Gefühlsecht – einhorn: „unfuck the economy“

Das Unternehmen einhorn will die Wirtschaft reparieren. Inwiefern das Unternehmen das bewerkstelligt und warum Kondome dabei wichtig sind.

von Lisa Neal

Mit das Schönste an kleinen Dörfern ist, dass die Menschen meistens ihre Haustüren offen lassen. Dass ein Unternehmen in Kreuzberg das auch macht, ist eher ungewöhnlich. Umso einladender wirkt das Büro von einhorn, einem Startup, das nachhaltige Kondome und Periodenprodukte verkauft. Ich mache die Tür auf und werde gleich von Elisa Naranjo (33) mit einem festen Händedruck und breiten Lächeln begrüßt: „Komm herein, ist noch ruhig hier.“ — Donnerstags um zehn Uhr morgens. Sofort wetteifern gebastelte Papierananas, bunte Zettel, Schilder mit Sprüchen wie „Der Orgasmus bleibt hier“ und Kaffeegeruch in dem Großraumbüro um meine Aufmerksamkeit. Hier läuft vieles anders als in den meisten Unternehmen, auch optisch.

Ich bin hier, weil ich verstehen will, was es mit diesem schräg anmutenden Unternehmen ohne Chefs und mit der DNA einer sozialen Organisation auf sich hat. „Unfuck the economy“ lautet ihr Motto — wie geht das? Und kann ein Unternehmen, bei dem Penisstempel auf dem Schreibtisch liegen und jeder kommen kann, wann er oder sie will, wirklich unsere Wirtschaft reparieren, also „unfucken“?

Die Geschichte von einhorn beginnt mit zwei Unternehmern: Waldemar Zeiler, der nach ein paar Jahren keine Lust mehr hatte auf das übliche Start-up-Geschäft, und Philip Siefer, der Kondome kaufen wollte und den es frustrierte, dass die immer versteckt in der Ecke liegen. Zeiler hatte davor bereits sieben Start-ups mitverantwortet. Doch er hatte genug davon, Geld um des Geldes willen zu machen. In Zeiten von Klimakrise und wachsender sozialer Ungleichheit wollten er und Siefer etwas Sinnvolles tun. Also gründeten sie 2015 die Marke einhorn, finanziert durch Crowdfunding. Sie waren zwar nicht die ersten, die nachhaltige
Kondome verkaufen wollten. Aber es sollte Spaß machen: Anders als die herkömmlichen Varianten, die oft schamhaft unter Chipstüten auf dem Einkaufsband versteckt werden, sind die einhorn-Gummis in kleine, recycelbare, Chips-ähnliche Tüten verpackt. Sie sind nicht in dezenten Nullfarben gehalten, sondern bemalt mit „Spermamonstern“ oder „Muschigegenständen“. Sie hängen nicht mehr neben Fußpflegeprodukten oder Katzenfutter, sondern liegen gut sichtbar bei der Quengelware an der Kasse.

„Liberté, Égalité, Periode“

Seit März 2019 stehen auch einhorn-Sachen für „Untenrum“ in den Regalen von Drogeriemärkten und Bioläden. Dazu gehören Tampons mit Sprüchen wie „Liberté, Égalité, Periode“ und eine Slipeinlagenverpackung, in der eine detaillierte Gebärmutter aufgemalt ist. Mit den neuen Produkten wollen die „einhörner“, wie Naranjo ihre 20 Kolleg*Innen nennt, aufklären und Menstruation aus der Schmuddelecke holen. Nicht irgendwie, sondern sozial fair und ökologisch nachhaltig, oder „fairstainable“, wie es bei ihnen heißt. Alle Schritte entlang der Wertschöpfungskette sind bei ihren Produkten für die Kunden nachvollziehbar. Einhorn will bei den Benutzern ein Bewusstsein für ihre Konsumentscheidungen fördern und wirft selbst Fragen auf wie: „Wo kommen die Rohstoffe für unsere Produkte her?“, „Wie werden sie verarbeitet?“ und „Wer ist eigentlich alles an ihrer Entstehung beteiligt?“

„Unfuck the economy“

Weil sie schlagfertig sind und mit tabubefreiten Sprüchen auftreten und das sehr viel Aufmerksamkeit erregt, haben manche Puristen einhorn zunächst im Verdacht gehabt, mehr eine Werbeagentur als ein ernst zu nehmendes Unternehmen zu sein. „Dabei haben wir nicht mal ein Marketingbudget“, sagt Naranjo. Sie erklärt sich den Erfolg durch die Mischung aus ernsten Themen, Unterhaltung und Authentizität. Naranjo will weiter mit Vorurteilen aufräumen: „Ich finde es seltsam zu verlangen, dass nachhaltige Produkte weder gut aussehen noch witzig sein dürfen!“

