Julia Bläsius
Julia Bläsius ist seit Juli 2025 Direktorin Deutschland von Agora Energiewende und arbeitet zu übergreifenden Fragen der Energie- und Klimapolitik sowie zu den Bereichen Strom, Wärme und Energieinfrastruktur. Zuvor war die Politökonomin in unterschiedlichen Funktionen bei der Friedrich-Ebert-Stiftung tätig, zuletzt als Leiterin des Referats Politische Beratung und Impulse. Bläsius hat in Passau Sprachen-, Wirtschafts- und Kulturraumstudien und in London Politische Ökonomie studiert
Die meisten Wissenschaftler*innen sind sich einig: Um eine lebenswerte Zukunft für alle zu gestalten und die Erderhitzung zu stoppen, ist das Festhalten mindestens an den aktuellen Klimazielen und den damit verbundenen Ausbauzielen erneuerbarer Energien zentral. Dennoch steht der Vorwurf im Raum: Die Energiewende sei zu kostenintensiv, es bedürfe einer Neuausrichtung der Energiepolitik. Ist dieser Vorwurf haltbar?
Beim Think Tank Agora Energiewende in Berlin ist man überzeugt: Der Weg zur Klimaneutralität in Deutschland, Europa und weltweit kann gelingen. Anlässlich des vom Bundeswirtschaftsministerium durchgeführten „Energiewende-Monitorings“ hat die Denkfabrik eine eigene Analyse zum Stand der Energiewende erstellt und Vorschläge für eine Energie- und Klimapolitik vorgelegt, die Deutschlands Resilienz, Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz stärkt.
Dazu drei Fragen an Julia Bläsius, Direktorin Deutschland bei Agora Energiewende.
Warum sollten wir in Deutschland das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 unbedingt weiterverfolgen?
In Deutschland ist das Ziel, bis 2045 klimaneutral zu werden, gesetzlich fest verankert. Die neue Bundesregierung hat dies im Frühjahr 2025 in ihrem Koalitionsvertrag noch einmal bestätigt. Nicht nur die Politik, auch die Gerichte haben den Klimaschutz gestärkt: mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021, das die Generationengerechtigkeit betont, und einem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, das Klimaschutz jüngst als völkerrechtliche Verpflichtung für alle Staaten definiert hat. Klimaschutz ist somit rechtlich bindend und zugleich notwendig, um die Lebensgrundlagen kommender Generationen zu bewahren (Art. 20 GG).
Mit einer ambitionierten Klimapolitik kann Deutschland die Umwelt schützen, für attraktive Strompreise sorgen und zugleich seine Wirtschaft und Resilienz stärken. Grundlage hierfür ist der konsequente Ausbau Erneuerbarer Energien. Wind- und Solarenergie gehören bereits heute zu den günstigsten Formen der Stromerzeugung. Jedes Windrad und jede Solarzelle trägt außerdem dazu bei, den jährlichen Bedarf an fossilen Energieimporten von derzeit rund 80 Milliarden Euro zu reduzieren. Das macht Deutschland unabhängiger von geopolitischen Entwicklungen und schützt Verbraucherinnen und Verbraucher vor Preisschocks an den internationalen Öl- und Gasmärkten. Die Energiewende ist zudem eine Chance für den Wirtschaftsstandort: Deutsche Unternehmen können sich an Zukunftsmärkten, wie E-Autos oder Wärmepumpen, beteiligen.
Wie sich Deutschland beim Klimaschutz engagiert, hat zudem einen großen Einfluss: Die Bundesrepublik ist die größte Volkswirtschaft der Europäischen Union und emittiert die meisten Treibhausgase. Damit ist eine ambitionierte deutsche Klimapolitik nicht nur entscheidend für Europa, sondern sendet auch wichtige Signale für den globalen Klimaschutz.
Die Bundesregierung prüft, ob die Energiewende im geplanten Maße notwendig ist oder ob sich durch eine Neuausrichtung Kosten sparen lassen. Sehen Sie hier Handlungsbedarf?
Auf dem Weg zur Klimaneutralität hat Deutschland bereits einen wichtigen Meilenstein erreicht – und fast die Hälfte der Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 eingespart. Das ist ein enormer Erfolg, der vor allem durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien erreicht wurde. Nun kommt es für die zweite Halbzeit darauf an, die Energiewende ambitioniert und zugleich effizient voranzutreiben.
