Weltkindertag: Wie steht es um die Kinderrechte in Deutschland?

Kinderrechte sind das Motto des Weltkindertags am 20. September. Wie geht es Kindern heute in Zeiten von Klimakrise, Corona, Krieg und Armut? Werden sie geschützt, gehört und beteiligt? Das haben wir Milena Feingold vom Deutschen Kinderhilfswerk (DKHW) gefragt.

Milena Feingold vom Deutschen Kinderhilfswerk
Milena Feingold, Deutsches Kinderhilfswerk

In Deutschland leben fast 14 Millionen Kinder. Jedes fünfte von ihnen wächst in Armut auf. Jeden Tag erfahren Kinder sexualisierte Gewalt.

Den Weltkindertag gibt es seit 1954. 1989 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die UN-Kinderrechtskonvention verabschiedet. In dieser sind Rechte zum Schutz, zur Förderung und zur Beteiligung von Kindern fest verankert. In Deutschland trat die UN-Kinderrechtskonvention 1992 in Kraft.

Warum braucht es Kinderrechte?

Weil Kinder keine kleinen Erwachsenen sind. Sie brauchen besonderen Schutz und besondere Förderung. Das sichern die Kinderrechte ab. Die Menschenrechte gelten natürlich auch für Kinder. Doch die Kinderrechte werden zusätzlich den sehr speziellen Bedürfnissen von Kindern gerecht.

Wie steht es um die Rechte der Kinder in Deutschland?

Da gibt es aus unserer Sicht einigen Verbesserungsbedarf. Zunächst einmal: Kinderrechte sind noch immer nicht im Grundgesetz verankert. Damit sind die Kinderrechte zum Beispiel nicht einklagbar, wenn sie missachtet werden.

Stichwort Kinderarmut: Im reichen Deutschland ist die Kinderarmut seit langer Zeit konstant hoch. Eines von fünf Kindern ist von Armut betroffen – doch die Politik hat keine Gesamtstrategie, wie sie diese senken will.

Eine große Leerstelle sehen wir auch bei der gesellschaftlichen Mitbestimmung von Kindern. Das war besonders deutlich bei den Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Die Kinder wurden bei all den Maßnahmen nicht einbezogen. Die Schließungen von Schulen, Kitas und sogar Spielplätzen während der Lockdowns haben ihr Leben aber massiv eingeschränkt. Viele litten in dieser Zeit unter Angst, nicht wenige hatten Depressionen. Nach der Rückkehr in den Schulalltag stehen manche enorm unter Leistungsdruck und haben Versagensängste.

Dringenden Handlungsbedarf haben wir auch bei der Situation von geflüchteten Kindern in Deutschland. Die Aufnahmeeinrichtungen sind oft überfüllt, es gibt keinen Rückzugsraum und nicht immer ausreichend Schutz vor Übergriffen. In manchen Bundesländern können die geflüchteten Kinder keine Regelschule besuchen. Sind die Kinder allein geflohen, haben sie zwar ein Recht auf Familiennachzug. Der ist aber kompliziert und gilt nur für die Eltern. Was aber, wenn es noch minderjährige Geschwister gibt? Diese dürfen nicht nachziehen.

Trotzdem gibt es auch Fortschritte. Kinder und Jugendliche treten immer stärker für ihre Rechte ein und wollen anpacken, Dinge verändern. Das erleben wir an den Schulen, mit denen wir zusammenarbeiten, oder sehen es auch bei größeren Bewegungen wie Fridays For Future. Dass in einigen Bundesländern und Kommunen Jugendliche ab 16 Jahren wählen ist ein Fortschritt – aber mit Luft nach oben: Wir setzen uns für eine flächendeckende Senkung des Wahlalters ein, auch bei Bundestagswahlen oder EU-Wahlen.

Was muss sich jetzt für Kinder dringend ändern?

Wir müssen die Kinderarmut überwinden! Wenig Geld bedeutet meist auch schlechtere Bildungschancen und somit schlechtere Chancen insgesamt im Leben. Wer zuhause kein Geld hat für Nachhilfe, nicht erlebt, wie wichtig Lesen ist, oder in beengten Wohnungen keinen ruhigen Platz zum Lernen hat, ist klar im Nachteil. Zudem wird Kindern aus armutsbetroffenen Familien häufig auch weniger zugetraut.

Damit sind wir beim nächsten Thema: Kinder müssen mehr beteiligt werden. Das ist Demokratie und sie haben ein Recht darauf mitzureden! Sie sind die Expert*innen für ihre Angelegenheiten, wissen, was eine gute Skateranlage ausmacht, wo der Schulweg nicht sicher ist oder was sie brauchen, um sich in der Stadt wohlzufühlen.

