40 Jahre GLS Bank. Ein guter Zeitpunkt, zurück und nach vorne zu schauen. Die Vorstände Thomas Jorberg und Andreas Neukirch über Wachstumsschmerzen, die Bedeutung des Sogs und das Denken aus der Zukunft heraus.
Die GLS Bank wächst rapide: rund 2 000 Neukunden durchschnittlich pro Monat, auch die Bilanzsumme steigt im zweistelligen Bereich. Wann endet dieser Aufschwung?
Thomas Jorberg: Dann, wenn die Kunden nicht mehr glauben, dass wir ein besseres und sinnvolleres Angebot als andere Banken haben. Unser Wachstum ist relativ konstant, und es bleibt gesund, solange wir unserer sozialen und ökologischen Werteorientierung treu bleiben. Bankgeschäft muss jeden Tag neu Sinn stiften! Grundsätzlich muss man aber natürlich sagen, dass alles, was wir in der Vergangenheit erreicht haben, unsere Mitglieder und Kunden erreicht haben.
Andreas Neukirch: Hervorragende Wachstumsraten sind die Folge, wenn man etwas Besonderes schafft. Der Markt für die Finanzierung von ökologischen und sozialen Projekten wächst derzeit stark. Weil wir nicht nur einzelne Fonds oder Ähnliches anbieten, sondern ein nachhaltiges Gesamtpaket an Bankdienstleistungen, wachsen wir mit. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal.
Geht mit dem Wachstum der Bank der Schritt in den Mainstream einher?
Jorberg: Wir wollen nicht Mainstream werden, sondern ihn verändern.
Weil Sie sonst die Werte, für die Sie stehen, preisgeben würden?
Neukirch: Genau.
Sie haben mittlerweile über 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Kommen diese Menschen wegen dieser Werte zu Ihnen?
Neukirch: Ja, sie kommen genau wegen dieser Haltung zu uns. Sie möchten nicht das meistmögliche Geld verdienen, sondern den Sinn ihrer Tätigkeit tagtäglich neu erleben.
Jorberg: Jede neue Mitarbeiterin und jeder neue Mitarbeiter nehmen zunächst zwei Wochen an der sogenannten Lernwerkstatt teil, in der sie unsere Arbeitsweise kennenlernen und unsere Werte erarbeiten. Eine der meistgestellten Fragen an mich ist dort immer wieder: „Wie können wir bei so einem starken Wachstum unsere Werte erhalten und weitere entwickeln?“ Darauf antworte ich: „Das gelingt so lange, wie neue Mitarbeiter diese Frage mitbringen und im Auge behalten.“
Der Fragen stellende, lernende Mitarbeiter also. Können Ihre Leute damit umgehen?
Jorberg : Das ist eine Herausforderung. Jede Entwicklung, auch die persönliche, entsteht aus der Überwindung von
Widersprüchen. Ich trete so lange auf der Stelle, bis ich mir etwas vornehme, was ich noch nicht erreicht habe. Sich auf Neues einzulassen, ist in jeder Entwicklung eine Notwendigkeit, sonst ist es keine wirkliche Entwicklung. Und die geht mit Unsicherheit einher, übrigens ebenso wie jede unternehmerische Tätigkeit, die versucht zu antizipieren, was denn in Zukunft notwendig wird.
Das honorieren offenbar auch die Kunden. Wie schätzen Sie deren Identifikation mit der Bank und ihren Werten ein?
Jorberg: Am Anfang hatten wir Kunden, die sich so stark mit uns identifizierten, als seien sie selbst die Bank. Sie riefen an und fragten: „Darf ich mein Geld abheben oder steckt es in einem Kredit etwa für eine Schule fest?“ Auch heute kommen unsere Kundinnen und Kunden immer noch wegen unserer Werte zu uns, erwarten aber auch zu Recht die banküblichen Dienstleistungen.
Neukirch: Unsere Mitglieder und Kunden sind unsere schärfsten Kritiker. Viele verfolgen z. B. unsere Kreditlisten genau. Sie diskutieren mit uns auf Veranstaltungen rege Widersprüche, die ihnen im täglichen Leben begegnen. Wir können uns z. B. nicht über die Zustände der Bekleidungsindustrie in Bangladesch empören und zeitgleich über ein Schnäppchen freuen beziehungsweise ignorieren, wo und wie unser Geld dies unter Umständen finanziert.
Vor allem in der Wirtschafts- und Finanzkrise konnten Sie überdurchschnittlich viele Kunden gewinnen. Wird Ihnen immer noch die Bude eingerannt?
