Im Februar dieses Jahres startete die Meldestelle Antifeminismus. Seither gehen dort jede Woche zwischen 100 und 200 Meldungen ein. Von den Medien wird die Meldestelle kritisch beäugt.
Antifeminismus gibt es, seit es Emanzipationsbestrebungen von Frauen gibt – in Deutschland seit den Zeiten des Kaiserreichs. Wie zeigt sich Antifeminismus heute? Was sind die Ursachen dafür und was können Betroffene tun? Was ist dran an der Kritik der Medien an der Meldestelle? Darüber sprachen wir mit Judith Rahner. Sie ist Leiterin der Meldestelle Antifeminismus bei der Amadeu Antonio Stiftung, einer Kundin der GLS Bank.
Was ist Antifeminismus?
Judith Rahner: Antifeminismus beschreibt eine Weltanschauung. Zumeist handelt es sich um organisierten Widerstand, zum Teil um Einstellungen und Verhaltensweisen. Antifeminismus richtet sich gegen die Umsetzung von Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit, gegen Selbstbestimmung, gegen feministische Anliegen überhaupt oder gegen die Beseitigung von Sexismus. Es gibt ihn, seitdem Frauen versuchen sich zu emanzipieren.
In Deutschland hat die Feministin Hedwig Dohm 1902 mit ihrem Buch „Die Antifeministen“ den Begriff geprägt. Um 1900 richtete sich der Antifeminismus vor allem gegen die Einführung des Frauenwahlrechts, den Zugang von Frauen zu (höherer) Bildung und das Recht auf Berufstätigkeit. Heute steht Gender im Mittelpunkt antifeministischer Angriffe.
Wie zeigt sich Antifeminismus?
Judith Rahner: Das reicht von menschen-, frauen-, queerfeindlichen und sexistischen Botschaften über organisierte politische Strategien gegen Emanzipationsbestreben bis hin zu Angriffen auf Personen.
Wie stark ist der Antifeminismus in Deutschland?
Judith Rahner: Antifeminismus ist in allen gesellschaftlichen Milieus zu finden. Allerdings zeigen Studien, dass antifeministische Einstellungen mit rechter Ideologie und autoritären Einstellungen zusammenhängen. Die Menschen befürchten, dass Gleichberechtigung die gesellschaftliche Ordnung und den Frieden stören.
2020 hatten 19 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ein geschlossenes antifeministisches Weltbild. 2022 waren es 27 Prozent. Das sind Ergebnisse der Leipziger Autoritarismus Studie. Die Befragten stimmten u.a. der Aussage zu, dass Frauen, „die mit ihren Forderungen zu weit gehen, sich nicht wundern müssen, wenn sie wieder in ihre Schranken gewiesen werden“.
Momentan mobilisiert das Thema Gender sehr stark. Beispiel Bundestag: Da wird über „In-Anführungszeichen-Gender“ gesprochen und gendergerechte Sprache immer wieder verächtlich gemacht. Dazu kommen Einschüchterungsversuche gegenüber Organisationen und Menschen, die für Gleichstellung und Feminismus stehen.
Wie hängen Rechtsextremismus und Antifeminismus zusammen?
Judith Rahner: Im rechtsextremen Denken spitzen sich patriarchale und hierarchische Geschlechtervorstellungen zu. Im Rechtsextremismus sind Geschlechterungleichheit, männliche Überlegenheit und Sexismus ein wesentliches Merkmal. Rechtsmotivierte Attentate der vergangenen Jahre zeigen, dass neben Ideologien wie Rassismus und Antisemitismus, Antifeminismus und Frauenhass ideologisch eine bedeutende Rolle spielen.
Woher kommt die heutige Frauenfeindlichkeit?
Judith Rahner: Sexismus, Frauenfeindlichkeit sind gesellschaftlich noch weit verbreitet. Frauen werden als Frauen abgewertet, diskriminiert oder haben keinen gleichberechtigten Zugang zu bestimmten gesellschaftlichen Positionen oder Ressourcen. Gleichstellung ist ein Kennzeichen dafür, wie modern eine Demokratie ist. Quotenregelung und gleiche Bezahlung sind Instrumente, Gleichstellung zu erreichen. Bei Männern kann das ein Gefühl der Bedrohung oder Verlustängste auslösen. Immerhin können Frauen bei gleicher Qualifikation den angestrebten Job bekommen.
Antifeminismus bespielt sehr häufig Ängste. Da wird geschlechtergerechte Sprache in „Auslöschung der deutschen Sprache“ verkehrt oder Gleichberechtigung in „Erniedrigung des Mannes“.
Natürlich gibt es auch persönliche Auslöser. Wir bekommen viel Post von Männern, die in der Scheidung oder in einem Sorgerechtsstreit stecken und die den Feminismus für die Auseinandersetzung mit ihrer Frau verantwortlich machen.
Wie arbeitet organisierter Antifeminismus?
Judith Rahner: In den vergangenen Jahren sind von der antifeministischen Bewegung in den USA und aus Russland über 700 Millionen Euro an Organisationen in Europa bezahlt worden, die sich klar antifeministisch betätigen. Das geht aus dem Bericht des Europäischen Parlamentarischen Forums für sexuelle und reproduktive Rechte hervor. Vieles findet im digitalen Raum statt. Auf Plattformen, Portalen, Blogs, in sozialen Medien, über die organisierte Kampagnen gegen Frauen und Genderthemen laufen. Hier findet man auch Anleitungen dazu, wie man Frauen und Politiker*innen, die sich feministisch äußern, mundtot machen kann. Die Gefahr eines Backlash ist global. Dahinter stehen autoritäre Regierungen von Trump bis Putin.
