Die Berliner Umweltorganisation Yeşil Çember hat sich interkulturelle Nachhaltigkeitsaufklärung zur Aufgabe gemacht. Ein Gespräch mit Gründerin und Geschäftsführerin Gülcan Nitsch.
Hallo Gülcan, Du hast Yeşil Çember im Jahr 2006 gegründet – damals noch unter dem Dach des Bund für Umwelt- und Naturschutz. Was hat Dich damals beschäftigt?
Ich bemerkte, dass Umweltschutz in der türkischen Community kein Thema war. Auch die türkischen Medien schrieben kaum etwas darüber. Da dachte ich: Wenn es keiner tut, muss etwas ins Rollen gebracht werden. Ich war sehr lange beim BUNDjugend Berlin aktiv. Deshalb war es naheliegend, dass ich dort einen türkischen Arbeitskreis starte. Einige Jahre später gründete ich mit einem Dutzend anderer türkischer Ehrenamtlicher eine gemeinnützige Organisation: die Yeşil Çember – ökologisch interkulturell gGmbH.
Erreichen deutsche Umweltorganisationen migrantische Menschen nicht und, wenn ja, warum?
Die deutsche Nachhaltigkeitsszene erreicht auch die deutsche Bevölkerung nicht. Wenn wir uns die Umwelt- und Naturschutzverbände anschauen, sehen wir: Dort sind hauptsächlich Akademiker*innen, die deutsche Bildungsschicht – das ist eine ,weiße Blase‘. Daraus folgt: Nachhaltigkeitsverbände müssen verschiedene Gruppen besser mitdenken und zielgruppenspezifische Angebote machen. Sozioökonomisch benachteiligte Menschen, die in prekären Umständen leben oder die sich Bioprodukte nicht leisten können. Deshalb kann ich nachvollziehen, dass die deutsche Nachhaltigkeitsszene die migrantische Community lange nicht präsent hatte.
Inzwischen haben viele Verbände und auch Verwaltungen verstanden, dass es dringenden Handlungsbedarf gibt. Die Bereitschaft, sich interkulturell zu öffnen, ist bundesweit deutlich gestiegen. Ich berate seit mehreren Jahren NGOs und Verwaltungen dazu, wie sie sich vielfältiger und zugänglicher aufstellen können. Und wie sie Inhalte so gestalten, dass sie auch migrantische Communities für Umweltthemen sensibilisieren – da hat sich schon einiges getan.
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Raum für Vielfalt

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Hast Du ein aktuelles Beispiel?
Ich versuche oft, neue Formate zu etablieren, die den interkulturellen Austausch fördern. Wir werden bald mit mehreren Vertretern*innen der Migrantenverbände das Umweltbundesamt besuchen und gemeinsam überlegen, wie wir gestalten können. Weitere Beispiele: Ich habe das Netzwerk Berliner Ernährungsstrategie zum Interkulturellen Netzwerk erweitert. Darüber hinaus organisiere ich Begegnungsformate etwa für NGOs und Verwaltung, auch interkulturelle Kiezspaziergänge sind beliebt. Demnächst gründe ich in Wien ein Interkulturelles Umweltnetzwerk und habe dafür bisher über zehn Umwelt- und Migrantenvereine gewonnen.
Welche Reaktionen auf Deine Arbeit erlebst Du?
Interkulturelle Begegnungsräume können magisch sein. Im Frühjahr habe ich ein interkulturelles Fastenbrechen in einem muslimischen Migrantenverein organisiert. Dahin kamen Mitarbeitende der Senatsverwaltung und aus der Wirtschaft. Einige migrantische Teilnehmende hatten Tränen in den Augen, andere lachten, wieder andere waren gerührt und inspiriert von dem, was ihnen zu Beginn fremd war und dann vertraut wurde. Menschen, die sich anfangs nicht kannten, verabschiedeten sich einige Stunden später mit Umarmungen.
