Robin Hood Store: Ein Biomarkt, der sich fast gänzlich der kapitalistischen Logik von Wachstum und Profit entzieht – kann das auf Dauer gut gehen? Mattis und Hanna aus Berlin haben es gewagt und gleich zwei Robin Hood Stores eröffnet. Daraus könnte eine ganze Ladenkette werden. Eine engagierte Community hilft, das Projekt groß werden zu lassen.
Mattis und Hanna wollten einen Bio-Laden, der nicht nur faire und gesunde Produkte führt, sondern auch beim Wirtschaften und im Sozialen andere Maßstäbe setzt: weder Gewinn noch Wachstum als Selbstzwecke, kein sinnloser Konsum, kein Einkaufen ohne zwischenmenschliche Begegnungen. Außerdem wollten sie nicht mühsam nach Sponsoren- und Kreditgebern suchen.
„Unser Ideal ist, dass es kein Kapitaleinkommen in unserem System mehr gibt und Reichtum sich endlich anders verteilt“,
skizziert der 26 Jahre alte Mattis seine Vorstellungen. Erste Konsequenz daraus: Die beiden Berliner nahmen keinen Bankkredit auf, den sie mit Zinsen hätten zurückzahlen müssen. Denn das wäre eine Investition in ein falsches System gewesen.
Mitglieder leisten Anschubhilfe
Stattdessen setzten sie auf ein genossenschaftsähnliches System mit zahlenden Mitgliedern, die mit ihren Beiträgen einen Anschub gaben. Diese kaufen günstiger ein – wenn sie das wollen – und erhalten so ihren Einsatz in Raten zurück. Hanna und Mattis hatten ihre Idee zunächst im kleinen Rahmen in einem Wohnprojekt außerhalb Berlins getestet. Im nächsten Schritt überzeugten sie rund 500 Menschen im Kreuzberger Körnerkiez, Mitglied zu werden, baten um vorgestreckte Mitgliedsbeiträge und Einmalspenden. So startete der erste Laden mit einem Kapital von nur 20.000 Euro auf einem Geschäftskonto der GLS Bank, die nach Prüfung des Businessplans den großzügigen Einzug von Lastschriften ermöglichte, was für die Mitgliedsbeiträge wichtig war. Auf der Website steht:
„29 Cent eines jeden Euros, den du ausgibst, landen als Profit in den Taschen von Investor*innen.“
Bei Robin Hood Store sollte damit Schluss sein. Eine Marktlücke der anderen Art, wie sich an der Entwicklung der Mitgliederzahlen zeigt: Mittlerweile sind es 1000 Unterstützer*innen.
Bio-Supermärkte verkaufen Produkte, die ökologisch, sozial und häufig auch fair erzeugt werden. Dennoch sind die Geschäfte eingebettet in unser gewinnorientiertes Wirtschaftssystem. Sie brauchen Startkapital, sind auf Umsätze und Gewinne angewiesen, um Mieten und Angestellte zu bezahlen. Ihre Waren kommen meist vom spezialisierten Großhandel. Der Robin Hood Store in Berlin sollte genau das nicht werden: die x-te Biomarkt-Kette.
Gewinne für den globalen Süden
Die Unabhängigkeit von Investor*innen dient dem eigentlichen Zweck der Unternehmung: Ein Teil des Gewinns spendet Robin Hood Store an Projekte im globalen Süden, für Klimaschutz und Armutsbekämpfung. Derzeit sind das fünf Prozent, mit dem Rest bauen Mattis und Hanna neue Filialen auf. So wollen sie den Spendenbetrag vervielfachen.
„Das Kapital soll nicht nur bei uns horizontal verteilt werden, sondern auch woanders hin.“
Rund 4000 Euro sind bisher an Spenden zusammengekommen. Sie fließen an „Give Directly“, eine Wohltätigkeitsorganisation, die elektronisch Geld an Menschen überweist, die weniger als zwei Dollar pro Tag zum Leben haben. Oder an „Cool Earth“, eine Organisation, die Regenwaldaufforstung gemeinsam mit indigenen Gemeinschaften finanziert.
