Samstag, 6:00 Uhr morgens. Mein Wecker klingelt, auf zum Bahnhof. Ich bin zum Barcamp von Einfach Einsteigen nach Bremen eingeladen.
Von Verena Heiliger
Fahrscheinfreier Nahverkehr
Einfach Einsteigen setzt sich für einen deutlich ausgebauten und ticketlosen Nahverkehr ein. Ticketlos? Ja, richtig gelesen. Etwas Ähnliches hat die Bundesregierung mit der Idee eines kostenlosen Nahverkehrs in fünf Modellstädten selbst vorgeschlagen, um Emissionen des Individualverkehrs zu reduzieren und Fahrverbote zu vermeiden. Die Initiative Einfach Einsteigen hat Anfang 2019 ein Basiskonzept für Bremen entworfen, um genau diese Überlegung konkretisieren zu können. Ohne eine Finanzierung ist dies gar nicht so leicht zu verwirklichen. Kosten für Betrieb und Unterhalt des Nahverkehrs sollen paritätisch zwischen Bürger*innen Bürger*innen und Unternehmen geteilt werden.
Die eine Hälfte der Umlage sollen alle volljährigen Bremer*innen, Studierenden (weiter in Form des Semestertickets) und Pendler*innen zahlen. Die andere Hälfte soll über eine Gewinnumlage erhoben werden, welche an die Gewerbesteuer geknüpft ist. Somit würden aktuelle Zuschüsse an die Verkehrsunternehmen durch Stadt und Land wegfallen und die freiwerdenden Mittel als Investitionsmittel für den Ausbau des Straßenbahn-Netzes, Anschaffung neuer Fahrzeuge und den Bau zusätzlicher Haltepunkte verwendet werden können.
Gegenseitiger Austausch
Das Konzept wurde im Januar 2019 vorgestellt und wird seitdem ständig weiter diskutiert. Mittels Vorträgen und Veranstaltungen wie dem Barcamp „Nahverkehr“ geht es um Austausch und Vernetzung für einen besseren Nahverkehr. Jetzt warte ich hier im Kraftwerk City Accelerator, wenige Gehminuten vom Bremer Hauptbahnhof entfernt, gespannt auf die Zukunft des Nahverkehrs. Mit mir rund 65 Schüler*innen, Politiker*innen, Barcamp-Fans, Studierenden der Geologie, Stadtplaner*innen, Mobilitätsmanager*innen von verschiedenen Unternehmen, Wirtschaftspsycholog*innen, und und und. 30 Sekunden lang stellen einzelne Teilnehmer*innen ihr Thema vor. Per Abstimmung ergeben sich 16 Themen, die in vier parallelen Zeitfenstern diskutiert werden. Jede*r geht dahin, wohin es sie/ihn am meisten zieht. Immer dabei: Der Gong, der höflich das Ende der Runde einläutet.
Von Hürden und Hilfen
Wie bringt man mehr Menschen in öffentliche Verkehrsmittel? Was hindert am Umsteigen? Am Sessionboard werden Ideen gesammelt: günstigerer bis hin zu kostenfreiem Nahverkehr, eine MultimobilCard für alle Verkehrsmittel, barrierefreier Zugang. Auch dichtere Takte bzw. mehr Direktverbindung führen zu erträglichen Umsteigezeiten und würden die Attraktivität der öffentlichen Verkehrsmittel steigern. Weg- und Fahrgastinformationen sollten einfach und klar nachvollziehbar zu Verfügung gestellt werden. Reaktivierung alter Bahnstrecken bzw. Haltepunkte kann je nach Bedarf stattfinden. Durch Anwendungen wie OpenStreetMap können neue Linien auf Grundlage der ÖPNV-Daten überlegt und geplant werden. OpenStreetMap ist in internationales Projekt mit dem Ziel, eine kostenfreie Weltkarte zu erschaffen. Daten über Straßen, Eisenbahn-Linien und uvm. können von jeder*m einzelnen eingetragen werden.