Dafür ist es zentral, dass die Erneuerbaren Energien auch in Verkehr, Gebäuden und der Industrie ankommen. Damit E-Autos und Wärmepumpen kostengünstig nutzbar sind, braucht es dauerhaft attraktive Strompreise. Der Schlüssel hierfür ist ein konsequenter Ausbau von Wind- und Solarenergie, der unseren Analysen zufolge den Börsenstrompreis bis 2030 um fast ein Viertel senken kann. Zugleich kann eine gezielte Förderung – insbesondere für einkommensschwache Haushalte – den Umstieg auf Wärmepumpen und Elektroautos beschleunigen. Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien lassen sich aber auch Kosten sparen, ohne das Tempo zu bremsen und die Klimaziele zu gefährden – etwa indem bei der Solarenergie der Fokus stärker auf kostengünstige Dachflächen und Freiflächenanlagen gerichtet wird.
Gleichzeitig ist klar: Je mehr Strom aus Wind und Sonne ins Netz fließt, desto entscheidender wird es, Nachfrage und Angebot dynamisch auszubalancieren. Hierfür bieten Batteriespeicher, Elektroautos und Wärmepumpen enorme Potenziale. Eine kluge Reform der Abgaben und Umlagen – etwa durch die Einführung dynamischer Stromtarife und Netzentgelte – kann solche Flexibilitäten fördern und damit die Kosten für den Aus- und Umbau der Stromnetze senken. Das hat dann auch niedrigere Strompreise zur Folge. Ein weiterer Hebel für ein günstigeres Stromnetz ist es, die geplanten Leitungen überirdisch zu bauen, statt auf teure Erdkabel zu setzen.
Die politische Debatte suggeriert, dass eine beschleunigte Energiewende Nice-to-have, die Klimaziele verhandelbar seien. Was halten Sie dem entgegen? Wie schaffen wir die Klimaneutralität bis 2045?
Klimaschutz ist absolut notwendig für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Nur wenn wir die Erderwärmung begrenzen, können wir Extremwetterereignisse abmildern und Mensch und Natur schützen. Die Klimakrise versursacht schon heute sehr hohe Kosten, die langfristig wesentlich höher sind als die Kosten für Klimaschutz. Schon heute sind die Folgen gesamtgesellschaftlich spürbar, wobei insbesondere einkommensschwache Bevölkerungsgruppen oft besonders betroffen sind – obwohl sie einen vergleichsweise niedrigeren CO2-Fußabdruck haben. Zudem drohen Deutschland Ausgleichszahlungen in Milliardenhöhe, wenn es absehbar die europäischen Klimaziele in den Sektoren Verkehr und Gebäude nicht erreicht. Dieses Geld könnte man stattdessen besser in Klimaschutz investieren.
Unsere Szenarien zeigen, dass Klimaneutralität in Deutschland bis 2045 erreichbar ist. Damit das gelingt, braucht es jedoch in dieser Legislaturperiode entschiedene politische Maßnahmen, die Planungssicherheit schaffen und Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen in der Transformation unterstützen. Dafür sind vier Hebel entscheidend:
- attraktive Strompreise und gezielte Förderung für strombasiertes Heizen, Mobilität und Industrieproduktion, damit mehr Haushalte und Unternehmen umsteigen – bei gleichzeitiger Abfederung sozialer Härten;
- Investitionen in klimaneutrale Infrastruktur, damit genügend Ladepunkte und grüne Wärmenetze zur Verfügung stehen;
- ein klug gesteuertes Stromnetz, um Verbrauch und Angebot kostengünstig und effizient auszugleichen, zum Beispiel durch flexible Preise oder Batteriespeicher;
- eine Fortsetzung des geplanten Erneuerbaren-Ausbaus, um den steigenden Strombedarf mit günstigem, klimaneutralem Strom decken zu können.
So wird Klimaschutz zum Motor für eine sichere, bezahlbare Energieversorgung, eine zukunftsfähige Wirtschaft und eine Chance für mehr Wohlstand, Sicherheit und Teilhabe.
3 Fragen an…

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