„Durch ein Lastenrad bekommt das Bekenntnis zur Regionalität gelebten Ausdruck.“
Dieser Satz schoss mir durch den Kopf, als ich gestern mit Kind und Kegel im Urban Arrow zum Veggihaus sauste. Was für ein Lebensgefühl der Freiheit: Das Kind direkt im Garten oder vor der Wohnungstür eingepackt – da darf jedes Kuscheltier und Feuerwehrauto mit –, ohne Parkplatzsuche kurz in die Innenstadt geflitzt und danach ab in den Park. Decke raus, Spielsachen raus und das Picknick kann starten. Und all dies in der wohl schönsten Fahrradfahrzeit: In der man auf leeren Straßen ohne Stress über den Asphalt gleiten darf, der sonst nur den Autos vorbehalten ist. Kurz: Es gab nie einen besseren Zeitpunkt, um Rad zu fahren oder damit heute zu beginnen.
Man hat mit diesem Gefährt nahezu alle Freiheiten eines Autos: bequem und schnell einkaufen gehen, Kind, Baby und Einkäufe trocken und windgeschützt von A nach B bringen oder mit kühlen Getränken direkt in den Park fahren. In Zeiten von Corona kommen weitere Vorteile für die eigene Gesundheit hinzu: Man bleibt an der frischen Luft, bewegt sich und der Radius bleibt in den gut 80 Kilometern Reichweite, die 500-Wattstunden-Akku liefert. Aber man macht eben nicht den Quatsch zu dem ein ein Auto verleitet, wie zum Shoppen Hunderte von Kilometern zu einem Outlet-Center zu rasen.
Neben diesen Soft Skills für die eigene Lebensqualität sind Lastenräder noch in einer anderen Kategorie unschlagbar: Sie sind Klimachampion! Wer verstehen will, wie man ehrlich und authentisch dem Klimawandel die Stirn bietet, kommt um den Begriff der Primärenergie nicht herum. Was sperrig klingt, beschreibt einfach nur die gesamte Kette an Energie, die in etwas steckt oder für etwas verbraucht wird. Also wie viel Energie steckt in einem Liter Diesel?
BigBang-Nerd-Exkurs in die Physik
Die Antwort: ≈ 10.000 Wattstunden. Doch ist das viel? Ist das wenig? Ist das gut oder gar böse? Das kommt darauf an. In Zeiten, in denen wir um des Überlebens unserer Zivilisation willen für jedes Gramm CO2-Einsparung hart arbeiten müssen, ist das sehr viel und damit leider böse (vgl. Ha Vinh Tho). Oder positiv gedacht: Der Vergleich der verbrauchten Energie pro Kilometer (km) zeigt, warum E-Bikes, E-Lastenräder oder das gute alte Fahrrad den mit Abstand wichtigsten Beitrag zu Mobilitätswende leisten werden und damit moralisch gut sind. Und da ist die Embodied Energy noch gar nicht mit eingerechnet.
In den Akku des unten abgebildeten Urban Arrows passen besagte 500 Wattstunden (Wh). Damit schafft man gemütlich 60 bis 80 km Strecke auch bei den vielen Bergen des Ruhrgebiets, die man in Süddeutschland auch als „Hügel“ diffamieren würde. Mit der gleichen Menge Energie kommt ein Tesla Model X – das bereits effizient ist – ca. 2 km weit. Ein sparsames Dieselauto wie ein Seat Ibizia mit viel Glück 1 km.*
Denn in einem Liter Diesel stecken besagte 10.000 Wattstunden an Primärenergie. Allerdings verbrauchen Verbrennungsmotoren auf den ersten Metern exorbitant viel Sprit. Man verbläst also quasi schon beim Anlassen die gesamte Menge an Energie, mit der man mit einem Lastenrad mit Kind und Kegel 60 bis 80 Kilometer weit kommen würde. Nur mit dem Unterschied, dass das Lastenrad keinen Lärm macht, weniger (Park-)Platz braucht, keine vergiftenden Gase erzeugt und man wirklich überall hinkommt. Da hilft es auch nicht, dass Bill Gates beeindruckt ist, wie viel Energie man mit einer Tankladung in ein Auto bekommt (Quelle). Auch dieser alte weiße Mann aus Amerika hat es leider noch nicht verstanden: Das smarte Weniger ist das neue Mehr.
Und nein: Ich wollte diesen Satz schon schreiben bevor Bill Gates Bashing unter Verschwörungsideologen in Mode kam ;-).
BigBang-Nerd-Exkurs in die Psychologie
Soviel zur Physik: Aber der Mensch ist eben ein emotional geleitetes Wesen. Seine Gewohnheiten und Rhythmen, die sie oder er sich aufbaut und braucht, vermitteln das Gefühl von Kontrolle und Geborgenheit. Doch es gibt ein Momentum, in dem sich alles wandeln kann und darf. Der Augenblick, wo die besinnungslose Betriebsamkeit (Grünewald) zum Erliegen kommen und das was sein musste, nicht mehr sein muss: Lebensumbruchsphasen. Die Geburt des eigenen Kindes, ein Kulturwechsel, ein Partnerwechsel oder eben Corona sind das Momentum, in dem unser Gehirn ungewöhnlich offen für mentale Beweglichkeit wird. Wo sich alles neu sortieren kann, kein Paradigmenwechsel zu tollkühn erscheint und plötzlich möglich wird, was vorher nicht möglich schien: zum Beispiel wie in Japan überall mit einer Maske rumzulaufen ;).
