Wer zu Christian Laing in seinen umgebauten Zirkuswagen kommt, spürt deutlich die tiefe Gelassenheit, die von dem 33-Jährigen ausgeht. Er sitzt am Küchentisch und erzählt von seinem Leben auf 23 Quadratmetern. Die fast bodentiefen dänischen Sprossenfenster geben den Blick nach draußen auf die Wiese frei. „Wenn ich nachts in Bett liege, höre ich die wunderschöne Erpe plätschern. Morgens, wenn ich aufwache, zwitschern die Vögel“, schwärmt Laing. „Früher ging ich raus in die Natur, jetzt bin ich mittendrin und erlebe unmittelbar, wie die Pflanzen wachsen, was die Tiere machen, wie sich die Natur entwickelt.“
Wagengemeinschaft
Christian Laing ist vor knapp einem Jahr in die Haus- und Wagengemeinschaft B6 im nordhessischen Wolfhagen gezogen. Hier leben sieben Erwachsene und vier Kinder zwischen 6 Monaten und 64 Jahren in einer Gemeinschaft zusammen. Neben den fünf Wagen steht eine Jurte auf der Wiese. In ihr essen die Bewohner gemeinsam zu Mittag und treffen sich regelmäßig, um zu hören, was beim anderen gerade so ansteht. Jeder hat seine eigene Arbeit. Zur B6 gehört außerdem ein früheres Hofgebäude, ein Zweifamilienhaus, in dem alle Mitglieder der Wohngemeinschaft Badezimmer, Waschmaschine und Toilette nutzen können. Außerdem gibt es noch ein Komposttoilette, die den Dünger für den Gemüsegarten liefert. Der Strom für die Wagen kommt über ein Erdkabel vom Haus.
Raus in die Natur
Laing ist „ein typisches Bauernkind“. Erinnert er sich zurück an seine Kindheit, sieht er sich draußen oder zusammen mit Tieren. Das Studium der ökologischen Landwirtschaft lag nahe. Zwei Studiensemester verbachte er in Wien. Während dieser Zeit bildete er sich außerdem in Tirol zum Wildnispädagogen weiter. Da kam er auch schon mal eine Woche nur mit Plane, Messer, Schlafsack, etwas Wechselkleidung und Trinkwasserflasche aus. Nach dem Studium gründete er die Wildnisschule Habichtswald, in der Kinder und Erwachsene Natur erleben und erfahren können.
Den Entschluss für das Leben im Wagen fasste er 2014. „Es war Frühjahr und ich musste jeden Tag in die Unibibliothek in Göttingen, um meine Masterarbeit zu schreiben. Da merkte ich, das passte nicht! In diesem großen Gebäude konnte ich mich nicht konzentrieren.“ Eine Freundin bot ihm schließlich ihren Garten samt Gartenhäuschen zum Arbeiten an. „Auf einmal flutschte die Masterarbeit, ich konnte mich konzentrieren, war kreativ. Das war so ein einschneidendes Erlebnis, dass ich beschloss, mir einen eigenen Wagen zu holen. Ich musste raus in die Natur!“
Weniger Zeug
Den Platz auf der B6 fand er über das Internet. Das ist auch in seinem Wagen ein selbstverständlicher Bestandteil. Den Laptop braucht er, um Natur- und Wildniscamps zu organisieren. Laings Wagen besteht aus einem kleinen Schlafraum, der gerade genug Platz für das Bett und etwas Stauraum bietet. Die restliche Fläche ist Küche, Wohnraum und Büro in einem. Den Wagen hat er mit Hilfe von Freunden selbst ausgebaut. Für den Boden verwendete er helle Eiche aus der Region. Dazu ein Tisch für alles, zwei gemütliche Sessel von der Oma, ein paar Gästestühle und selbst gebaute und aufgearbeitete Möbel . Wenig Platz, um etwas unterzubringen. Beim Umzug aus seiner 45 Quadratmeter großen Göttinger Wohnung fiel es ihm nicht schwer, sich von materiellen Dingen zu verabschieden. Hier hielt er sich an die Devise, lieber weniger, dafür aber qualitativ gute und schöne Dinge. Für viele Menschen wäre das Verzicht. Nicht für Christian Laing. Danach gefragt, was denn der größte Unterschied zum Leben in festen vier Wänden sei, meint er: „Obwohl ich weniger Platz habe als vorher, fühle ich mich jetzt freier.“ Und: „Wenn es abends regnet, zünde ich eine Kerze an und lausche, wie der Regen aufs Dach tröpfelt. Dann kommt so eine innere Ruhe und ich fühle mich zutiefst geerdet.
Fotos: Christian Laing (Porträt), Christian Schinke
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