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Das Ende der Nachhaltigkeit

Die Europäische Union hat den ersten „nachhaltigen” Fonds zugelassen, der in Waffen investiert. Das beraubt die Idee der nachhaltigen Finanzierung ihrer Bedeutung.

Von Andrea Baranes von der italienischen Banca Etica

Es lag schon lange in der Luft, am vergangenen Montag (20. Oktober) wurde es offiziell. Der erste europäische Fonds, der ausdrücklich in Waffen investiert, wurde von der Europäischen Union als „nachhaltig” eingestuft.

Nachhaltige Waffen. Wie ist das möglich?

Seit mehreren Monaten steht Aufrüstung ganz oben auf der europäischen Agenda. Neben der allgegenwärtigen Wettbewerbsfähigkeit ist sie die vielleicht einzige Priorität. Die Bemühungen der Institutionen konzentrieren sich darauf, wie eine wachsende Kapitalmenge in die Rüstungsindustrie gelenkt werden kann. Diese Bemühungen betreffen sowohl die öffentlichen Finanzen (mit dem Hunderte von Milliarden Euro schweren Plan „ReArm Europe”) als auch die privaten Finanzen. In diesem Zusammenhang wird an der Richtlinie „Saving and Investment Union” gearbeitet, einer Reihe von Maßnahmen zur Entwicklung des europäischen Finanzmarktes. Ein Ziel ist, die 10 Billionen Euro, die die europäischen Bürger*innen auf ihren Bankkonten halten, in Finanzinvestitionen zu lenken. In welche Unternehmen und Branchen, ist im aktuellen Klima der Militarisierung klar.

Aber es reicht noch nicht aus, Vorschriften zu erlassen, damit unser Geld von den Girokonten in Waffen fließen kann. Alle verfügbaren Ressourcen müssen genutzt werden. Und so sind seit dem vergangenen Jahr Stimmen zu hören, zunächst zaghaft, dann immer deutlicher, die darauf hinweisen, dass auch Waffen – oder besser gesagt „der Verteidigungssektor“ – als nachhaltige Investition betrachtet werden können. Slogans wie „Ohne Sicherheit keine Nachhaltigkeit“ machen sich breit. Es wird darauf hingewiesen, dass es bei wörtlicher Auslegung der europäischen Definitionen und Vorschriften für nachhaltige Finanzen kein ausdrückliches Verbot gibt, Waffen einzubeziehen.

Ein „Qualitätssprung“ erfolgt mit der Veröffentlichung des Draghi-Berichts über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Darin heißt es, dass „der Zugang zu Finanzmitteln [für die Verteidigung] oft durch die Auslegung der EU-Rahmenbedingungen für nachhaltige Finanzen und der Rahmenbedingungen für Umwelt, Soziales und Governance (ESG) durch die Finanzinstitute behindert wird”.

Nachhaltigkeit wird zum „Hindernis“

Vielleicht sollten wir einen Moment innehalten. Seit über zwei Jahrhunderten basiert die Definition von nachhaltiger Finanzierung auf dem Ausschluss der Rüstungsindustrie. Bereits im 18. Jahrhundert beschlossen einige religiöse Fonds in den Vereinigten Staaten, nicht in „sündige Aktien“ zu investieren. Zu den ersten gehörte die protestantische Gemeinschaft der Quäker, die insbesondere zwei Sektoren ausschloss: die am Sklavenhandel beteiligten Industrien und die mit dem Krieg verbundenen Industrien. Das heißt die Rüstungsindustrie. Diese Position wurde von den wichtigsten Bankennetzwerken, die ihre Tätigkeit auf Nachhaltigkeit gründen, nachdrücklich bekräftigt. Dazu zählen die Europäische Föderation der Ethikbanken und alternativen Banken (FEBEA) und die Global Alliance for Banking on Values (GABV).

Es war schon immer so, seit zweihundert Jahren. Bis gestern. Ab heute kann auch ein Fonds, der in Waffen investiert, nachhaltig sein. Achtung, wir sprechen hier nicht von einem Fonds, der in eine Vielzahl von Sektoren und nur marginal in Waffen investiert. Sondern wir sprechen von einem Fonds, der sich ausschließlich auf Investitionen in Unternehmen der Verteidigungsindustrie konzentriert.

Seit über zwei Jahrhunderten basiert die Definition von nachhaltiger Finanzierung auf dem Ausschluss der Rüstungsindustrie.

Andrea Baranes

Die Situation ist tragisch

Wenn Du nun zu Recht denkst, dass nichts mehr nachhaltig ist, wenn alles nachhaltig ist, so hat der Fonds tatsächlich einige Kriterien eingeführt, um sich als „nachhaltig” zu erweisen. Umstrittene Waffen werden ausgeschlossen. Wie gütig. Der Fonds darf – vorerst? – nicht in Unternehmen investieren, die an der Herstellung von Antipersonenminen, chemischen oder biologischen Waffen oder abgereichertem Uran beteiligt sind. Das Tüpfelchen auf dem i ist jedoch die Entscheidung, Unternehmen auszuschließen, die mehr als fünf Prozent ihres Umsatzes mit Tabak erzielen. Der Bau von Jagdbombern oder Atombomben ist nachhaltig, der Anbau von Tabak hingegen absolut nicht. Das ist mehr als lächerlich. Man könnte darüber lachen, wenn die Situation nicht so tragisch wäre. Was diese Woche passiert ist, betrifft nicht den Rüstungssektor. Mit dieser Entscheidung wurde der vor fast zehn Jahren von der Europäischen Union eingeschlagene Weg zur Definition und Einordnung nachhaltiger Finanzierungen zunichte gemacht.

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4 Antworten zu „Das Ende der Nachhaltigkeit“

  1. Avatar von grretl
    grretl

    Das ist ein Schritt in die falsche Richtung

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