Seit Dezember streiken in Deutschland die Schüler*innen. Ihre Forderung: JETZT für das Klima handeln. Mittlerweile gehören die Demonstrationen von Fridays for Future (FFF) zum Alltag in deutschen Städten. Wir sprachen mit Luisa Neubauer von FFF.
Ihr streikt jede Woche, Regierungschefs laden Euch ein, es wird so viel über das Klima diskutiert wie nie. Bist du mit dem bisher Erreichten zufrieden?
Luisa Neubauer: Nein, ich bin nicht zufrieden. Am 15. März haben wir 300.000 Menschen mobilisiert, mehr als irgendjemand erwartet hätte. Aber das bringt dem Planeten erstmal nichts. Auch wenn die Streiks ein emanzipatorischer Erfolg sind, sind sie kein klimapolitischer. Und darum geht es.
[grey_box]Deutschland hat sich dem Pariser Klimaabkommen und den Nachhaltigkeitszielen der UN (SDG) verpflichtet. Dennoch werden die Klimaschutzziele 2020 verfehlt. Statt 40 % weniger Treibhausgasen 2020 – gegenüber 1990 – erreicht es nur 32 % weniger (BMU Klimaschutzbericht, S.18).[/grey_box]
Wo seht Ihr die größten Hebel, um die Erderwärmung bei +1,5 Grad zu begrenzen?
Die Regierung muss die notwendigen Gesetze auf den Weg bringen. Und wir müssen bei den gigantischen Finanzinteressen der fossilen Energieindustrie ansetzen. Es dürfen sich nur noch Erneuerbare lohnen.
[grey_box]Die Bundesregierung will im Jahr 2050 Nettonull-Emissionen erreichen, FFF 2035; BR plant Kohleausstieg bis 2038, FFF 2030; Bundesregierung will 80 % Erneuerbare in 2050, FFF 100 % bis 2035. [/grey_box]
Ihr fordert KlimaGERECHTIGKEIT? Was meint Ihr damit?
Klimagerechtigkeit hat eine zeitliche und eine räumliche Dimension. Zum einen ist es ungerecht, uns jungen Menschen unsere Zukunft wegzunehmen, bevor wir sie überhaupt gelebt haben. Unsere Zukunft wird von den Klimakatastrophen um uns herum überlagert sein.
Andererseits erleben wir jetzt schon Dürren, Wirbelstürme, Überschwemmungen, Artensterben. Dass wir es wagen, die Gegenwart von anderen in anderen Teilen der Welt derart zu terrorisieren, ist sehr ungerecht.
[grey_box]14,2 Prozent der Bevölkerung Afrikas sind für 3,1 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. 11,1 Prozent der Europäer*innen (inklusive der Russischen Föderation) sind für 16,1 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. (Quelle: Archeprojekt). Haushalte mit geringen Einkommen verursachen deutlich weniger CO2-Emissionen als Haushalte mit größeren Einkommen.[/grey_box]
Der Klimawandel ist global. Eure Bewegung auch. Die Medien berichten aber lieber über Eure Streiks. Fehlen Euch die weltweiten Zusammenhänge?
Wir haben in Deutschland eine uninformierte Öffentlichkeit, zum Teil auch eine uninformierte Medienwelt und eine uninformierte Politik. Die Menschen haben keine Idee davon, was mit dem Klima los ist. Daraus haben wir einen großen Bildungsauftrag mitbekommen. Nach wie vor bedienen wir in Europa immer noch das Narrativ, dass der Klimawandel woanders stattfindet. Das lähmt. Wir halten entgegen: Nein, der Klimawandel ist genau hier, hier vor der Tür. Wenn wir dieses Bewusstsein geschaffen haben, können wir den globalen Aspekt draufsetzen.
Was erwartet Ihr von Unternehmen?
Unternehmen sind teilweise mächtiger als Regierungen. Damit haben sie eine immense Verantwortung dafür, wie, wo und was sie wirtschaften, vor allem auch dafür, welche weltweiten Dynamiken sie anfeuern oder eben nicht. Dieser Verantwortung müssen sie gerecht werden. RWE zum Beispiel muss sich gerade vor einer ganzen Generation rechtfertigen.
Bei Euren Aktionen bezieht Ihr Euch auch auf das Grundgesetz.
Ja, vor allem auf den Artikel 20a, „der Staat schützt … die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere …“. Das fängt aber bei Artikel 1 an. Von wessen Würde können wir noch sprechen, wenn unsere Zukunft so krass bedroht wird?
[grey_box]§1 Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.[/grey_box]
1972 hat Club of Rome die Grenzen des Wachstums beschrieben. Trotzdem ist es uns nicht gelungen, den Klimawandel zu bremsen. Wird das mit FFF anders?
Wir werden das nicht allein schaffen. Was uns hilft ist, dass die Klimakrise heute deutlich mehr fühlbar ist und irreversible Schäden sichtbar werden. Theorie berührt die Menschen nicht. Wir merken auch, dass die Vorstellung, wir machen was kaputt und reparieren es dann wieder, auf unseren Planeten nicht anwendbar ist. Außerdem sagen die wissenschaftlichen Prognosen klar, dass wir diejenigen sind, die die Klimakrise ertragen werden und dass wir die letzten sind, die noch richtig viel retten können.
[grey_box]Zu den sogenannten Kipp-Punkten zählen u.a. das arktische und das antarktische Eisschild, der Jetstream (Starkwindbänder), Permafrostböden, der Regenwald im Amazonas, die Fähigkeit der Ozeane, Kohlendioxid zu speichern und einige mehr.[/grey_box]
Wie trefft Ihr Eure Entscheidungen?
Wir stimmen uns per WhatsApp ab. In unserem Plenum ist aus jeder Ortsgruppe ein*e Delegierte*r dabei. In einer Woche diskutieren wir zum Beispiel über die nächsten großen Streiks oder Aktionen, die Ortsgruppen entscheiden dann in ihren Treffen und in der Folgewoche stimmen wir dann im Plenum ab. Das funktioniert sehr gut.
Wie gelingt uns ein Zusammenleben, das nicht so zerstörerisch ist?
Ich glaube, es braucht eine kritische Selbstreflexion. Wir müssen uns fragen, wer uns das Recht gibt, so zu leben, wie wir gerade leben, ohne nach rechts und links zu gucken.
Wie stellst Du Dir deine Zukunft vor?
Ich habe gerade einen Masterstudiengang an einer sehr guten Uni abgelehnt, weil ich mich mit der Klimakrise befasse. Ich frage mich: Geht das jetzt ein Leben lang so weiter? Gleichzeitig ist es motivierend zu sehen, wie viele Menschen sich einreihen, das macht alles ein wenig leichter.
Wie kann jede*r FFF unterstützen?
Spendet! Kommt zu unseren Demos! Kommt am 24.5. zu unserem Klimastreik!
[grey_box]Anfang April wurden Schüler*innen, die an den Fridays For Future Streiks teilnahmen, mit Bußgeldern bedroht. Die GLS Bank unterstützte daraufhin die Einrichtung eines Rechtshilfefonds für betroffene Aktivisten*innen. Bisher sind knapp 40.000 Euro zusammengekommen.[/grey_box]
Das Interview führte Bettina Schmoll auf der re;publica 2019.
Fotos: Jörg Farys (Titel), Porträt (Marlin Helene)
Lest hier weitere Blogbeiträge zum Klima.
Schreibe einen Kommentar