Digitalisierung und Innovation sind die heutigen Themen im Wirtschaftsteil und wir haben jemanden um Links gebeten, der sich damit auskennt: Christoph Koch
Ach, die Digitalisierung. Mit dem „Licht und Schatten“, den sie spendet, könnte man Tausende von Podiumsdiskussionen füllen. Huch – passiert ja schon laufend. Und dann werden auch noch so viele Artikel darüber geschrieben … Na dann mal los!
Eine hochschwangere Fahrerin beim Taxi-Disruptionsdienst Lyft fährt in Chicago noch geschwind ein paar Kunden, während ihre Wehen schon eingesetzt haben. Dann direkt ins Krankenhaus zur Entbindung, keine Minute zu früh. Uber-Konkurrent Lyft feierte die Geschichte im Firmenblog (inzwischen gelöscht) als „exciting“. Der Artikel „The Gig Economy Celebrates Working Yourself to Death“ im New Yorker sieht es etwas kritischer. Auch die Minijob-Vermittlungsplattform Fiverr (2015 immerhin mit 110 Millionen Dollar Wagniskapital ausgestattet) preist in ihrer neuen Anzeigenkampagne die Gig-Worker als „Macher“, die „mit einem Kaffee als Mittagessen zufrieden sind“ und deren „Lieblingsdroge“ der Schlafentzug ist. Genau dieser Jargon verkläre das letztlich kannibalistische Wesen der Gig Economy zu einer schicken Ästhetik, kritisiert der Artikel. Einer Welt, in der man vermeintlich cool ist, wenn man notfalls auch während man Sex hat den Anruf eines Kunden beantwortet. Der einem dann fünf Dollar („Fiverr“) dafür bezahlt, dass man ihm ein Buchcover entwirft oder einen Song komponiert. Ohne Krankenversicherung, klar.
Neuronale Netze senken Stromverbrauch
Etwas positiver sieht naturgemäß Vinton G. Cerf diese Sache mit diesem Internet. Klar, der hat es schließlich (mit)erfunden. In einem interessanten Zeit-Interview erzählt er, wie Google den Stromverbrauch für die Kühlung seiner Rechenzentren um 40 Prozent senken konnte. Dabei halfen Neuronale Netzen. Die ja praktisch in den Rechenzentren beheimatet sind. Faszinierend. Mit den Herstellern der vernetzten Geräte des „Internet of Things“ geht er etwas härter ins Gericht: Diese würden nur ihre Produkte verkaufen wollen und sollten lieber gemeinsame Standards entwickeln – und sich überlegen, wie sie den Menschen helfen können. Zum Beispiel in den Bereichen Bildung oder Gesundheitswesen. Ebenfalls eine große Zukunft sieht Cerf für die „Smart Cities“ voraus.
Ein häufiges Problem, wenn nicht Produkte verkauft, sondern den Menschen geholfen werden soll: Wer bezahlt’s? Das ist natürlich nicht der Stoff, aus dem die glitzernden Gadget-Geschichten oder die Startup-Heldengeschichten sind, die man so häufig findet. Dafür gibt es dann das Blog oekonomenstimme.org, in dem sich Wirtschaftswissenschaftler ausgeruht und ausgiebig zu Themen äußern, die Wired, Business Punk et al. ein bisschen (zugegeben: viel) zu „booooring“ sind. In diesem Fall geht es um die Finanzierung von intelligenten Verkehrssystemen und ob es sinnvoll ist, diese staatlich zu subventionieren. Für alle Leser mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne: Der Autor findet schon.
In dem oben erwähnten Zeit-Gespräch mit Cerf, Googles „Chief Internet Evangelist“, geht es natürlich auch um Künstliche Intelligenz – ein Thema, das gerade mal wieder extrem boomt. Jahrzehntelang wurden uns die „schlauen Maschinen“ ja schon angekündigt. Bisher beschränkte sich jedoch das, was wir tatsächlich bekamen, meist auf ein „Das habe ich nicht verstanden“ von Siri. Doch mit der Entwicklung der KI scheint es genau so abzulaufen wie Ernest Hemingway das Pleitegehen einmal beschrieben hat: „First gradually, then suddenly“. Erst kaum wahrnehmbar langsam, dann zack-bumm. Ben Thomson (für mich einer der weltbesten und klarsten Analytiker des digitalen Wandels) hat diese Woche aufgeschrieben, was es mit der KI auf sich hat, warum die Schwierigkeiten schon damit anfangen, sie zu definieren – und damit längst nicht aufhören.
