Interview mit der Psychologin Katharina van Bronswijk
Katharina van Bronswijk ist Sprecherin der Psychologists and Psychotherapists for Future. Die Psychologin und Verhaltenstherapeutin ist seit 2009 im Klimaschutz aktiv, unter anderem bei Greenpeace, und betreibt eine Praxis in der Lüneburger Heide. 2022 erschien ihr Buch “Klima im Kopf” im Oekom Verlag, München.
Liebe Katharina, hast du schon mal in Betracht gezogen, dich auf einer Straße festzukleben?
Katharina van Bronswijk: Ich habe schon in Betracht gezogen, mich an Aktionen zivilen Ungehorsams zu beteiligen. Für mich persönlich ist wichtig, dass ich für mich eine klare Strategie hinter dem Ort der Aktion, der Geschichte hinter der Aktion, den Forderungen und der/dem Adressat*in der Aktion sehe. Ich würde mich nicht an einer Straße festkleben, um mich mal an einer Straße festgeklebt zu haben.
Die Proteste der Klimaaktivisti der Letzten Generation spalten die Nation. Tomatensuppe und Kartoffelbrei auf Gemälden, Menschen, die sich auf Straßen festkleben. Das geht zu weit, sagen viele. Auf der anderen Seite haben die Proteste dafür gesorgt, dass Sprecher*innen von Extinction Rebellion und der Letzten Generation zu besten Sendezeiten auf den Talk Show-Sofas saßen und eine breite gesellschaftliche Debatte geführt wird. Wie kommen wir vom Debattieren ins Handeln?
Katharina van Bronswijk: Was uns als Gesellschaft meiner Ansicht nach fehlt, ist eine gemeinsame Idee davon, wo wir eigentlich hin wollen. Es ist unüblich, dass wir gemeinsam Visionen entwickeln und träumen. Wir wissen, was wir verhindern wollen: Klimakrise, Artensterben, Krieg. Wir haben aber sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie die Alternativen aussehen sollen. Das ist ein Problem. Hier braucht es, glaube ich, schon noch mehr Debatte.
Das darf uns aber nicht – im Sinne von Verzögerungsdiskursen – davon abhalten, mit dem, auf das wir uns geeinigt haben, mit voller Geschwindigkeit loszulegen. Es ist etwa klar, dass unsere Energieproduktion – und damit meine ich nicht nur Strom – nachhaltig werden muss. Und bei diesen, eigentlich schon fest vorgesehenen Schritten nehme ich es oft so wahr, dass wir mit den Fingern aufeinander zeigen und erwarten, dass “die anderen” anfangen: die Politik, die Wirtschaft, China, Indien, die USA, unser Nachbar… Jedenfalls erstmal nicht wir selbst. Die Politik wartet auf die Bürger*innen, die Bürger*innen warten auf die Politik und die Wirtschaft.
Gesellschaftlicher Wandel funktioniert aber nicht nach einem eindeutigen Plan, er ist nicht linear. Es ist eher ein buntes Durcheinander. Wir können – und müssen – von allen Ecken anfangen. Wenn es den Radweg nicht gibt, auf dem ich gerne fahren möchte, dann muss ich ihn halt einfordern, anstatt darauf zu warten, dass Politik von alleine darauf kommt.
Fleischverzehr, Skiurlaub, Autoverkehr – wir alle müssen umdenken. Das Etablieren von neuen Normen braucht Zeit. Doch Zeit fehlt uns, wenn wir die Klimakatastrophe begrenzen wollen. Was braucht es, damit Menschen ihr umweltschädliches Verhalten infrage stellen?
Katharina van Bronswijk: Zu dieser Frage kann man ganze Bücherregale füllen. Zunächst ist es wichtig, dass die Menschen einen für sich wichtigen Grund sehen, etwas zu ändern. Informationen über die Probleme dieser Welt machen uns nur betroffen und erzeugen so einen Handlungsdruck, wenn unsere Werte damit in Verbindung stehen. Ich interessiere mich nur dafür, dass der Amazonas abgeholzt wird, wenn mir Natur wichtig ist, sonst ist die Information für mich irrelevant.
Bis zu 50 Prozent aller Entscheidungen am Tag werden aus Gewohnheit gefällt. Mobilitäts- und Konsumverhalten laufen quasi automatisch ab, ohne dass wir darüber nachdenken. Braucht es schlichtweg mehr Katastrophen wie das Ahrtal, um Verhaltensänderungen herbeizuführen?
Katharina van Bronswijk: Menschen sind Gewohnheitstiere, es fällt uns schwer, selbst wenn wir es uns vorgenommen haben, unser Verhalten zu verändern. Dabei können uns Unterbrechungen unserer Routinen helfen, also Disruptionen wie ein Umzug in eine andere Stadt, aber auch eine Pandemie oder ein Extremwetterereignis. Wenn unsere alten Muster nicht mehr funktionieren, dann fällt es uns – zwangsläufig – leichter, neue aufzubauen. Ich würde uns wünschen, dass es nicht noch mehr Katastrophen braucht, um unser Verhalten zu verändern. Ein Aha-Moment kann auch ausreichen.
In Deutschland diskutieren wir seit einem Jahr über ein Tempolimit und finden keinen Minimal-Konsens. Warum führen wir in Deutschland bei Klimaschutzmaßnahmen immer wieder eine “Verzichtsdebatte”? Und welche Rolle spielt hierbei die politische Kommunikation?
Katharina van Bronswijk: Das menschliche Gehirn ist praktisch allergisch gegen Verzicht. Das werden wir auch nicht ändern können, das ist evolutionär so entstanden. Wir können uns dennoch fragen, was uns wirklich wichtig ist. Viele sagen, dass sie eigentlich gestresst sind vom ständigen Wettbewerb, vom Leistungsdruck, vom mehr, mehr, mehr. Wenn wir uns stattdessen fragen, was uns wirklich wichtig ist und wann es mal “genug” ist, dann fördert das die Zufriedenheit.
Menschen, die minimalistisch oder konsumbewusster leben, beschreiben das im Nachhinein oft als Erleichterung, weil sie aus dem Hamsterrad ausgestiegen sind. Wir müssen also eine Suffizienzdebatte führen – da ist auch die Politik gefragt, hitzige Debatten zu befrieden und Krisen nicht als Schauplatz für politische Polemik zu nutzen. Wir müssen in Krisen zusammenhalten, das braucht Kooperation.
In Bayern saßen mehrere Menschen in Präventivhaft, da sie an einer Protestform der “Last Gen” teilgenommen haben. Carla Rochel zitierte aus einem Brief aus der Haft: “Wir geben nichts auf. Unsere Zukunftsperspektive – Schule, Ausbildung, Studium, finanzielle Sicherheit, Arbeit, Karriere, unbeschwerte Zeit mit unseren Kindern… Wir geben das nicht auf, denn all das ist bereits verloren, wenn wir weiterhin nichts tun.” Wie schaffen wir es, diesen Menschen Hoffnung zu schenken, wo sich keine Hoffnung abzeichnet?
Katharina van Bronswijk: Ich glaube, dass es falsch wäre, auf Teufel komm raus Hoffnung machen zu wollen. Die Lage ist sehr kritisch und wir steuern mit dem aktuellen Pfad der Weltgemeinschaft tatsächlich auf einen Zusammenbruch unserer Lebensgrundlagen zu. Das kann man nicht schönreden. Wenn man diese Lage einmal begriffen hat, kann man dahinter nicht zurück.
Was aber Zuversicht erzeugen kann, ist die Fortschritte zu feiern, sich neben den potenziellen Katastrophenmeldungen auch mit den kleinen Erfolgen und positiven Veränderungen zu beschäftigen, die bereits eingetreten sind. Wenn man dafür die Augen öffnet, dann sieht man, dass es noch möglich sein kann, dass wir als Menschheit die schlimmsten Katastrophen abwenden und dass wir es schaffen, als globale Gemeinschaft zusammenzuhalten. Dafür braucht es aber, wie Carla Rochel sagt, die Aktivität von uns allen.
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