Und noch etwas anderes stellt sie klar: „Wir sind aber insofern keine Kondomfirma“, sagt Naranjo, „als dass wir mit unserem Anliegen auch andere Produkte machen könnten.“ Gründer Zeiler sagt in einem Podcast: „Laut klassischem BWL-Buch dürfte es uns nicht geben.“ Keine Großinvestoren und kein Marketingbudget. Eineinhalb Jahre nach der Gründung war einhorn aber bereits profitabel. 42 bis 50 Prozent des Gewinns spenden sie seither an soziale Projekte, dazu zählt etwa auch das Gehalt eines Unkrautjäters auf einer Partnerkautschukfarm in Malaysia. Weil er das Gras von Hand schneidet, verzichtet der Bauer dort auf den Einsatz von einigen Chemikalien, und der Kautschuk, der später als Material für einhorn-Kondome verwendet wird, ist somit ökologischer als zuvor angebaut.

Auch hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse arbeitet einhorn an Alternativen: „Wir sind da gerade in der Umsetzung mit den rechtlichen Schritten. Das wird vermutlich Ende des Jahres alles fix sein.“ Ein Prozent der Firma geht dann in die Purpose-Stiftung, die ein Vetorecht hat: Einhorn darf nicht verkauft werden und die Gewinne bleiben im Betrieb. Gleichzeitig wird das Unternehmen immer politischer: Eine Petition zur Abschaffung der Luxussteuer auf Periodenprodukte mit einer Anhörung im Bundestag, der Klimastreik am 20. September 2019 und eine Bürgerversammlung in Berlin zum Austausch über Wirtschafts- und Umweltprobleme gehören zum „Wirtschaft Reparieren“ dazu. Kein Wunder, dass einhorn zu den bekanntesten Sozialunternehmen in Deutschland gehört.

Unsicherheiten provozierende Arbeitskultur

Dass sie in den Medien oft wegen ihrer Knallköpfigkeit auftauchen, liegt aber vor allem an der ungewöhnlichen Organisationsform des Unternehmens. Inzwischen halten sie über ihre Arbeitskultur Vorträge für große Firmen und bekommen dafür bis zu 6.000 Euro pro Auftritt. Denn 2017 entschieden die Gründer Zeiler und Siefer, dass sie keine klassischen Chefs mehr sein wollen. Ab dann standen die Mitarbeiter, oder „Mitunternehmer“ wie Zeiler sie nennt, mit in der Verantwortung. Sie müssen selber wissen, wann sie ins Büro kommen, wie viel Urlaub sie brauchen, welche Entscheidungen sie in ihrem Verantwortungsbereich treffen, und mit einem selbst gewählten Gehaltsrat untereinander den Lohn verhandeln. Inspiriert wurden sie durch Holacracy (Führen ohne Chefs), doch sie halten sich nicht zu eng daran. „Wofür wir eine Lösung brauchten und hier keine Antwort fanden, war, wie Innovation zustande kommt“, sagt Naranjo. Sie üben sich in gewaltfreier Kommunikation und versuchen, ihre eigenen dezentralen Entscheidungswege zu finden. „Wir kriegen in den Medien oft ein rein positives Bild. Man muss aber auch ehrlich mal sagen, so zu arbeiten, ist echt anstrengend“, meint Naranjo. Trotzdem hält sie diese neue und manchmal Unsicherheiten provozierende Arbeitskultur für richtig. Denn das macht die Haltung des Unternehmens aus.

Statt rasender Vermögensbildung und Gewinnmaximierung auf Kosten von Mitarbeiter*innen und Umwelt  geht es bei einhorn also um Überzeugung. Unternehmen müssen Verantwortung übernehmen. Ob sie Nachhaltigkeit auch sexy machen können? Mit Sicherheit bringen sie gesunden Humor in das ernste Anliegen. Ihre Wirkung entfalten sie in kleinen Schritten, sei es, dass sie eine Konferenz für nachhaltigen Kautschuk in Autoreifen mitorganisieren, ein Nachhaltigkeitssiegel für Kautschuk mitentwickeln wollen oder dass sie auf Instagram für Perioden-Positivität posten.

Und „Unfuck the economy?“ Sie wollen nicht alle Produkte selber neu gestalten, sondern ihre Erfahrungen weitergeben und das Modell einhorn übertragbar machen. Sie arbeiten weiter an sich selbst. Deshalb glaubt Naranjo, dass einhorn offen bleiben kann für alles, was kommt, auch für Widersprüche. Und mit offener Bürotür.

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[green_box]Ein Artikel aus dem GLS Kundenmagazin Bankspiegel. Diesen und viele andere spannenden Artikel finden Sie im Blog. Alle Ausgaben des GLS Bankspiegel als PDF finden Sie unter: https://www.gls.de/bankspiegel/. [/green_box]

Foto: einhorn

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