helfen, das System Erde zu stabilisieren.

Unterstützung und Orientierung in der Übersetzung dieses Anspruchs bieten zahlreiche Standards, die deutliche Unterschiede in ihrer Perspektive aufweisen. Der nationale Deutsche Nachhaltigkeitskodex bietet eine Plattform zur Orientierung und Umsetzung von Nachhaltigkeitsberichten, aber auch in der Strategiedefinition. Die Global Reporting Initiative stellt weitreichende Handreichungen zur Verfügung und prüft die Qualität entsprechender Berichte. Durch das jüngst in Frankfurt angesiedelte International Sustainability Standards Board sollen künftig globale Basisstandards im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung gesetzt werden. Die Gemeinwohlökonomie (GWÖ) geht darüber hinaus und positioniert die Gemeinwohlorientierung von Organisationen als Ausgangspunkt von Offenlegungs- und Steuerungskonzepten. Und letztlich noch der Verweis auf r3.0, eine globale Initiative, die sich vorgenommen hat, Nachhaltigkeitsberichterstattung im Sinne der planetaren Belastungsgrenzen und sozialer Sollzustände grundlegend zu verändern. Der Trend hin zur Kontextualisierung ist in vollem Gange.

Wir können direkt loslegen!

Auch wenn es unübersichtlich bleibt, können wir direkt loslegen. Unterstützungsmaterial – auch kostenlos und frei verfügbar – gibt es zuhauf. In der Umsetzung von Nachhaltigkeitsberichten sollten wir dennoch immer ein klares Zielbild ihrer Funktion definieren. Sie können so viel mehr als nur eine Aneinanderreihung von Zahlen und bunten Bildern sein. Dafür braucht es neben der Sinnfrage zum eigenen Geschäftsmodell auch eine integrale Erfolgsmessung in Bezug auf Mensch, Umwelt und Natur, sodass wir regenerative Öko- und Sozialsysteme erreichen.

Unsere Art des Wirtschaftens ist immer auch ein Spiegelbild der menschlichen Seele. Bisher macht dieser Gedanke noch eher traurig, aber die größte Umwälzung der modernen Geschichte hat gerade erst begonnen. Was meint Ihr? Kennt Ihr schon den Nachhaltigkeitsbericht der GLS Bank?

[button link=“https://www.gls.de/privatkunden/gls-bank/gls-nachhaltigkeit/#c26735″ target=“_blank“ color=“green“]Zum GLS Bank Nachhaltigkeitsbericht[/button]

Dieser Beitrag erschien zuerst als Kolumne auf der DUP-Plattform für Digitalisierung & Nachhaltigkeit.

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5 Antworten zu „Nachhaltigkeitsberichte und Ihre Schwachstellen: Tolle Zahlen, bunte Bilder“

  1. Avatar von Erich Vieser
    Erich Vieser

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    Ich habe bisher gute Erfahrungen mit der Gemeinwohlökonomie (GWÖ) gemacht. Ihre eMail vom 14.01.2022, 13:38 Uhr klingt so, als wäre Ihrer Ansicht nach die GWÖ zu lasch in der Beurteilung von Nachhaltigkeitsberichten. Habe ich da etwas falsch verstanden?

    1. Avatar von Matthias Losert
      Matthias Losert

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      Sehr geehrter Hr. E. Vieser,

      das digitale Informationsportal Baden-Württembergischer Bibliotheken Genios ermöglicht Bibliotheksausweisinhaber den Zugang zu über 1000 Zeitschriften – ohne störende Werbung.

      So titelte die Schweizerische Fachzeitschrift Finanzen und Wirtschaft die Suche nach sinnvollen ESG-Kriterien kürzlich als „Revolution am Reißbreit“. Das war leider kein konkreter Vergleich von angebotenen ESG-Kriterien.
      Die Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen widmete sich heute in Aufsätzen den ESG-Kriterien, um die Relevanz für Anleiheinvestoren abzuschätzen. Auch hier fehlt ein konkreter Vergleich von ESG-Angebote.

      Generell bemängelt die Finanzwirtschaft ein fehlendendes politisch einigendes Gesamtkonzept: Viele ESG-Angebote sind zu vage, um als Buchungssystem für den Datenaustausch zwischen Wirtschaftsakteuren zu funktionieren. Das geht mit Zahlen am einfachsten.