Neukirch: Der Ansturm ist weiterhin groß, auch wenn die anderen Banken uns mittlerweile nicht mehr in Scharen ihre enttäuschten Kunden zutreiben wie am Anfang der Krise. Wir müssen uns anstrengen, um zu überzeugen. Die Menschen kommen zu uns, weil sie Verantwortung übernehmen wollen. Ebenso müssen wir auf der menschlichen Ebene überzeugen, in der Art und Weise, wie wir den Kunden begegnen. Diesem Anspruch immer wieder gerecht zu werden, ist uns ein großer Ansporn.
Jorberg: Wir müssen einen Sog beim Kunden erzeugen, keinen Druck. Deshalb definieren wir auch keine Zielkunden, um diese dann zu gewinnen, sondern wir versuchen, so zu arbeiten, dass wir das Ziel unserer Kunden werden. Und das funktioniert: Wir führen bis zu 3 000 Beratungsgespräche am Tag. 3 000-mal täglich müssen wir diesen Anspruch unter Beweis stellen. Wenn das nicht funktioniert, können wir noch so viele Reden schwingen.
Was sind das für Ziele, Ansprüche und Bedürfnisse und wie verändern sie sich?
Jorberg: Bei uns kann der Kunde seine geistigen, sozialen, ökologischen, materiellen und emotionalen Bedürfnisse mit seiner Geldanlage verbinden. Das setzt zunächst voraus, sich die Widersprüche zwischen diesen Bedürfnissen bewusst zu machen. Denn diese Widersprüche können zur Triebfeder für Veränderung werden.
Neukirch: Menschen, die nur ihr Gewissen beruhigen wollen, werden zukünftig bei anderen Banken genug Angebote
finden. Wir sind die Bank für Menschen, die ihre Zukunft in die Hand nehmen wollen und die es aushalten, dass Probleme nicht von heute auf morgen gelöst werden.
Keine Angst vor der Konkurrenz? Mittlerweile ist die GLS Bank nicht mehr allein mit ihren werteorientierten Angeboten, selbst die etablierten Institute entdecken das Segment für sich.
Jorberg: Für die Gesamtentwicklung ist das förderlich und vorbehaltlos positiv. Ich glaube, dass sich in der Finanzbranche zunehmend ein Wettbewerb der Werte entwickeln wird, die Konkurrenz um Zinsen und Gebühren ist immer uninteressanter. Und wenn es um Werte geht, dann haben wir einen klaren Wettbewerbsvorteil.
Diese Werte sind auch wesentlicher Bestandteil bei der Bewertung von Krediten, ebenso wie die Ausrichtung auf die Zukunft. Sind Ihnen einige Projekte schon zu weit vorne?
Neukirch: Wir können zwar Entwicklungen der Vergangenheit nicht einfach in die Zukunft hochrechnen, aber wir haben in den 40 Jahren unseres Bestehens ein großes Erfahrungswissen erworben. Nehmen Sie die Anfänge der regenerativen Energien zu Beginn der 1990er-Jahre: Im Rückblick sieht es so aus, als wäre die Entwicklung eine schöne, runde Geschichte, die zielgerichtet auf die Energiewende hinauslief. Aber sie war weder einfach noch vorhersehbar. Diese Art von Rückschau hilft natürlich, einigermaßen cool zu bleiben.
Macht dieses Wissen es auch einfacher, geeignete Investitionsmöglichkeiten zu finden?
Neukirch: Es hilft, aber das Tempo von Veränderungen ist heute viel höher als vor 20 Jahren. Z. B. das Thema Mobilität: Vieles verändert sich deutlich schneller als damals z. B. mit der Windkraft.
Jorberg: In unserer Gesellschaft gilt zunehmend wie ein elftes Gebot: Du sollst nie Geld verlieren. Wer mit abstrakten
Finanzprodukten Geld verliert, der kann darin tatsächlich keinen Sinn erkennen. Aber für eine Unternehmensentwicklung ist auch Risikokapital notwendig. Darum stellen manche GLS Kundinnen und -Kunden ganz bewusst risikotragende Mittel zur Verfügung, etwa in Energiefonds. Wesentlich ist die bewusste, informierte Entscheidung.
Seit Kurzem bewerben Sie einen eigenen Aktienfonds. Wie können Sie hier die Einhaltung Ihrer ethischen Standards kontrollieren?
