Gehwege wurden eingerichtet, um das Fußvolk vor dem Verkehr zu schützen? Das könnte man meinen. Tatsächlich war es aber umgekehrt: Noch vor 100 Jahren durften die Straßen von allen Menschen gleichberechtigt benutzt werden. Das war schlecht für den aufkommenden Autoverkehr, denn viele Fußgänger*innen wollten zunächst einfach nicht aus dem Weg gehen. Obwohl das immer gefährlicher wurde, mussten sie den Autos keine Vorfahrt geben. Erst 1934 mit der Reichs-Straßenverkehrsordnung änderte sich das. Das Recht des Stärkeren wurde Gesetz.
Eine ähnliche Geschichte kann vom Eigentum erzählt werden: Gängige Meinung ist, dass der Staat die Mittellosen vor den Vermögenden schützt und ohne seine Eingriffe die Reichen noch reicher wären. Aber zur Rolle des Staates gehört auch, dass er das Privateigentum etwa an Grund und Boden gegen breite Bevölkerungsgruppen durchsetzt und aufrechterhält.
In den USA beispielsweise wurde das Land der Indigenen als „wasteland“ definiert und sogar aufgeklärte Staatsmänner wie John Locke behaupteten: Es sei die von Gott erteilte Aufgabe des Menschen, den ursprünglichen Gemeinbesitz in Privatbesitz zu überführen.
Staatlich durchgesetzte Privatisierungen fanden in allen Weltregionen statt, teilweise laufen sie immer noch. Gerechtfertigt wird das auch durch den Wirtschaftsliberalismus, der sagt: Der Staat solle die Menschen weniger schützen, bedingungslos jedoch das Eigentum.
Aber in Artikel 14 des Grundgesetzes steht: Eigentum verpflichtet, und sein Gebrauch solle der Allgemeinheit dienen. Auch aus wirtschaftlicher Perspektive ist klar: Die enormen Bodenpreise in vielen Metropolen weltweit machen zwar einige Reiche noch reicher, aber es entstehen keine realen Werte, denn der Boden wird dadurch nicht besser. Ökonomisch sinnvoll sind diese Preissteigerungen also nicht.
Kein Wunder also, dass spätestens seit Corona die Profitlogik für „kollektive Güter“ wieder offen diskutiert wird. Gesundheit, Verkehrsnetz oder Wohnen sollten nicht von Marktmechanismen bestimmt sein. Auch ins Eigentum von Produktionsmitteln kommt Bewegung: In dieser Legislaturperiode steht wohl ein Gesetz an, dass Unternehmen unverkäuflich gemacht werden können. Und global kämpfen indigene Gruppierungen für ihr Land als Gemeineigentum und damit für ihre Lebensgrundlagen, wie etwa die Zapatistas in Mexiko.
Es steht an, die alten Geschichten infrage zu stellen: Wem nützt etwa die Theorie, dass der Egoismus des Einzelnen gut für das Gemeinwohl sei? Welche Schattenseiten hat die fortschreitende Privatisierung, und welche Alternativen gibt es, etwa genossenschaftliche? Warum priorisieren wir Individualverkehr im Sinne von Autos, aber nicht im Sinne von Menschen, die zu Fuß unterwegs sind? – Höchste Zeit, dass wir uns als Individuen wieder die öffentlichen Räume und Güter zurückerobern. Wir haben lange genug darauf verzichtet.
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