Ist die Energiewende ist das beste Friedensprojekt? Der Krieg in der Ukraine zeigt uns, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht nur energiepolitisch, sondern auch sicherheitspolitisch zwingend geboten ist. Bedeutend mehr Investitionen müssen in erneuerbare Energien fließen, sind sich Prof. Dr. Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sowie Professorin an der Leuphana Universität, und Karsten Kührlings, Geschäftsführer der GLS Investments einig.
Doch wie können wir jetzt unsere Energieversorgung transformieren? Und wie können private Anleger*innen mit ihrem Kapital einen Beitrag leisten – zum Klima, zur Sicherheit und für Gerechtigkeit? Ein Interview mit Claudia Kemfert und Karsten Kührlings.
Frau Professor Kemfert, der Krieg in der Ukraine hat die Debatte rund um die Transformation unserer Energieversorgung angeheizt. Als Energieökonomin ist Ihre Stimme gefragt. Wie sehen Sie die aktuelle Lage?
Claudia Kemfert: Die Bilder des Kriegs machen mich immer noch fassungslos. Ich stehe in Solidarität hinter den Menschen in der Ukraine.
Aus Energiesicht sind die schlimmsten Befürchtungen wahr geworden: Unsere Abhängigkeit von Russland in der Energieversorgung ist in den letzten Jahren immer größer geworden. Jetzt müssen wir schnellstmöglich von den Lieferungen fossiler Energien aus Russland wegkommen.
Sie plädieren schon lange für den rascheren Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland. Zudem engagieren Sie sich im Nachhaltigkeitsbeirat des B.A.U.M. Fair Future Fonds. Was ist Ihnen daran wichtig?
Claudia Kemfert: Schon weit vor dem Krieg in der Ukraine, im Grunde genommen seit zwei Jahrzehnten, haben wir eindringlich auf die Notwendigkeit hingewiesen, unsere Energieversorgung zu transformieren in Richtung erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit. Der B.A.U.M. Fair Future Fonds investiert in kleine und mittelständische Unternehmen mit klar nachhaltigen Unternehmensstrategien. Das sind vor allem auch Hersteller erneuerbarer Energien. Auch überzeugt mich der Prüfprozess mit strengen Nachhaltigkeitskriterien. Besonders spannend an meiner Tätigkeit ist es, gemeinsam mit weiteren Expert*innen solche Unternehmen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Hier bringe ich den Blick für den Energiesektor mit: Hat das Unternehmen eine tragfähige Klimastrategie? Wie wirkt sich das Geschäftsfeld auf unsere Klimaziele aus?
Herr Kührlings, die GLS Investments hat neben dem B.A.U.M. Fair Future Fonds auch noch andere nachhaltige Investmentfonds im Angebot. Was zeichnet Ihre Angebote neben dem strengen Auswahlprozess aus?
Karsten Kührlings: Wir investieren ausschließlich in Unternehmen mit zukunftsweisenden Geschäftsmodellen. Dabei streben wir möglichst langfristige Beteiligungen an und haben ein sehr breit gestreutes Portfolio. Für uns bedeutet Nachhaltigkeit nicht nur die Einsparung von CO2, sondern wir blicken ganzheitlich auf die Unternehmen. Um eine nachhaltige Entwicklung voranzutreiben, gilt es, zukunftsweisende Branchen zu betrachten und dabei verschiedene Perspektiven einzunehmen. Unser Analyst*innen im Nachhaltigkeitsresearch sind dabei sehr streng: Im Zweifel entscheiden sie gegen den Kandidaten.
Mit Ihrem Ansatz schließen Sie also Atomenergie und Erdgas aus?
Karsten Kührlings: Kürzlich hat die Europäische Union Atomenergie und Erdgas als nachhaltige Übergangstechnologien definiert. Für uns sind Atomenergie und Erdgas jedoch ganz klar nicht nachhaltig: Investitionen in rückwärtsgewandte Technologien hindern uns am Umstieg auf erneuerbare Energien. Deswegen investieren wir nicht in Atomkraft- oder Gaskonzerne. Übrigens birgt Atomenergie noch ganz andere Risiken – das sehen wir gerade jetzt an den atomaren Gefahren, die in der Ukraine durch die russische Invasion entstanden sind.
