Das Erdbeben in Nepal hat viele von uns schockiert, berührt, betroffen gemacht. Unmittelbar nach der Katastrophe begannen die Aufrufe zu Hilfsaktionen und Spenden. Auch die Zukunftsstiftung Entwicklung der GLS Treuhand hat für ihre langjährigen Partnerorganisationen vor Ort um Unterstützung gebeten. Anderthalb Wochen nach dem großen Erdbeben sprachen wir mit Dr. Annette Massmann, Geschäftsführerin der Zukunftsstiftung Entwicklung, über die Effizienz von Katastrophenhilfe, die Lage vor Ort und den Wunsch zu helfen.
von Saskia Geisler
Immer aktuelle Informationen zur Lage in Nepal findet ihr hier.
Frau Massmann, zu Beginn haben Sie ja rund um die Uhr gearbeitet. Lässt die Anspannung nun langsam nach?
Nein, das kann ich noch nicht sagen. Unsere Partnerorganisationen vor Ort dringen immer weiter zu den entlegeneren Dörfern vor. Nepal hatte ja schon vor dem Erdbeben eines der schlechtesten Straßennetze weltweit, 70 Prozent der Landfläche sind eigentlich nicht über befestigte Wege erreichbar. Und so trifft die Katastrophe wie so oft die Ärmsten der Armen, weil sie am schlechtesten zu erreichen sind. Hinzu kommt, dass ihre Häuser dem Erdbeben aufgrund der Ständer- und Lehmbauweise am Hang kaum standhalten konnten und das wenige Hab und Gut, das sie hatten, nun unter den Trümmern dieser Bauten liegt.
In den Medien beobachten wir die immer gleichen Reflexe der Berichterstattung, viel läuft über Mitleid. Wie nehmen Sie die mediale Aufmerksamkeit für Nepal wahr?
Katastrophenhilfe baut natürlich immer auf Emotionen und einem Opferbild auf und da passiert es schnell, dass sowohl die Emotionen als auch das Opferbild überbetont werden. Wir versuchen, nicht mit diesen Schemata zu arbeiten. Unser Ansatz – auch in diesem Fall – ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Deshalb haben wir professionelle Partner vor Ort, die die Situation kennen und genaue Analysen der Lage vornehmen können. Klar, es muss im ersten Schritt Nothilfe geleistet werden. Aber die Akteure müssen immer die Menschen vor Ort bleiben. Das ist einerseits effizienter, denn die Menschen kennen die Situation vor Ort; dann ist es günstiger. Wiederaufbauhilfe ist – durch professionelle Partner vor Ort mit Beteiligung der Begünstigten geleistet auch haltbarer, weil die Wertschätzung für das, was man selbst aufgebaut hat, einfach viel höher ist.
Wenn Nothilfe aber dennoch nötig und der erste Schritt ist: Was braucht man dafür?
An erster Stelle steht eine gute logistische Koordination, damit sich Hilfe nicht auf einmal doppelt und andere Dinge dafür hintenüberfallen. Gleichzeitig muss man am Puls der Zeit bleiben: Was ist eigentlich real notwendig? In Nepal haben ja zum Beispiel alle gedacht, dass die Menschen in den Dörfern viel mehr Essen brauchen. Brauchen sie aber gar nicht. Sie waren vorher Subsistenzbauern und werden so auch weiter wirtschaften. Das Wichtigste ist jetzt, dass die Menschen ein Dach über den Kopf bekommen! Genau solche Dinge finden wir heraus, indem unsere Partner vor Ort jeden Tag aktuelle Listen schreiben, was benötigt wird. Eine der Partnerorganisationen in Nepal, RESIC, arbeitet nördlich von Kathmandu und ist deshalb vom Erdbeben nicht direkt betroffen. Es ist erfreulich, dass RESIC aber sofort angeboten hat, aktiv zu helfen. Sie kaufen nun die benötigen Materialien zum Beispiel in Indien, fliegen sie nach Kathmandu, von dort gehen die Güter per Jeep und Lastwagen in die betroffenen Gebiete. Unsere Partner sorgen für entsprechende Verteilung. Das ist ja generell auch ein Kern unserer Arbeit: Akteure vor Ort miteinander verbinden, damit sie sich gegenseitig unterstützen können. Der eine kann das gut, der andere das. Solche Vernetzung untereinander ist extrem hilfreich.
Die Zukunftsstiftung Entwicklung verspricht ja, dass jeder gespendete Cent ankommt. Wie stellen Sie das sicher?
Wir arbeiten seit Jahren mit den Partnerorganisationen vor Ort zusammen. Das heißt, schon vor dem Erdbeben waren interne Controllingsysteme etabliert. Alle Partner werden standardmäßig einmal im Jahr auch von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer geprüft. Auf diese Strukturen greifen wir hier weiter zurück. Es ist ja insgesamt so, dass wir als Zukunftsstiftung Entwicklung normalerweise gar keine Nothilfe machen würden. Das können wir nur in diesem speziellen Fall, weil die Strukturen schon bestehen, weil wir eine vertrauensvolle Beziehung auf Augenhöhe zu den Partnerorganisationen vor Ort haben.
Die Bilder, die wir gerade aus Nepal sehen, erinnern ja an die Berichte aus Haiti 2010. Mittlerweile wird dort deutlich: Die vielen Zuwendungen damals sind letztlich nicht an der richtigen Stelle angekommen, viele Menschen leiden auch heute noch unter den Folgen der Katastrophe. Haben Sie das Gefühl, dass hier Lernprozesse stattgefunden haben und die Hilfe mittlerweile anders läuft?
Nein, das Gefühl habe ich nicht. Alles läuft weiter wie bisher. Alle Hilfsorganisationen haben ja auch einen Hang zum Selbsterhalt. Katastrophenhilfe ist ein Markt. Wenn ich für die Organisationen in Nepal 300 Zelte kaufen muss, oder Trinkwasseranlagen bestelle, dann vergleiche ich Preise und bewege mich auf einem Markt von Anbietern, deren Geschäft die Katastrophenhilfe ist. