Am 30.04. und 01.05.2021 war es wieder soweit: Beim 4. Geldgipfel trafen sich engagierte Menschen um gemeinschaftlich mit frischen Konzepten die Wirtschaft, das Klima und den Mensch zusammenzudenken! Dieses Jahr fand der Kongress zur Finanzwende unter dem Motto „Respekt oder Rendite“ statt. Erstmals in digitaler Form – und „trotzdem“ überwältigend!
Über 200 Teilnehmer*innen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft kamen zusammen, um über eine Finanz- und Geldwende zu diskutieren und sich über Lösungen auszutauschen. Ideen zu Komplementärwährungen, Einpreisung der „wahren Kosten“ und einer regenerativen Ökonomie wurden belebt von Impulsvorträgen renommierter Experten wie Maja Göpel und Daniel Dahm. Aufgelockert durch nachdenkliche Beiträge der Alanus-Studierenden war der 4. Geldgipfel eine rundum gelungene Veranstaltung.
Warum braucht es den Geldgipfel?
In naher Zukunft wird sich für Menschen und Mitwelt die Existenzfrage am Scheitelpunkt von „Geld oder Leben“ stellen. Wir können Umweltzerstörung und menschliche Tragödien im Zuge unserer bisherigen Wirtschaftsweise nur vermeiden, wenn wir mehr Respekt vor unserem Gegenüber haben. Und zu diesem Gegenüber gehört jeder Mensch, aber auch die Natur. Die Trennung von Gewinn und Risiko, von arm und reich, von Umweltkosten und Ressourcenausbeutung kann und muss ein Ende haben.
Dieses Jahr wurde der Geldgipfel von der GLS Treuhand ausgerichtet – mit dem Anspruch, vom Wissen zum Handeln zu kommen. Es braucht konkrete Ideen, Mittel und Wege, wie unsere sprunghafte Finanz- und Geldordnung weiterentwickelt werden kann. Und es braucht konkrete Lösungen – gepaart mit Mut, bestehende Tabus zu brechen. Im Mittelpunkt steht das Leitbild des verantwortungsbewussten Menschen: Er schätzt die Freiheiten des (Wirtschafts-) Bürgers, lebt aber die Werte von sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Notwendigkeit. All dies stand auf der Agenda unserer Konferenz.
Was genau war da los?
Progressive Geld- und Finanzideen wurden lebhaft (neu) gedacht, ausgesprochen und diskutiert. Es wurde vorgetragen und interveniert – rege ausgetauscht und nachgefragt. Gemeinschaftlich haben wir uns auf Suchwege begeben.
Prof. Dr. Maja Göpel (The New Institute, Hamburg) referierte darüber, warum wir
„unser Finanzsystem neu denken müssen“.
Helena Marschall (Fridays for Future) intervenierte unter anderem mit der Aussage
„Wenn es der Klimaschutz erfordert, das Finanzsystem zu ändern, dann müssen wir das halt tun.“
Dr. Marco Meyer (Universität Hamburg) fragte konkret
„Wie kann sich nun alles ändern? Das mit dem Geld, der sozialen Technologie. Wer steuert das, wer bedient unser Geld?“
Und stellte unter anderem fest:
„Das sind einerseits wir alle zusammen. Wir können mit unser Kaufkraft Entscheidungen treffen.“
Thomas Jorberg (GLS Gemeinschaftsbank) und Gerhard Schick (Bürgerbewegung Finanzwende) zeigten Strukturen und Tabus sowie mögliche Lösungswege im Finanzsystem auf.
Dr. Daniel Dahm (Experte für Nachhaltigkeit und Wirtschaft, Autor und (Co-)Gründer verschiedener Unternehmen, zivilgesellschaftlicher Organisationen und Stiftungen) sprach vom „Vom Ganzen der Kapitalien zur regenerativen Ökonomie“ und inspirierte damit viele Zuhörer*innen am frühen Samstagmorgen.
Und was heißt das jetzt genau?
Dazu habe ich bei Dr. Hermann Falk, Vorstandsmitglied der GLS Treuhand und Konferenzleiter dieses Geldgipfels, mal nachgefragt.
Lieber Herr Falk, erstmal vorab: Der Geldgipfel fand dieses Jahr das erste Mal in digitaler Form statt. Was war besser oder schlechter als in den Vorjahren? Wie hat sich das für Sie persönlich angefühlt?
Meine Nervosität vor Beginn war riesig: wird den über 250 Teilnehmer*innen der Zugang in die digitalen Räume gelingen? Werden wir technische Ausfälle erdulden müssen? Als technisch alles klappte, wurde es richtig gut, weil die Vortragsinhalte und der Elan von Vortragenden und Teilnehmer*innen mit guter Energie ineinanderflossen. Was war besser? Dass es uns gelungen ist, deutlich mehr Frauen und deutlich mehr junge Leute für Vorträge zu gewinnen. Auch die künstlerischen Beiträge wurden als wesentliche inhaltliche Setzungen verstanden. Und was war schlechter? Natürlich fehlte das Gewusel aller während der Pausen, die überraschenden Begegnungen mit Menschen, die ein gleiches Interesse verbindet. Wir haben jedoch versucht, über die Konferenz-Software zumindest Einzelgespräche und das Netzwerken technisch zu ermöglichen.
Was genau verbirgt sich hinter dem Titel des diesjährigen Geldgipfels „Respekt oder Rendite“?
Eigentlich braucht der Geldgipfel keinen eigenen Titel, weil die „Marke“ für sich seit Jahren gut etabliert ist. Aber in diesem Jahr wollten wir doch auf die existentiellen Fragen aufmerksam machen, denen wir uns unmittelbar stellen müssen. Ähnlich, wie wenn es um „Geld oder Leben“ geht. In den letzten zwei Jahren ist wohl uns allen deutlich geworden, dass wir mit kleinen Veränderungen oder Selbstverpflichtungen in der Wirtschaft nicht weiter kommen, wenn es um die Existenz von so vielen Menschen vor allem in ärmeren Ländern und um die Erderhitzung geht.
Und was hat Respekt mit einer neuen Finanzordnung zu tun?
Respekt steht am Anfang jeder Wahrnehmung. Wenn ich meine Mitmenschen, die in sozial schwierigen Verhältnissen, sogar in existentieller Not leben, wahrnehme und ihre Bedürfnisse respektiere, dann liegt darin ein Schlüssel für radikale Veränderung – auch in der Finanzindustrie. Das System krankt doch daran, dass die gigantischen Finanzströme so abstrakt geworden sind, dass kaum noch jemand sieht, wer dieses destruktive „Geld-Geld“ steuert und welche Folgen für Gesellschaft, Umwelt und Klima daraus entstehen. Und selbst die Verantwortlichen sehen sich nicht mehr veranlasst, ihr Handeln mit den betroffenen Einzelschicksalen zu verbinden.
Der Geldgipfel fand dieses Jahr bereits zum vierten Mal statt – der erste 2014. Was hat sich in den letzten sieben Jahren verändert? Waren wir vielleicht auch schonmal weiter?
Spontan würde ich sagen, dass wir so weit wie noch nie gekommen sind. Denken Sie an die vielen Phänomene der jüngsten Zeit: gemeinschaftliche EU-Anleihen, Verurteilungen von Banken wegen Cum-Ex-Steuerbetrug, internationale Mindestbesteuerungspläne, einen Konsens für eine (relativ) hohe CO2-Bepreisung und ein staatlicher Wille in den wohlhabenden Ländern, für die existentiellen Bedarfe auch riesige Geldmengen zu aktivieren. Dass die neue US-Regierung sogar die Banken gänzlich umgeht, wenn sie konjunkturstimulierende Schecks ausreicht, ist auch frappierend. Es gibt größere und kleinere Beispiele zuhauf, die zeigen, dass sich unser Umgang mit Geld und der Finanzwirtschaft vergleichsweise radikal ändert.
Thomas Jorberg und Gerhard Schick zeigten die Strukturen und Tabus des Finanzsystems auf. Welche Tabus müssen wir wie zu brechen wagen? Was genau müssen wir wie verändern?
Ich will nicht die beiden Vorträge wiederholen, sondern auf unsere Video-Dokumentation derselben verweisen. Thomas Jorberg und Gerhard Schick sind beides Experten ihres Faches und verweisen auf die Verantwortungen von Politikern und Finanzakteuren. Deshalb nehme ich Ihre Frage wörtlich: was müssen WIR verändern, also ich, Sie, Du und wir? Veränderung kann nur von mir als Individuum ausgehen, das sich mit Gleichgesinnten zusammentut und mit Wissen, Bewusstsein und Beharrlichkeit die Lösungswege verfolgt. Außerdem müssen wir gemeinsam die Zivilgesellschaft stärken, auch im Hinblick auf deren Stimmen im Bereich Wirtschafts- und Finanzordnung.
Möchten Sie unseren Leser*innen noch etwas mitgeben?
Wenn es nicht zu einem Rückfall in alte, schlechte Gewohnheiten in Politik, Unternehmen und Finanzwirtschaft nach der Pandemie kommen soll, dann sollten wir sehr wachsam sein. Dazu können wir schon jetzt bestehende Fachorganisationen, wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die Bürgerbewegung Finanzwende, die Geldwende-Initiativen wie Monneta und viele mehr durch Spenden und ehrenamtliche Arbeit unterstützen, nicht zuletzt auch die GLS Treuhand z.B. mit einem zweckgerichteten Stiftungsfonds. Die notwendigen Instrumente liegen im Übrigen vor uns: Stärkung der zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie (finanzielle) Unterstützung von Musterprozessen und direktdemokratischen Initiativen!
Die Konferenzreihe Geldgipfel wurde 2014 von der GLS Bank Stiftung ins Leben gerufen, einer gemeinsamen Gründung von GLS Bank und GLS Treuhand e.V. Die GLS Bank Stiftung arbeitet an den Grundlagen einer Geldordnung, in der Geld als nachhaltiges, soziales und ökologisches Gestaltungsmittel wirkt und eine dienende Funktion für Wirtschaft und Gesellschaft wahrnimmt. Der Geldgipfel versteht sich als ein Forum und als Arbeitsprozess, der in Kooperation mit vielen gesellschaftlichen Akteuren*innen fortgesetzt und weiterentwickelt werden soll.
Auch interessant zum Thema nachhaltiges Wirtschaften:
Verantwortungseigentum – Unternehmen ohne Gewinnmaximierung?
Schreibe einen Kommentar