Am Krieg in der Ukraine erkennen wir das enorme Konfliktpotenzial, das fossil-atomare Energien mit sich bringen. Was macht Öl, Gas und Atomenergie so gefährlich, Frau Kemfert?
Claudia Kemfert: Das Verbrennen fossiler Energien führt zu einem schnelleren Klimawandel. Das allein ist extrem gefährlich. Extreme Klimakatastrophen, die sich menschengemacht ereignen, verursachen sehr viel menschliches Leid und hohe wirtschaftliche Schäden.
Hinzu kommt, dass Atomenergie für militärische Zwecke missbraucht werden kann. Das wird uns aktuell durch die brutalen Auseinandersetzungen in der Ukraine vor Augen geführt. Wir überweisen seit Jahrzehnten sehr viel Geld an Russland für Öl, Kohle und Gaslieferungen. Diese Abhängigkeit ist fatal. Nur eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien schafft dauerhaft Frieden, stärkt Demokratie und Freiheit. Zudem sichert sie Wohlstand und Frieden auf der Welt. Die Energiewende ist das sinnvollste Friedensprojekt, welches wir weltweit haben.
Was muss geschehen, um in der Energieversorgung unabhängiger von Ländern wie Russland zu werden?
Claudia Kemfert: Wir müssen unsere Energie aus vielen unterschiedlichen Ländern importieren. Zugleich müssen wir schleunigst unsere heimischen Energieträger, insbesondere die erneuerbaren Energien, ausbauen. Dazu müssen wir mehr Flächen für Windenergie ausweisen, Genehmigungsverfahren erleichtern und die finanziellen Beteiligungsmöglichkeiten für Kommunen verbessern.
Energie aus anderen Ländern beziehen und Energie klimafreundlich erzeugen: Reichen diese beiden Schritte für die Klimawende aus?
Claudia Kemfert: Die Energieerzeugung ist nur die eine Seite. Ebenfalls entscheidend ist der Energieverbrauch. Wir müssen unseren eigenen Energiebedarf hinterfragen. Wenn alle Heizungen in Deutschland um ein Grad heruntergedreht werden, können wir unseren Öl- und Gasverbrauch um bis zu fünf Prozent senken. Auch im Verkehrssektor müssen wir weg von Benzin und Diesel hin zur Elektromobilität. Gleichzeitig muss der Schienenverkehr gestärkt werden. Ähnlich ist es im Gebäudesektor: Bei der energetischen Gebäudesanierung können große Mengen fossiler Energien eingespart werden.
Trotz des anhaltenden Kriegs in der Ukraine importiert Deutschland täglich weiterhin Öl und Gas für Millionen Euro aus Russland. Viele Menschen fordern mittlerweile ein Embargo auf russische Energieimporte. Wie sehen Sie das?
Claudia Kemfert: Wir müssen uns so schnell wie möglich von den Lieferungen fossiler Energien aus Russland abwenden. Aktuelle Modellrechnungen zeigen, dass eine Lieferunterbrechung kompensiert werden kann. Um längerfristig ohne Gas und Öl aus Russland auszukommen, müssen wir die erwähnten Maßnahmen beschleunigen. Wir brauchen jetzt eine schnellstmögliche Abkehr von fossilen Energien – das ist die einzig mögliche Antwort auf diesen fossilen Energiekrieg.
Ein Embargo geht mit einem Booster für den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland einher?
Claudia Kemfert: Ja, unbedingt! Es muss einhergehen! Wir brauchen einen Booster für erneuerbare Energien, das Ausbautempo muss vervierfacht werden, ausreichende Mengen ausgeschrieben, Genehmigungsverfahren erleichtert und finanzielle Beteiligungsmodelle ermöglicht werden.