Mitglieder spenden für diesen Zweck entweder ein Prozent ihres monatlichen Bruttoeinkommens oder arbeiten drei Stunden im Monat unentgeltlich in dem Laden mit angeschlossenem Lieferservice. Dafür erhalten sie bis zu 20 Prozent Rabatt auf alle Einkäufe – das ist der Solipreis für Menschen, die wenig Geld haben. Hanna betont aber:
„Die ein Prozent sind ein Richtwert. Jede*r kann monatlich mehr spenden.“
Vom Kompromiss zur Perfektion
Robin Hood Store bietet dabei das Sortiment eines Bioladens zu den üblichen Marktpreisen von Bio-Läden in der Hauptstadt. Dabei sind auch sie noch auf die Waren aus dem Bio-Großhandel angewiesen.
„Wir sind in der Produktauswahl nicht perfekt und spiegeln noch nicht lückenlos das System wider, das wir aufbauen wollen. An vielen Stellen ist es für uns sinnvoll und nötig, Kompromisse zu machen, um dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen den Wechsel in ein gewinnspendendes System ermöglichen“,
erklärt Mattis. Das Sortiment ergänzen Produkte von Herstellern wie Fair Afrique, Einhorn und Kaffee aus Kollektiven, die der Robin Hood Store direkt einkauft. Zusätzlich testen Mattis und Hanna auch eigene Kreationen an ihren Kunden, etwa „falscher Fisch“ – das sind eingelegte Möhren, die wie Lachs schmecken sollen.
„Erstmal ändert sich nur der Weg zum Einkaufen, alles andere bleibt gleich“,
sagt Hanna. Was nicht ganz stimmt – schließlich wird ein Teil des Geldes, das die Kund*innen im Laden lassen, sinnstiftend gespendet. Deshalb gibt es auch ein ausdrückliches Angebot, dass Kund*innen freiwillig etwas mehr bezahlen und so die Idee noch stärker unterstützen.
Nicht nach der reinen Lehre wirtschaften
Wichtig ist Hanna und Mattis: Wachstum kann gut sein – wenn es zum Beispiel dazu dient langfristig Strukturen aufzubauen, die dem globalen Süden zugutekommen. Anders Wirtschaften heißt für sie deshalb, wo möglich anders zu entscheiden als es die reine Betriebswirtschaftslehre vorsehen würde. Mattis erläutert:
„Es ist nicht so, dass die herkömmlichen betriebswirtschaftlichen Kennzahlen für uns irrelevant wären, es kommen aber zusätzliche Entscheidungshintergründe hinzu, wie zum Beispiel Ressourcenverbrauch von Produkten, moralische oder gesellschaftliche Fragen.“
Den Kreislauf durchbrechen
Vier Monate nach dem ersten Laden in Berlin-Kreuzberg eröffnete im April ein weiterer im Szenekiez „Kreuzkölln“ am Maybachufer. Weitere sind geplant. Die Idee endet für das Gründerpaar nicht mit dem Aufbau einer Biomarkt-Kette.
„Wir haben damit angefangen, weil jeder Mensch Lebensmittel braucht“,
erklärt Hanna. Doch die Idee, dem kapitalistischen Kreislauf aus Wachstum und Profit ein Schnippchen zu schlagen, gehe noch viel weiter, sei zum Beispiel auf das Gesundheitswesen übertragbar. Inspirationen erhoffen sich Hanna und Mattis auch durch die neu geschaffene Community.
„Die Menschen, die Bio einkaufen, sind meistens auch die, die etwas verändern wollen.“
Privatpersonen, aber auch Arztpraxen und andere Unternehmen haben bereits Interesse gezeigt, die Idee weiterzutragen. Und sogar der Großhändler des Robin Hood Stores will mehr vom Konzept erfahren.
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