Welche Ziele hat die Meldestelle Antifeminismus?
Judith Rahner: Bisher gibt es keine systematische Erfassung von antifeministischen Angriffen, Bedrohungen oder Diffamierungen. Mit der Meldestelle wollen wir Licht ins Dunkel bringen: Wie sieht Antifeminismus aus? Wo findet er statt? Wen betrifft er? Wir wollen der Öffentlichkeit zeigen, welch’ eine hässliche Fratze Antifeminismus im Alltag für viele Betroffene hat. Bis zum Ende dieses Jahres möchten wir ein genaueres Lagebild erstellen. Wir hoffen, dass wir damit bei der Politik und bei Sicherheitsbehörden Gehör finden und diese die Betroffenen besser schützen.
Seit vielen Jahren beraten wir außerdem Gleichstellungsbeauftragte und Organisationen, die zu Vielfaltspädagogik arbeiten. Sie werden immer wieder bedroht. Und natürlich beraten wir Einzelpersonen, die akut in einer schlimmen Situation sind.
Richten Sie sich nur an Frauen?
Judith Rahner: Wir sind für alle Geschlechter da.Tatsächlich melden sich bei uns auch Männer, die wegen ihres Engagements für die Gleichstellung angefeindet werden. In unseren Workshops wünsche ich mir noch viel mehr Männer, denn autoritäre Vorstellungen betreffen auch sie.
Was raten Sie, wenn jemand Opfer von Hass oder anderen Angriffen wird?
Judith Rahner: Hier hat Eigenschutz oberste Priorität. Bei Angriffen in Social Media unterstützen wir technisch und prüfen die Einstellungen der Accounts. Es kann ratsam sein, bestimmte Foren zu meiden oder das eigene Profil jemandem anderen zu geben, der/die die schlimmsten Nachrichten herausfiltert. Ich schaue mir meine eigenen Hass-Meldungen auch nicht mehr an. Heißt es, „Mal schauen, wo Frau X wohnt“, kann man eine Melderegistersperre beim Ordnungsamt beantragen.
Wichtig ist für die Betroffenen zu erkennen, dass sie nicht persönlich angegriffenen werden, sondern weil sie für das Feindbild „Feminismus“ stehen. In Trainings üben wir, sich Antifeminismus mit Argumenten zu widersetzen, aber auch zu erkennen, wann es sinnlos ist, weiterzumachen. Hilfreich ist außerdem, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen.
Was antworten Sie auf den Vorwurf in den Medien, die Meldestelle sei ein Pranger?
Judith Rahner: Diese Kritiker*innen hätten sich einfach besser informieren müssen. Wir sind eine Anlaufstelle für Betroffene. Die Fälle nehmen wir ohne personenbezogene Daten auf, außer wenn der/die Betroffene die E-Mail-Adresse für eine Beratung hinterlässt. Werden Namen genannt, anonymisieren wir die Daten. Wir sind keine Strafverfolgungsbehörde, sondern eine zivilgesellschaftliche Organisation.
Wie finanziert sich die Meldestelle?
Judith Rahner: Die Meldestelle gehört zum Projekt „Antifeminismus begegnen – Demokratie stärken“. Projektpartner sind die Amadeu Antonio Stiftung, das Gunda Werner Institut und Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V. Seit Ende 2021 wird das Projekt vom Bundesfamilienministerium finanziert.
Warum ist Antifeminismus gefährlich?
Judith Rahner: Die hohe Mobilisierungsfähigkeit des „Hass-Themas“ Gender hat zur Folge, dass Betroffene sehr aggressiv mit Beleidigungen und Falschbehauptungen überrollt werden. Manche Engagierten haben sich bereits aus der öffentlichen Debatte zurückgezogen. Antifeminismus verhindert die demokratische Teilhabe und führt dazu, dass Themen aus der Öffentlichkeit verschwinden.
Auf politischer Ebene besteht die Gefahr, dass feministische Errungenschaften wieder rückgängig gemacht werden. Wir müssen gerade jungen Menschen vermitteln, dass die Gleichstellung und die Liberalisierung, die wir jetzt in Deutschland haben, von Frauenrechtler*innen über sehr lange Zeit hart erkämpft wurden. Diese Modernisierung darf nicht rückgängig gemacht werden. Das ist das Ziel des organisierten Antifeminismus und eine große Gefahr für die Demokratie. Dagegen wehren wir uns.
So könnt ihr die Meldestelle unterstützen
Judith Rahner studierte Gender-Studies, Musik- und Erziehungswissenschaften und ist bei der Amadeu Antonio Stiftung für Rechtsextremismusprävention zuständig. Sie leitet im Rahmen des Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention den Projektbereich zur Stärkung der bundesweiten Zivilgesellschaft und ist Leiterin der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus.
Die Amadeu Antonio Stiftung setzt sich für die Stärkung der Demokratie ein und wendet sich gegen Rechtsextremismus. Mehr zum Thema Rassismus, könnt ihr in einem Gastbeitrag der Stiftung hier auf unserem Blog lesen.
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