      Allgemein sind drei politische Kategorien möglich.
      1. Unternehmerische Ebene in Form von Marketing
      2. Staatl. Ordnungspolitik mit Bürokratiezunahme
      3. Marktwirtschaftliche Organisation mit grenzüberschreitenden Buchungssystem für Transfers im Gütermarkt

      Nr. 1 kann zutreffend und zufriedenstellend sein – muss es aber nicht. Daher wächst der Bedarf von Nr. 2. Die gesellschaftspolitische Wirkungsvollste ist Nr. 3. So wie ich die Nachfrage am Finanzmarkt verstehe, streben Investoren, Unternehmer und Wirtschaftsmanagement Nr. 3 an. Die Politik neigt eher Nr. 2 zu, da dies ihr bekanntes Metier und kein Neuland ist. … Das muss kein Dauerzustand sein.

      Öffentliche Stellungsnahmen von Deutschen Wirtschaftsinstituten fand ich bisher nicht.
      Wirtschaft sei zu 50% Psychologie. Sind die Gläser halbvoll oder halbleer? Warum messen wir nicht die Füllmenge mit ESG-Kriterien?

      MfG. Makrologistiker Matthias Losert

  2. Avatar von Matthias Losert
    Matthias Losert

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    Sehr geehrter Hr. Jan Köpper,

    unser 6-ter Sinn koordiniert Bewegungsabläufe: Bsp.: Sie greifen zur vollen Kaffeekanne, um sich einen Kaffee einzuschenken. Wenn ich Sie auffordern würde Ihren Bewegungsablauf konkret vorherzusagen, würden Sie mir u. a. erklären können, wie Sie ihre Muskeln beugen und stecken und was Sie für Energie aufwenden. Um den koordinierten Bewegungsablauf Ihrer „Unsichtbaren Hand“ abstrakt zu beschreiben und zu extrapolarisieren, ist sehr viel Gehirnschmalz notwendig.

    Die Volkswirtschaftslehre beschreibt die Summe individueller Entscheidungen als kollektives Verhalten mit einer „Unsichtbaren Hand vom Markt“. Dabei entspricht das menschliche Nervensystem dem Finanzkreislauf, wo Ihr Impuls „Kaffee“ in Form von monetären Transfers im Finanzkreislauf stattfindet.
    Womöglich glaubt der Staat, dass Ihr Kaffeekonsum gesundheitsschädlich ist: Da er das Gewaltmonopol besitzt, kann er ordnungspolitische Gebote und Verbote erlassen. Das Beispiel „Kaffee“ zeigt auch, dass Ihre Transfers eine chemisch- und biophysikalische Wirkung auf Ihren Körper in der Realwirtschaft haben; und diese nicht zwingend in einer monetären Wirkung abgebildet sind.

    Seit der Wende89 sollte die Politik wissen, dass eine marktwirtschaftliche Organisationsform erfolgreicher als Ordnungspolitik ist.
    Im Bezug auf ESG-Kriterien stellt sich nun die Frage, was streben die Verfasser von ESG-Kriterien an. Eine

    1. Ordnungspolitik für nachhaltiges Marketing bzw. nur nachhaltiges Marketing
    2. Marktwirtschaftliche Organisation für Transfers im Gütermarkt.

    Da der Staat mit seiner Währungsdefinition nur monetäre Transfers gewährt, ignoriert er naturwissenschaftliche Erkenntnisse. De facto etabliert der Staat eine mentale Selbstzensur, die Ökonomie von Ökologie abspaltet. Dadurch initiiert er Ökonomie als geistigen Referenzrahmen für wirtschaftliches Denken.

    Um das Denken zu fokussieren, lehrt er die Gleichung Gewinn = Einnahme – Verlust.
    Um einen Einstieg in Nr. 2 bekommen, sollten Sie Physik, insbesondere Thermodynamik, heranziehen. Danach laufen Transfers in einem Zahlenraum zwischen Null und Eins ab. Es gilt die Gleichung Verlust = 1 – (k/n) mit 0 < k < n.
    Wenn Sie beide Gleichungen gegenüberstellen, können Sie sehr unterschiedliche gesellschaftliche Zielsetzungen feststellen.

    1. Monetär: die größtmögliche positive Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben.
    2. Nichtmonetär: die kleinstmögliche Differenz zu dem Ideal Eins, was einem optimalen bzw. nachhaltigen Ressourceneinsatz entspricht.