Unser Ziel als Deutsches Kinderhilfswerk ist ein kindgerechtes Deutschland, in dem die Kinderrechte vollumfänglich umgesetzt werden. Das betrifft alle Lebensbereiche von Kindern, wie auch Schutz vor Gewalt, das Recht auf Information oder nicht zuletzt das Recht auf eine saubere Umwelt, um gut aufwachsen zu können.

Warum sollten Kinderrechte ins Grundgesetz?

Weil dann der Staat stärker in der Pflicht wäre, kindgerechte Lebensverhältnisse und kindgerechte Rahmenbedingungen zu schaffen. Das würde den jüngsten Mitgliedern in unserer Gesellschaft ein kindgerechtes Aufwachsen ermöglichen. Gleichzeitig würden die Kinderrechte sichtbarer werden und sie wären einklagbar. Die Regierungsparteien haben im Koalitionsvertrag vereinbart, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, bisher ist es darum aber noch sehr ruhig. Um unser Ziel zu erreichen, müssen wir in Deutschland noch ein bisschen am System rütteln. Das tun wir unter anderem gemeinsam mit unseren Partnern im Aktionsbündnis „Kinderrechte ins Grundgesetz“.

Sind Kinderrechte nur etwas für die Politik?

Kinderrechte gehen uns alle an, schließlich sind Kinder und Jugendliche Teil unserer Gesellschaft. Kinderfreundlichkeit fängt bereits damit an, dass wir Kinder respektvoll behandeln, ihnen zuhören und sie einbeziehen. Aber auch, indem wir uns informieren: Je mehr wir alle über Menschen- und Kinderrechte wissen, desto besser können wir sie umsetzen. Wer mag, kann auch Kinderhilfsorganisationen und -projekte unterstützen. In einer kindgerechten Gesellschaft leben nicht nur Kinder und Familien gut, sondern es profitieren alle davon.

Was meint ihr zum Thema Kinderrechte? Was wäre euch besonders wichtig?

[green_box]Das Deutsche Kinderhilfswerk setzt sich seit 50 Jahren jeden Tag für Kinder ein und hat den Weltkindertag zu einem bundesweit bekannten Ereignis gemacht. Die Stiftung Deutsches Kinderhilfswerk ist GLS Bank Kundin. Die Organisation kümmert sich um alle Kinder in Deutschland, unabhängig von ihrer Herkunft. Ziel der Kinderrechtsorganisation ist die Bekanntmachung und Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland. Schwerpunkte sind dabei die Überwindung von Kinderarmut, Bildungsgerechtigkeit und Beteiligung (Demokratieförderung) sowie die Themen Spiel, Medienkompetenz und kulturelle Bildung. Das Deutsche Kinderhilfswerk trägt das DZI-Spendensiegel und ist Mitglied der Initiative Transparente Zivilgesellschaft.[/green_box]

Fotohinweise
Titelfoto: Holger Hoffmann, Geschäftsführer des DKHW mit Kindern
© Deutsches Kinderhilfswerk/CindyuKay
Porträt: Milena Feingold, Öffentlichkeitsarbeit Stiftung DKHW
© Deutsches Kinderhilfswerk

Lest auch unseren Beitrag „Schnelles Kindergeld“ 

Schnelles Kindergeld

Diesen Artikel teilen

2 Antworten zu „Weltkindertag: Wie steht es um die Kinderrechte in Deutschland?“

  1. Avatar von Rainer Kirmse , Altenburg
    Rainer Kirmse , Altenburg

    |

    JEDER TAG KINDERTAG

    Großer Wunsch für unsere Kleinen!
    Möge für sie die Sonne scheinen
    in einer kinderfreundlichen Welt,
    wo nicht das Geld der Eltern zählt.

    Kinderarbeit, Mißbrauch, Gewalt.
    Gebieten wir den Übeln Einhalt!

    Kinder heraus aus Elend und Plage,
    sie brauchen Liebe an jedem Tage.
    Kinder sollen sich geborgen fühlen,
    allzeit im Frieden lernen und spielen.

    Achtung vor Mensch, Tier und Natur
    ist wichtiger als Abitur.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus Thüringen

  2. Avatar von Lukas
    Lukas

    |

    Leider kriegen wir es ja selbst in den Institutionen Kindergarten und Schule nicht hin die Rechte der Kinder zu wahren. Kinder werden dort überwiegend als kleine Erwachsene Gruppe und nicht als Individuum wahrgenommen. Das wird sich leider auch nicht ändern, solange es an den Hochschulen noch so unterrichtet wird. Das Problem ist viel größer als hier beschrieben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Weitere aktuelle Themen