Neukirch: Wir haben spezialisierte Ratingagenturen damit beauftragt, die laufend die börsennotierten Wertpapiere
nach den Nachhaltigkeitskriterien der GLS Bank überprüfen. Empfehlungen der Agenturen werden dann von
unserer Researchabteilung und unserem Anlageausschuss geprüft. Wer die Kriterien nicht erfüllt, kommt nicht in den Fonds.
Die GLS Bank hat viele Projekte von Pionieren der Energiewende finanziert. Ist der Wandel in Richtung erneuerbarer Energiequellen im Moment in Gefahr?
Jorberg: Die Energiewende kann nicht rückgängig gemacht werden. Aber durch die Verlangsamung, die wir beobachten, werden notwendige Folgetechnologien nicht richtig entwickelt. Etwa bei der Stromspeicherung oder beim Stromnetz. Bisher gibt es eher ein „stupid grid“, ein unintelligentes Netz, dessen große Trassen den Strom
riesiger Windkraftanlagen von Norden nach Süden leiten sollen. Wir brauchen jedoch „smart grids“ sowie eine Vielfalt an Energieanlagen, die mit hochintelligenter Steuerungstechnik vernetzt werden. Voraussetzung ist ein verlässlicher Rechtsrahmen für einen dezentralen Ausbau.
Welchen Beitrag kann die GLS Bank dazu leisten?
Jorberg: Sie kann dort finanzieren, wo Veränderung stattfindet. Und ihre Erfahrung aus vielen Jahrzehnten Finanzierung alternativer Energieprojekte einbringen, z. B. im Netzwerk Bürgerenergie.
Andere Branche, ähnliche Probleme: Denken Sie über neue Formen der Mobilität nach?
Jorberg: Wir wollen z. B. dafür sorgen, dass Elektromobilität ihre Tauglichkeit im Alltag beweisen kann. Aber selbstverständlich ist Elektromobilität allein nicht die Lösung derMob ilitätsfrage, sie ist ein wichtiger
Baustein. Deswegen investieren wir ebenso in Carsharingkonzepte und fragen uns: Welche neuen Technologien
sind notwendig, um Mobilität mit deutlich weniger Lärm, CO2, Flächenversiegelung, Feinstaub und so weiter sicherzustellen?
Neukirch: Die Industrie hat bisher immer nur mit großen Zahlen gerechnet, etwa mit den Preisen für Autos. Wenn jedoch verschiedene Verkehrsträger intelligent vernetzt werden und Kunden nur eine Teildienstleistung nutzen, müssen Unternehmen millionenfach Centbeträge abrechnen. Deshalb beschäftigen wir uns z. B. mit Bezahlsystemen
für modulare Mobilität.
Wenn Sie solches Neuland betreten, nutzt Ihnen dabei auch die Erfahrung Ihrer internationalen Partner?
Jorberg: Sie meinen unsere Partner in der Global Alliance for Banking on Values (GABV). Die Idee wurde schon vor dem Ausbruch der Finanzmarktkrise geboren: ein Zusammenschluss von Banken in unterschiedlichen Ländern, die werteorientiert arbeiten. Die GABV macht eine weltweite Bewegung sichtbar, die wächst, leistungsfähig ist und wirtschaftlich auf gesunden Füßen steht.
Also brauchen wir noch viel mehr GLS Banken weltweit und alternative Finanzierungsformen wie z.B. Crowdinvesting?
Neukirch: Ja, vielleicht. Auf der einen Seite fangen die konventionellen Banken an, unser Modell zu imitieren. Auf der
anderen Seiten haben Menschen das Gefühl, dass die Mehrheit der Banken ihre Bedürfnisse aus den Augen verloren hat, und entwickeln darum neue Formate, wie eben Crowdfunding oder Crowdinvesting. Über diese Plattformen können die Menschen ganz direkt in Projekte Geld anlegen. In den Anfangsjahren hatte die GLS Bank solche Direktbeziehungen sehr im Sinn. Diesen Bedarf schauen wir uns genau an.
Aber sind Sie nicht mitunter frustriert angesichts der globalen Entwicklungen?
Jorberg: Es ist schon eine Menge passiert: Ob das Bildung ist, Energie, ökologische Landwirtschaft oder Wohnen.
Oder Bewegungen wie Occupy, attac … Allerdings sind die globalen Herausforderungen ungleich größer geworden.
Aber genauso auch die Chancen: Die GABV hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 eine Milliarde Menschen zu erreichen. Zusammen mit internationalen Partnern und mit der Entwicklung der GLS Bank und vieler unserer Kunden im Hintergrund können wir solche Aufgaben jetzt angehen.
Das Interview führten Thomas Friemel und Michael Gleich.
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