Es gibt gute Gründe, die Zustände der Menschheit und der Welt zu beklagen. Aber genauso viele Hinweise, dass wir gerade dabei sind, durch mehr Wir-Sinn neue Formen von Solidarität und Gemeinschaft zu entwickeln – und damit das Miteinander neu zu definieren. Eine Spurensuche.
Ich war neulich auf einer Party. Eine Freundin feierte einen runden Geburtstag. Da sich viele Gäste nicht kannten, wünschte sie sich ein kleines Kennenlernspiel: Jeder möge sich für zehn Minuten mit jemandem unterhalten, mit dem er zuvor noch nie gesprochen hatte. Und so stand ich bald mit einem Mathematiker zusammen. Als ich den Einrichtungsstil der Gastgeberin lobte, meinte er, unvermittelt das Terrain des Smalltalks verlassend: „Ja, nett, wie sich der bürgerliche Mensch seine kleine, behagliche Welt zurechtzimmert, während das System mürbe und erschöpft ist und jeder nur noch die eigenen Pfründe sichert.“ Und damit meinte er wohl auch uns, wie wir da in der großzügigen Hamburger Altbauwohnung mit Biowein anstießen.
Ich dachte später darüber nach, was er gesagt hatte: Und ja, es ist fraglos richtig und notwendig, festzustellen und zu beklagen, dass die Art und Weise, wie wir zusammenleben vielerorts geprägt ist von Turbo-Individualismus und sozialer Ungerechtigkeit. Viele Menschen leiden tagtäglich an Beziehungslosigkeit und Unverbindlichkeit.
Diese Geschichte lässt sich gut erzählen. Nach hieb- und stichfesten Belegen für all das muss man nicht lange suchen. Man findet sie zum Beispiel in den Zahlen der Krankenkassen über depressive Erkrankungen, die auch ein Hinweis darauf sind, wie wenig sich der moderne Mensch aufgehoben und mit anderen verbunden fühlt. Sie lässt sich erzählen über die mangelnde Solidarität im Bildungsbereich, wenn gut organisierte Elterngruppen ihre Partikularinteressen auf Kosten von Familien durchsetzen, die nicht über das kulturelle Rüstzeug und praktische Know-how verfügen, ihre Bedürfnisse öffentlichkeitswirksam zu artikulieren. Oder anhand des aktuellen Werks des Ökonomen Thomas Piketty. Auf 685 Seiten hat der Franzose haarklein belegt, dass unser kapitalistisches Wirtschaftssystem nach dem ungerechten Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben“ funktioniert. Man ahnte es.
Aber womöglich gibt es auch eine andere Geschichte, die man erzählen sollte. Die These: In der Abkehr vom bestehenden System werden viele neue Formen des Miteinanders erprobt, das „Wir“ wird von immer mehr Menschen neu gedacht und gelebt. Künstler setzen sich mit neuen Formen des Miteinanders auseinander, genauso wie Forscher, Hausgemeinschaften, Schulen oder Arbeitsgruppen, die Projekte zukünftig anders organisieren wollen. Vielleicht muss man sich all die verschiedenen Aktivitäten, Ansätze und Projekte wie ein kleinteiliges Mosaik vorstellen, um das hoffnungsvolle Gesamtbild besser zu erkennen. Dann sieht man zum Beispiel, dass die Zahl derer steigt, für die „höher, schneller, mehr“ nicht mehr das Maß der Dinge ist und die ihr Geld deshalb lieber in Genossenschaftsbanken anlegen. Immer mehr setzt sich in Forschung und Gesellschaft die Erkenntnis durch: Wir Menschen sind zutiefst soziale Wesen. Wir brauchen die anderen und das Gefühl, geborgen und zugehörig zu sein – auch im 21. Jahrhundert. An vielen Orten werden so aus utopischen Ideen konkrete Überlegungen und reale Versuche: Wie können wir anders zusammenleben, gemeinschaftlicher handeln und sogar wirtschaften? Besuche bei einem französischen Graffiti-Künstler, Plattdeutsch sprechenden Krankenpflegern und Kölner Stadtführerinnen zeigen es.
Den vollständigen Artikel von Almut Siegert lesen Sie in Werde Heft 1/14.
Fortsetzung
folgt in loser Reihe mit weiteren Gastbeiträgen aus den Zeitschriften “Wald”, “Werde”, info3 und “enorm”.
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