Herr Kührlings, wie wirken sich die aktuellen Energieunsicherheiten auf den Kapitalmarkt aus?
Karsten Kührlings: Das Umfeld am Kapitalmarkt war bereits vor dem Krieg nicht besonders zuträglich für Hersteller erneuerbarer Energien: Lieferkettenprobleme und Zinserhöhungen haben den meist sehr kapitalintensiven Unternehmen zugesetzt. Das Geschäft der Ölkonzerne lief hingegen weiterhin gut – auch mit Einsetzen des Kriegs in der Ukraine verschlechterte sich die Situation nicht. Die Kurse der Waffen- und Rüstungshersteller sowie der Produzenten fossiler Energien stiegen.
Die Annahme, dass dem Ausbau erneuerbarer Energien politisch eine höhere Priorität eingeräumt wird, spiegelt sich in den Erwartungen an den Aktienmärkten wider. Obwohl sich die Bestellbücher der Hersteller erst mittelfristig füllen werden, ist ein deutlicher Aufwärtstrend spürbar. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich Investitionen in menschliche Grundbedürfnisse langfristig auch ökonomisch auszahlen. Auch im Energiesektor ist dies der Fall.
Wäre eine nachhaltige Geldanlage, aus Ihrer Sicht, Frau Kemfert, im Falle eines Embargos auf Energieimporte im Endeffekt sogar resistenter?
Claudia Kemfert: Durchaus. Konventionelle Geldanlagen bergen erhebliche finanzielle Risiken durch indirekte Beteiligungen an fossilen Energieunternehmen. Wirklich nachhaltige Geldanlagen schließen sowohl fossile Energien als auch Unternehmen der Waffen- und Rüstungsindustrie aus.
Dennoch plädieren viele Fachleute, dass westliche Demokratien Waffen brauchen, um Frieden zu sichern – das offenbare der Ukraine-Krieg. Sollten Waffen dann nicht eigentlich auch als nachhaltig gelten, weil sie zur Sicherung demokratischer und friedlicher Strukturen hierzulande beitragen?
Karsten Kührlings: Unsere Investitionen sind zukunftsweisend und menschendienlich. Waffen, mit denen Leben getötet wird, gehören definitiv nicht dazu. Wir lehnen Geschäfte und Profite durch Investments im Militär- und Aufrüstungsbereich entschieden ab.
Zukunftsweisend und menschendienlich sind Investitionen in die Transformation der Wirtschaft sowie eine friedenstiftende Energiewende in ganz Europa ohne Kohle- und Atomenergie, Erdöl und Gas. Was wir brauchen ist eine langfristige Zukunftsvision für Europa für Frieden, Freiheit und Klimagerechtigkeit.
Woran erkennen Anleger*innen ob eine nachhaltige Geldanlage auch wirklich auf erneuerbare Energien setzt und nicht doch Atomenergie oder Erdgas produzierende Unternehmen oder gar Waffenhersteller finanziert?
Karsten Kührlings: Anleger*innen sollten sich die Ausschlusskriterien der Investmentfonds genau ansehen: Sind fossile Energien und Waffenproduzenten klar definiert und als Investition des Fonds ausgeschlossen? Die hierzu notwendigen Unterlagen sollten öffentlich zugänglich sein. Zudem sollte erkennbar sein, in welche Unternehmen der Fonds investiert. Bei der GLS Investments veröffentlichen wir hierzu jährlich Investitionsberichte mit Beschreibungen der Unternehmen in unseren Fonds.
Falls dennoch Zweifel an einem Anbieter vorherrschen, können unabhängige Bewertungen helfen. Der Fair Finance Guide Deutschland hat beispielsweise eine Bewertungsmethodik für die Kredit- und Anlagepolitik von Banken entwickelt. Hier lohnt sich ein Blick in die Ergebnisse.
Vielen Dank für das Gespräch.
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