Neben öffentlichen Veranstaltungen wie dem Barcamp soll es ab Sommer an der Uni auch ein Public-Transport-Lab geben. Hier sollen Studierende und Forschende verschiedener Disziplinen zusammen kommen und kleinere oder größere Forschungs- und Gestaltungsprojekte für einen attraktiveren Nahverkehr in Bremen und Umgebung auf den Weg bringen.
Selbsterfahrung
Viele Barrieren habe ich während meiner Reise von Dortmund nach Bremen selbst erfahren. Wer nicht gut zu Fuß, mit schwerem Gepäck oder Kinderwagen unterwegs ist, für den wird der Dortmunder Bahnhof zum Hindernislauf. Funktionierende Aufzüge und Rolltreppen, stufenfreier Einstieg in die Züge, klares Wegeleitsystem: Fehlanzeige. Immerhin soll der Bahnhof im Jahr 2024 barrierefrei sein. Eine Direktverbindung von Dortmund nach Bremen und andersrum gibt es allerdings nur alle zwei Stunden. Die Alternative ist häufiger umzusteigen. Mit jedem Zugwechsel steigt aber das Risiko, dass der Anschluss unter Umständen nicht erreicht wird. Arbeiten ohne Unterbrechung ist so ebenfalls kaum möglich.
13 Stunden unterwegs
Früher war ich fast immer öffentlich unterwegs, habe auch zwei Stunden Fahrt pro Strecke mit Straßenbahn, ICE und S-Bahn in Kauf genommen. Zusammen mit der Arbeitszeit kam ich auf eine tägliche Abwesenheit von zuhause von 13 Stunden. Selten blieb es dabei. Störungen wie defekte Oberleitungen, Bahngleise, Züge oder auch unvorhersehbare Naturgewalten führten immer wieder zu Verspätungen und Ausfällen. Nebenher ein Abendstudium, so blieben Schlaf und meine sozialen Kontakte wortwörtlich auf der Strecke. Heute fahre ich täglich mit dem Auto zur Arbeit. 25 Autominuten stehen 90 Minuten mit dem ÖPNV gegenüber. Noch nicht eingerechnet ist dabei die Fahrtzeit zum Kindergarten. Statt sechs bis sieben Stunden könnte ich maximal vier arbeiten. Zeit- und Geldaufwand stehen für mich zusätzlich zu den organisatorischen Herausforderungen in keinem Verhältnis.
Unter Umweltgesichtspunkten eine schiefe Rechnung, ich weiß. Mein Mann fährt mit der Bahn. Er hat keinen Führerschein und selbst wenn, wäre die Bahnfahrt aus rein zeitlicher Sicht die schnellere Variante. Vermutlich gehöre ich zu dieser unumgänglichen Grauzone, die es immer geben wird. Dabei ist es nicht so, dass wir nicht weiter über das Thema Mobilität nachdenken. Immer wieder findet sich reichlich Gesprächsstoff, wenn es um weniger Arbeitszeit, weniger Gehalt, einen Umzug oder auch die Anschaffung eines E- oder Hybridautos zur nachhaltigen Aufwertung unseres Lebensstils geht.
Einfach Einsteigen – Gemeinsam nachhaltig mobil
Auf dem Barcamp war Raum, all das zu beleuchten und zu fachsimpeln. Es ist Zeit für eine Verkehrswende. Einfach Einsteigen liefert mit einem visionären Nahverkehrskonzept und seiner Öffentlichkeitsarbeit einen wichtigen Baustein für eine umwelt- und sozialgerechte Mobilität. Dazu passt auch eine nachhaltige Bankverbindung. Einfach Einsteigen ist GLS Kunde. Gemeinsam wollen wir die Pariser Klimaziele erreichen und einen wesentlichen Teil zur Verkehrs- und Energiewende beitragen.
Samstagabend, 23:30 Uhr. Heute gehe ich mit einem guten Gewissen ins Bett. Ich habe es geschafft, alle Strecken öffentlich oder zu Fuß zurückzulegen. Einfach durch Einsteigen.
Fotos: Einfach Einsteigen, Fotograf Friedemann Wagner
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