Autorin Oda Albers verschwand für ein paar Tage mit zwei Büchern in einem Bauwagen mitten im Wald. Denn die Natur ist der beste Ort für Müßiggang. Und das einfache Leben ist der beste Weg, zu sich selbst zu kommen. Heißt es. Aber stimmt das auch?
Mit diesem Beitrag setzen wir unsere Reihe mit Gastbeiträgen aus unseren Mitgliedermagazinen enorm, Wald, Werde und info3 fort.
Die tiefe frühe Sonne im Osten blendet, der alte Golf dröhnt auf der A24 von Hamburg in Richtung Berlin. Auf Schleswig-Holsteins Feldern liegt saftig grün die Wintersaat. Ein Februarmorgen, viel zu warm für die Jahreszeit, aber wunderschön. Die Fahrt führt zum Bauwagen. Seit fünf Jahren gehört er uns. Meinem Mann, mir, den Kindern. Kein Strom, kein fließendes Wasser, kein Internet. Stattdessen: Wildnis, Holzofen, Ruhe. Ein paar Tage will ich dort hausen, zwei Bücher im Gepäck, den Kopf voller Freiraum für neue Gedanken. Ich war schon so oft dort, aber nie allein. Ich muss mal ausspannen. Auch wenn ich keine viel fliegende Managerin bin, ist mein Alltag doch eine eher flotte Sache: Großstadtrauschen, Kinder-hin-und-her, natürlich die Arbeit, Kita-Gutschein organisieren. Plus Im-Laufen-E-Mails-auf-dem-Handy-Lesen, dazu Konferenzen, ein Elternabend, Freunde anrufen, Zahnreinigung. Die ständige Hetze eben.
Ein paar Tage will ich jetzt nur meinem Tempo folgen. Man liest in letzter Zeit so viel von „Entschleunigung“. Nach 45 Minuten verlasse ich die Autobahn, erst Landstraße, dann biege ich auf den Forstweg ein, stelle den Wagen ab, gehe die letzten Meter zum Bauwagen zu Fuß. Jetzt, im Februar, dominieren hier die Brauntöne. Vögel zwitschern, frühlingshaft ist die Luft. Auf dem Weg wird mir ein wenig mulmig: Ganz allein, kommt man da nicht auf komische Gedanken? Wie wird sich Verlangsamung anfühlen? Brauche ich einen Plan? Oder soll ich mich einfach treiben lassen? Kann ich das überhaupt noch? Ruhelos in der Ruhe – das kennt jeder. Hier gibt es keinen Fernseher zum Betäuben, kein Telefon zum Zerstreuen.
„Entschleunigung“ ist ein ziemlich neues Wort. Irgendwann in den letzten Jahren wurde es erfunden. Der „Duden“ kennt es seit 14 Jahren. Ein Trend. Eine Marktlücke für Entschleunigungsseminare und zig Ratgeber. Das Zauberwort für die Ausgebrannten, die ja tatsächlich immer mehr werden: Die Zahl der Fehltage, bedingt durch seelische Erkrankungen, hat sich in den letzten 15 Jahren verdoppelt. Etwa zehn Milliarden Euro Produktionsausfälle, errechnete das Bundesarbeitsministerium, ergibt das pro Jahr. Die seelisch-körperliche Insolvenz – nichts als ein Produktionsausfall.
Deshalb die Entschleunigung? Um am Ende mehr zu produzieren? „Entschleunigung“ – das Wort klingt tatsächlich gar nicht entspannt. Da schwingt ja noch immer so viel Schnelles, viel Schleuniges mit. Doch es gibt ein schöneres Wort: „Müßiggang“. Sprachlich ganz und gar unmodern. Der britische Autor Tom Hodgkinson verhalf ihm mit dem Bestseller „Anleitung um Müßiggang“ vor zehn Jahren zu einem Revival. Hodgkinson, einst Boulevardjournalist, auch Autor des „Guardian“, studierter Literaturwissenschaftler und Intellektueller, zog es mit seiner Familie von London nach Devon aufs Land. Seitdem genießt er das einfache Leben und predigt von dort aus den gemächlichen Umgang mit der Lebenszeit.
Seine „Anleitung“ ist eines der beiden Bücher, die ich mitgebracht habe. Das andere Buch ist „Walden oder Leben in den Wäldern“ von Henry David Thoreau. Thoreau war ebenfalls ein studierter Mann, Harvard-Absolvent, Mathematiker, Geisteswissenschaftler, später Landvermesser. Auch Thoreau wollte herausfinden, ob das einfache Leben vielleicht das richtige Leben wäre: „Ich ging in die Wälder, weil mir daran lag, mit Bedacht zu leben, mich nur den wesentlichen Tatsachen des Lebens auszusetzen und zu sehen, ob ich nicht begreifen könnte, was es zu lehren hat, um nicht, wenn es ans Sterben geht, herauszufinden, dass ich nicht gelebt hatte.“ Wer will das nicht: wirklich gelebt haben? Und was bedeutet das überhaupt? Vielleicht werden mich meine Tage im Wald der Antwort näherbringen.
Den vollständigen Artikel lest Ihr in Wald Heft 1/14.
Fortsetzung der Gastbeiträge
folgt in loser Reihe mit weiteren Gastbeiträgen aus den Zeitschriften “Wald”, “Werde”, info3 und “enorm”.
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