Ein schweres Wort. Ein Wort, dass man erst mal sacken lassen muss, um darüber nachzudenken. Denn es ist noch nicht lange her, da wirkte das gesamte Konzept von „Heimat“ überkommen. In der globalisierten Welt mit ihren immer schneller drehenden Jobs und Projekten war die Verbundenheit mit einem, mit seinem Land kaum mehr als hinderlicher Ballast. Flexibilität galt plötzlich als Ideal.
Außerhalb der norddeutschen Stadtstaaten war ein Senator längst eher ein Vielfliegerstatus als ein Politiker, und eine Meile galt nicht mehr länger als Längeneinheit, sondern als Bonuspunkt für Streckemachen, immer schneller, immer weiter, immer anderswohin. Der perfekte Mensch, im Sinne der modernen Wortschöpfungslogik war losgelöst von jeder räumlichen Beschränkung. Heimat? Wer brauchte so etwas noch? Keiner.
Dabei wirkte diese Neuorientierung wie die Entsorgung von Ballast, den man schon seit Jahrhunderten mit sich herumschleppt: Zum ersten Mal tauchte der Begriff „Heimweh“ auf, als ein Schweizer Fähnrich namens Sunnenberg starb. Am 14. März 1569 meldete sein Kommandant an den Luzerner Rat, dass der „Sunnenberg gestorben von heimwe“ sei. Heimweh, das Vermissen der Gegend aus der man kommt, hieß bis dahin „Schweizer Krankheit“, weil sie offenbar nur Eidgenossen vom Militär befiel, die in der Fremde Dienst taten. So schlimm war es, dass manche Offiziere europäischer Armeen sogar das Singen bestimmter Lieder aus der Schweiz verboten, weil es Sänger und Zuhörer sofort infizierte – Fieberschübe auslöste, Mattigkeit verursachte, im schlimmsten Fall zum Tod durch Traurigkeit führen konnte.
Der Wortstamm von „Heimat“ ist „Heim“, wie auch beim englischen Wort „home“. „Heimat“ war in der Geschichte der Menschen die längste Zeit der Ort, an dem man blieb, oft bleiben musste. Hinter der Heimat lag die Fremde, die oft schon jenseits des Standorts begann, auf Althochdeutsch „elilenti“, was eben nicht nur „Fremde“ bedeutete, sondern auch „Elend“. Gerade für die Deutschen lag das nahe. Ihr Verhältnis zu „Heimat“ war historisch schwierig, bestand die doch lange nicht aus einem Nationalstaat, sondern aus einem Flickenteppich kleiner Fürstentümer, die sich (fast) alle aufspielten, als seien sie der Mittelpunkt der Welt. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – das gab es vielleicht westlich des Rheins. Weder die Befreiungskriege von 1813/1814 noch die Märzrevolution von 1848 änderten etwas an der absolutistischen Kleinstaaterei.
So zogen sich die Deutschen zurück – in sich selbst. „Heimat“ wurde etwas Imaginäres, ein Wunschkonzert, das nicht mehr an einen Ort gebunden war, sondern an eine Idee, allerdings nicht mehr an eine politische. Freiheit, Selbstbestimmung, Demokratie finden sich darin nicht, sondern: Reinheit, Unversehrtheit, überschaubare Ursprünglichkeit. Bis heute ist der Begriff „Heimat“ in Deutschland mehr mit Assoziationen wie „Baum“, „Berge“ und „Flüsse“ verbunden als mit Werten wie etwa Frankreich. Tatsächlich fühlen wir oft „Wald“, wenn wir Heimat sagen. In der Heimat, so scheint es, haben wir noch eine zweite Heimat gefunden – wie ein Symbol für das Gefühl des Seelenheils. Doch diese Verklärung wurde hart bestraft. So aufgeladen, war es nach 1933 ein Leichtes, die „Heimat“ zu manipulieren und so in die größte aller Katastrophen zu führen.
Lange hat es gedauert, bis Deutschland wieder zu einem entspannten Selbstbewusstsein fand. Nun ist die „Heimat“ wieder hip: Plötzlich ist für all diejenigen, die noch vor nicht allzu langer Zeit weltweit unterwegs waren, diejenigen, für die der Ort, an dem sie stehen, keine Rolle mehr spielen sollte, Verbundenheit mit einem Ort wieder en vogue. Wie kam es zu diesem Wandel?
Den vollständigen Artikel von Michalis Pantelouris lest ihr in Wald 2/2014.
Fortsetzung
folgt in loser Reihe mit weiteren Gastbeiträgen aus den Zeitschriften “Wald”, “Werde”, info3 und “enorm”.
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