GLS Kreditprojekt: B6 – Leben in der Wagengemeinschaft

b6_800x426

Ein Interview mit Christian Schinke, Vorstand des B6 e.V., über das Leben in der Wagenburg.

Christian Schinke (40) lebt seit 2011 mit seiner Frau (29) und seinen zwei drei- und einjährigen Kindern in der Wagenburg B6 in einem Dorf in Nordhessen.

Was kann man sich unter einer Wagenburg vorstellen?
Eine Wagenburg besteht aus bewohnten Bauwagen oder Zirkuswagen, die gemeinsam auf einem Platz stehen. Inwiefern zwischen den Bewohnern einer Wagenburg eine Gemeinschaft besteht und wie eng sie  ist, ist von Wagenburg zu Wagenburg unterschiedlich.

Wie sieht es mit der Gemeinschaft in der Wagenburg B6 aus?
Bei uns leben vier Kinder im Alter von eins bis sieben und sieben Erwachsene. Wir sind eine richtige Gemeinschaft und keine Zweckgemeinschaft. Wir kaufen unsere Lebensmittel gemeinschaftlich und essen jeden Tag gemeinsam zu Mittag. Gekocht wird abwechselnd jeweils in einem anderen Wagen oder in der Küche im Haus, gegessen wird in unserem Gemeinschaftsraum, einer nach mongolischer Bauart gefertigten Jurte. Die Jurte nutzen wir das ganze Jahr, beheizt wird sie mit einem Ofen. Hier treffen wir uns auch einmal in der Woche, um alle Aufgaben und Belange, die für das Instandhalten und das Leben in der Wagenburg wichtig sind, zu besprechen und aufzuteilen.

Wie kam es zur Gründung der Wagenburg B6?
Das Grundstück ist ein ehemaliger Demeter- Ziegenbetrieb. Meine Frau ist hier groß geworden. Als meine Frau und ihr Bruder älter wurden und sie das Fernweh gepackt hatte, mussten sich meine Schwiegereltern überlegen, was sie mit dem 5000 Quadratmeter großen Grundstück machen sollten. So entstand die Idee der Gemeinschaft B6. Am Anfang lebten sechs Menschen hier, meine Schwiegereltern, zwei weitere Projektbegeisterte und, wie das Schicksal so wollte kamen auch die beiden Kinder wieder auf den Hof zurück, um das Abenteuer mit zu erleben und mit zu gestalten. Anfangs gehörte das Grundstück noch dem etwas misstrauischen Großvater meiner Frau. Um es aus dem Privatbesitz zu nehmen und uns allen und denen, die noch kommen werden gleichermaßen zur Verfügung zu stellen, gründeten wir den Verein B6 e.V. und kauften das Grundstück. Damit war die Arbeit aber noch nicht getan. Das Leben in einer Wagenburg ist in Deutschland noch nicht geregelt. Ein Wagen entspricht hier nicht ganz den Definitionen eines Wohnsitzes. Deshalb mussten wir uns intensiv mit dem Ordnungsamt und mit dem Bauamt auseinandersetzen. Jetzt  haben wir eine Genehmigung für fünf Jahre. Dieser offizielle „Status“ unterscheidet unsere Wagenburg von vielen anderen, die von den jeweiligen Städten und Gemeinden nur geduldet werden. Den Kredit von der GLS Bank bezahlen die Bewohnerinnen und Bewohner der B6 gemeinsam ab.

Wofür steht B6?
Der Name leitet sich ganz einfach von unserer Adresse ab. Die B6 befindet sich in der Bärenbergstraße Nummer 6.

Worauf verzichtet ein Mensch in einer Wagenburg?
Verzicht und Gewinn sind bei diesem Wohnmodell nicht klar voneinander abzugrenzen. Für mich überwiegt eindeutig der Gewinn. Aber es kann nicht geleugnet werden, dass die Bewohnerinnen und Bewohner einer Wagenburg auf fließendes Wasser oder eine Zentralheizung verzichten. Geduscht wird in unserer Wagenburg im Wohnhaus, das 200 Meter entfernt ist. Wasser für den täglichen Bedarf holen wir  in Kanistern, wir heizen mit selbst gehacktem Holz. Ein weiterer Verzicht ist natürlich der Platz. Meine Familie und ich müssen uns bei vielen Anschaffungen zweimal überlegen, ob wir die Dinge wirklich brauchen. Aber gerade das ist ein großer Gewinn.