Wenn wir die Welt verändern wollen, brauchen wir solche Räume. Natürlich kann das auch beängstigend sein. Da sind oft Vorurteile in unseren Köpfen, Bedenken, Unsicherheiten und sehr viele Gefühle. Auf interkulturelle Veranstaltungen bereite ich immer beide Seiten vor.
Wie schaffst Du es, Menschen das Thema Nachhaltigkeit nahezubringen und sie zu berühren?
Meine Haltung ist: Nicht die Menschen sollen zu mir kommen, sondern ich habe die Verantwortung zu den Menschen zu gehen. Ich muss wissen, was diesen Menschen Spaß macht, was Tabuthemen und was Fettnäpfchen sind, wovon sie träumen und was sie brauchen. Ich sehe mich da als „Aktivistin“: aktivieren statt bevormunden. Wissen ist heutzutage durch das Internet immer verfügbar. Was fehlt sind Inspiration, Motivation und konkrete Ziele und Wege, die wir gemeinsam beschreiten.
Das ist meine Herangehensweise: Ich komme nicht mit erhobenem Zeigefinger und sage: „Wir müssen das und das tun.“ Wir können niemanden zwingen, etwas zu tun. Aber wir können Menschen befähigen, Dinge zu erkennen. Nehmen wir als Beispiel das Lieferkettengesetz: Das überfordert die meisten Menschen, manchmal selbst Intellektuelle. In meinen Workshops schaue ich mir gemeinsam mit den Teilnehmenden die Geschichten von Produkten an. Wir fragen uns: Was steckt hinter meiner Schokolade, meinem Kaffee oder meinem T-Shirt? Dabei kommuniziere ich ganzheitlich, indem ich Umweltschutz mit Gesundheit und Sozialem verbinde. Ich zeige beispielsweise oft den Film „Schmutzige Schokolade“. Der erschreckt viele und sie erkennen, dass die Wahl ihrer Schokolade Kinderarbeit indirekt unterstützt oder eben nicht.
Die Menschen sollen verstehen, wo wir stehen und wie sie durch ihre Entscheidungen etwas Gutes oder Schlechtes für die Welt bewirken können. Wenn ihnen das klar ist, dann habe ich mein Ziel erreicht. Vieles wird dann weitererzählt. Die Mundpropaganda in migrantischen Communities ist viel schneller als in der deutschen Mehrheitsgesellschaft.
Mehr über Yesil Cember
GLS Kundin Yeşil Çember (Türkisch für Grüner Kreis) ermöglicht seit fast 20 Jahren niedrigschwellige Nachhaltigkeitsaufklärung, insbesondere für türkisch- und arabischsprachige Menschen. Die gemeinnützige GmbH mit Sitz in Berlin ist in 14 Städten mit über 100 Ehrenamtlichen aktiv.
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Hier geht es zu den Teilnahmebedingungen
Gibt es dabei Personengruppen, die Du besonders gut erreichst?
Frauen natürlich. Sie sind häufig eher dazu bereit, Dinge in ihrem Leben zu verändern, und etwas für die Gesellschaft zu tun. Es gibt auch viele Männer, die aktiv in Verbänden sind, aber die sitzen eher im Vorstand. Bei uns engagieren sich Menschen aller Generationen und aus allen Bildungsschichten – wir haben eine 13-Jährige dabei, aber auch eine fast 80-Jährige.
Wie gehst Du mit Widerständen um?
Widerstände sehe ich als Herausforderungen und als eine Art Ressource, um etwas Neues und Sinnvolles kreieren kann. Ich habe beispielsweise schon Verwaltungen erlebt, die die migrantische Community zwar besser erreichen wollten, für die meine Vorschläge aber auf den ersten Blick zu schwierig oder etwas „verrückt“ waren. Was für viele schwierig ist und bei dem es pauschal heißt: „Das geht nicht“, bedeutet für mich: „Das ist wirklich schwierig, aber wir könnten eventuell einen Weg finden, wenn wir es wirklich wollen.“ Das ist für mich eine Haltungsgeschichte.
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