Das kann man sich zunutze machen. Im Bösen, wie es Firmen wie Walmart und andere in den USA bereits seit Jahren tun, wie der New Times-Journalist Charles Duhigg in seinem Artikel „How Companies Learn Your Secrets“ offenlegte. Oder im Guten: Indem man diese aktuelle Zeit nutzt, um das anzugehen und umzusetzen, wovon der Verstand lange wusste, dass es ansteht. Denn machen wir uns nichts vor: „Pretty much everyone who can read knows we are in trouble,“
wie es der Harvardprofessor Dan Gilbert in seinem Zehn-Minuten-Talk zu „Global Warming and Psychology“ ausdrückt.
Brauchten wir wirklich Greta, damit wir wissen, dass wir zu unserer eigenen Dekadenz Kerosin und Öl wie Heu verblasen? Nein! Jede*r, die oder der bis drei zählen kann, weiß, dass der Weg von 12 Tonnen CO2 Konsum pro Kopf zu 1,5 Tonnen pro Jahr ein langer und harter ist, sowie, dass billiges Fleisch oder Käse essen, in Flugzeuge steigen und alleine mit einem Auto – dem Luftwiderstand im Quadrat trotzend – mehrere Marathons zu pendeln, um sich vor einen Computer zu setzen, einfach SCHEISSE fürs Klima ist und eine dumme Idee sein könnte. Von den sofortigen Kollateralschäden für Mensch und Tier
mal ganz zu schweigen (vgl. Newton in „Die Anstalt“ und Ha Vinh Tho „Krieg und Öl“ GLS Hauptversammlung 2017). Es ist einfach entfesselter, bodenloser Irrsinn und das wissen wir. Allein das richtige Handeln fällt uns schwer.
Doch nun merken wir – leider getrieben von Not und nicht von Einsicht – dass durch Transformation, also einfach die Umorganisation des Alltags, auch ein anderes, gutes Leben möglich ist, das ohne all diese Nachteile auskommt.
Denn die Waren fließen weiter, es herrscht keine existenzielle Not in Deutschland, da Krankenversicherung und Sozialstaat für alle da sind. Einzig die bestehende massive ungleiche Verteilung von Teilhabe und Vermögen in der Gesellschaft wird ohne ein Grundeinkommen, das den Namen verdient, ungelöst bleiben.
Fazit mit Corona-Bier im Lastenrad
Aber was hat das jetzt alles mit dem Lastenrad und Corona zu tun? Nun wenn es lange Euer Wunsch war, konsistent zu Euren sozial-ökologischen Werten zu leben, Ihr es aber aus welchen guten Gründen auch immer bisher nicht geschafft habt, so zu leben, dann ist nun DER Zeitpunkt gekommen vieles anders und besser zu machen. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, um das eigene Auto oder bei machen auch den Zweitwagen gegen ein hochwertiges eLastenrad oder zwei E-Bikes mit Anhänger zu tauschen. Es wird Euch leichter fallen als jemals zuvor.
Denn nicht nur werdet Ihr durch die äußeren Umstände offen für diesen Wandel. Sondern auch andere Menschen werden Euch mit Eurem Lastenrad wahrnehmen und sich selbst hinterfragen, ob sie ihre uncoole, stinkend Weltvernichtungsmaschine wirklich anwerfen müssen, um von A nach B zu kommen ;-). Jetzt ist das Zeitfenster, wo alles anders werden darf und wo alles anders sein kann. Wo man merkt, dass ein gutes und wundervolles Leben mit weniger Primärenergie, aber dafür mit mehr Sinn möglich ist.
Übrigens: Auch ein Lastenrad kann man gemeinschaftlich anschaffen und teilen! So ist das der GLS Bank per Schlüsselkasten von Fleetster in das Carsharing-System der Bank eingebunden und für 5€ am Tag ausleihbar. Das geht auch im Doppelhaus oder einer Wohnsiedlung :). Wenn man sein schönes Gefährt dann hat kann man es gut und günstig über Elinor versichern lassen.
PS: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass man Guerilla-Zebrastreifen auf die Straßen sprühen sollte.
Lastenräder im Überblick
- Utopia-Artikel zu Lastenrädern
- Nutzrad.de: Übersicht von Lastenrädern
- Velove-Lastenräder z.B. für Höfe
- Lieferdienst-Lastenräder
- Muli: Schlankes Lastenrad das in Züge und Aufzüge passet
- guter Erlebnisbericht einer Familie zum Urban Arrow
- Toller Anhänger für normale Räder
- Forum freies Lastenrad: Lastenräder lokal leihen
- e-Lastenrad.de
Kauf, Versicherung und Zubehör
- Zubehör: Ich empfehle sehr eine gute Handyhalterung, USB-Ladekabel, die Naviki-App als Navi
- Verkehrsclub-Deutschland-Artikel zu Lastenrädern
- Informationen zu Fördermitteln
- Finanzierung via Jobrad
- gemeinschaftliche Versicherung über GLS Bank-nahes Elinor-Netzwerk
- Europäischer Lastentransportrad-Verband
Weitere Artikel von Patrick Held:
* Ich bin kein Ingenieur oder Physiker aber nach akademischen Gewissen gewillt jede These gut zu begründen. Den obigen Angaben liegt folgende Annahme zu Grunde: Ein Dieselauto verbraucht 5 Liter auf 100 km. 5 Liter mal 10.000 Wattstunden sind 50.000 Wattstunden. 100 km sind die 500 Wattstunden pro km.
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