Gibt es noch anderen  Gewinn?
Für mich persönlich sind der direkte Bezug zur Natur und das ressourcenschonende Leben ein großer Zugewinn. Ich bin ein Naturliebhaber und möchte aktiv dazu beitragen, dass auch meine Kinder und deren Kinder noch lange etwas von unserem Planeten haben. Außerdem ist das Leben in einem Wagen natürlich sehr kostengünstig und flexibel. Gerade in Zeiten steigender Mietpreise können sich viele Menschen und vor allem Familien kein klassisches Eigenheim mehr leisten. Das Leben im Wagen ermöglicht es, ein etwas anderes Eigenheim zu besitzen. Es kann  zum einen individuell gestaltet werden, zum anderen können die Bewohner jederzeit den Standort wechseln, während das Zuhause bleibt. Das Leben im Bau- oder Zirkuswagen bietet ein hohes Maß an Selbstbestimmung und Freiheit.

Ist die Wagenburg ein dauerhaftes Wohnmodell oder eher ein kurzweiliges Experiment?
Das kann man nicht so   allgemein beantworten. Aus meiner Erfahrung heraus würde ich sagen, dass das Leben in einer Wagenburg zeitlich begrenzt ist. Es muss bei jeder neuen Lebenssituation geschaut werden, ob dieses Wohnmodell noch funktioniert. Jetzt sind meine Kinder noch klein und sie genießen die Vorzüge, besonders die viele Natur. Wenn sie älter werden, könnte es natürlich sein, dass sie sich mehr Platz und größere Zimmer wünschen oder dass sie einfach auch so wohnen möchten wie viele ihre Klassenkameraden. Aber vielleicht werden meine Kinder, Anna und ich noch  lange so wohnen, weil es uns so gefällt, wie wir wohnen.
Viele Menschen geben das Leben in einer Wagenburg nach einiger Zeit wegen der ungeregelten rechtlichen Situation auf. Es kann sehr anstrengend sein, wenn Stadt oder Gemeinde die Wagenburg jederzeit schließen können und man sich seines Wohnortes nur für begrenzte Zeit sicher sein kann.

Wie reagieren Nachbarn oder andere Menschen auf dieses Wohnmodell?
Zunehmend positiv. Ich denke, das liegt daran, dass immer mehr über das Leben in  einer Wagenburg bekannt wird. Dadurch wird das Vorurteil entkräftet, dass wir überwiegend Arbeitslose oder gesellschaftliche Totalaussteiger seien. Stattdessen wird deutlich, dass wir Menschen mit ganz „normalen“ Berufen sind, die wahrscheinlich hier und da etwas alternativer denken, aber eigentlich nur anders wohnen. Aber ja, oft sind Menschen auch irritiert.

Warum finanzieren Sie Ihr Projekt mit der GLS Bank?
Weil es die Bank ist, die am ehesten unserer Vorstellung von Wirtschaften und Nachhaltigkeit entspricht. Uns ist vor allem die Transparenz bezüglich der Mittelverwendung sehr wichtig.

Autorin: Mirja Helene Lehleuter, Praktikantin im Marketing

Foto: B6

Diesen Artikel teilen

3 Antworten zu „GLS Kreditprojekt: B6 – Leben in der Wagengemeinschaft“

  1. […] Ein Interview mit Christian Schinke, Vorstand des B6 e.V., über das Leben in der Wagenburg. Christian Schinke (40) lebt seit 2011 mit seiner… Der Beitrag GLS Kreditprojekt: B6 – Leben in der Wagengemeinschaft erschien zuerst auf Das Blog. Original Artikel anzeigen […]

  2. […] GLS Kreditprojekt: B6 – Leben in der Wagengemeinschaft […]

  3. […] GLS Kreditprojekt: B6 – Leben in der Wagengemeinschaft […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Weitere aktuelle Themen