    Die „Unsichtbare Hand“ in Nr. 1 ist menschengemacht. Die „Unsichtbare Hand“ in Nr. 2 löste im Quantenraum den Urknall aus; und entfaltete das Universum, inkl. irdischen Ökosystem mit Menschen, von selbst. In der Naturwissenschaft nennen wir Nr. 2 Evolution. Die relativ späte „Kognitive Evolution bzw. Menschwerdung“ ist ein nachgeordnetes Subsystem vorhergehender Evolutionsschritte.

    Die Beschäftigung mit ESG-Kriterien kann dies in einer neuen Wirtschaftsordnung berücksichtigen. Dafür würde die Politik ihre Währungsdefinition anpassen und ihre Bildungsinhalte, was marktwirtschaftliche Organisation betrifft, neu ausrichten.
    Organisatorisch würde die Politik ihr mentales Netz für den Güterkreislauf zwischen dem Netz der Natur und dem monetären Netz ziehen, um die Güterumschlagsmenge – ähnlich wie eine Notenbank die Geldmenge – mit Steuersätzen so zu lenken, dass wir beim Durchschreiten von Nadelöhren keine evolutionäre Kipppunkte auslösen.
    Das staatliche Steuersystem würde nachhaltige Leistung fordern und fördern. Nachdem Motto „Je näher ein Unternehmen dem Ideal kommt, desto geringer der Steuersatz.

    Um die politische Dimension zu illustrieren, einige Beispiele.

    • Banken werden nach Ihrer Hebelwirkung und Leistungsbilanzen im Gütermarkt besteuert
    • Spekulative Gewinne ohne konkrete Marktentwicklungen im Gütermarkt würden am höchsten besteuert
    • Unternehmen und das Management werden nach konkreter Leistung im Gütermarkt besteuert
    • Banken werden nach Ihrer Hebelwirkung und Leistungsbilanzen besteuert
    • Da im Binnenmarkt Steuersätze für Marktleistungen gelten, können im Einklang mit WHO-Wettbewerbsregeln Importe mit heimischen Sozial- und Umweltstandards besteuert werden.
    • Konsumenten zahlen für Produkte mit geringer Leistungsbilanz mehr Steuern
    • Das Volk würde mit jeder Kaufentscheidung bewusst über die irdische Ökosphäre mitentscheiden
    • Das Volk könnte auch das neue Wirtschaftssystem wählen ohne Einwilligung der Repräsentanten, wie bei der Wende89

    Historisch kamen und gingen Weltbilder. Die Wirtschaftswissenschaft repräsentiert ein monetäres Weltbild, was geändert werden kann. Denken Sie an die Kopernikanische Wende, wo ein besseres Naturverständnis, das damalige Weltbild transformierte. Unser heutiges Bild vom Homo öconomicus ähnelt eher dem Bild von Narziss; und ist nicht länger gesellschaftsfähig.

    MfG. Makrologistiker Matthias Losert

  3. Avatar von Oliver Schmitt
    Oliver Schmitt

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    Euren Nachhaltigkeitsbericht kenne ich, finde ihn gut. Aber eigentlich ist das ja schon Schnee von gestern. Gemeinwohlbilanz ist angesagt 🙂
    Wann seid Ihr soweit?

  4. Avatar von Carsten
    Carsten

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    Ich habe früher hin und wieder in Nachhaltigkeitsberichte, meist auch nur punktuell, geschaut, weil ich eine bestimmte Info gesucht habe. Dann habe ich bei meinem Arbeitgeber in einem Projekt zur freiwilligen Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichtes mitgearbeitet. Dieses Projekt wurde dann (nicht ganz unerwartet) doch wieder gestoppt. Vor allem aber ist mir klar geworden, wie abstrakt und wie losgelöst so ein Bericht doch von der tatsächlichen Entwicklung eines Unternehmens ist. Selbst wer kein aktives Greenwashing betreiben will, kann sich offenbar nicht von dem Gedanken lösen, dass dieser Bericht zum Marketing gehört und deshalb auf Biegen und Brechen immer eine Verbesserung zeigen muss.
    Den GLS Bank Nachhaltigkeitsbericht, den ich vor kurzem gelesen habe, finde ich sehr gut (und tatsächlich auch angenehm zu lesen). Sehr gelungen finde ich vor allem die jeweiligen Zielbilder!

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