Für Thompson Texte brauche ich meistens sehr lange. Das liegt vor allem daran, dass er extrem dicht schreibt und in jedem Absatz mindestens ein extrem kluger und mehrere überdurchschnittlich kluge Gedanken stecken. Da muss ich mit dem Denken erst mal hinterherkommen. Was Thompson jedoch nicht macht: Auf seiner Webseite hinschreiben, wie lange man voraussichtlich braucht, um den jeweiligen Text zu lesen. Das ist aber sowohl im Netz als auch in den e-Readern in den letzten Jahren in Mode gekommen. Auf suedeutsche.de macht sich Johan Schloemann deshalb darüber Gedanken, „Wie der Mensch in digitalen Zeiten liest“ und wie diese Minutenzählerei uns beeinflusst.
Zurück zur KI beziehungsweise den schon erwähnten Neuronalen Netzen. Die sind selbstverständlich auch im Spiel, wenn es darum geht, menschliche Gesichter auf in Fotos oder Videos zu erkennen und Personen zuzuordnen. „Wem gehört dein Gesicht?“ fragt in diesem Zusammenhang ein hochinteressanter Artikel im Atlantic. Spoiler-Alarm: Zumindest zu einem gewissen Teil Werbefirmen, Internetkonzernen und der Regierung.
Digitalisierung und „Das Menschliche“
Was bei all der visionären oder mahnenden Technikberichterstattung oft auf der Strecke bleibt: Das Menschliche. Das Kleine, das Konkrete im großen Ganzen. Deshalb mochte ich die Geschichte von Lara Thiede auf jetzt.de sehr gerne, die eine ganz normale Mädchenfreundschaft beschreibt. Aber nebenbei auch den digitalen Wandel des Berufsmarkts. Den während Laras langjährige Freundin Alycia sich vor zehn Jahren für eine Karriere als Youtube-Star entschieden hat, schlug sie selber eine konventionelle Journalistenlaufbahn ein. „Während ich – 22, weiblich, auf Perspektivsuche – die klassischen Stationen Studium, Auslandsaufenthalt und Praktika abgeklappert habe, (…) gab sich (Alycia) dem Strudel Internet hin – und lernte, ihn viel geschickter zu nutzen, als ihr die meisten zugetraut hätten. Heute ist Alycia „Ally“ Marie 25 und verdient, wenn man den Schätzungen auf der Webseite socialblade.com glauben darf, bis zu 8.000 Euro im Monat mit ihren Youtube-Videos.“ Eine lesenswerte Geschichte ohne Häme, Zeigefinger oder Neid.
Als Wirtschaftsteil-Hausherr Maximilian Buddenbohm mich einlud, eine Gastfolge dieser Reihe zu bestücken, bot er an, auch einen eigenen Text zu verlinken. Vielleicht rechnete er mit meiner Bescheidenheit und nahm an, ich würde das nicht tun. Doch weit gefehlt. So eine Gelegenheit lasse ich mir nicht entgehen. Damit jedoch für einen handfesten Win-Win alle was davon haben, teile ich nicht irgendeinen Text aus meiner bescheidenen Werkstatt. Sondern einen, der normalerweise hinter der Paywall des werbefreien und unabhängigen Onlinemagazins Krautreporter liegt.
Für diesen habe ich mich nämlich sehr ausführlich mit Podcasts befasst. Eine kleine aber sehr feine Mediengattung mit vielen Nischen. Die sich wie ein gallisches Dorf (unter anderem durch gute alte RSS-Technologie und Blogger-Spirit) dem großen Kommerzialisierungsschub – und damit einhergehenden Hässlichkeiten wie Tracking, nervender Werbung und so weiter – bislang verwehrt hat. Was mich gefreut hat: Im Vorfeld hatte ich Krautreporter-Leser und -Sympathisanten nicht nur gefragt, welche Podcasts sie anderen empfehlen würden, sondern auch welche Aspekte des Themas sie besonders interessieren. Über 1400 Leute haben bei der Umfrage mitgemacht und mir mit ihrem Input sehr geholfen – und den Text dadurch bereichert.
Ach, dieses Internet! Wenn es es nicht gäbe, müsste man es erfinden…
Christoph Koch ist Pauschalist beim Wirtschaftsmagazin brand eins und schreibt als freier Autor für NEON, SZ-Magazin und zahlreiche andere Medien. Mit seinem Sachbuch „Ich bin dann mal offline“ landete er auf der Spiegel-Bestseller-Liste. Auch in seinen Vorträgen für Unternehmen und Organisationen beschäftigt er sich mit der Digitalisierung.
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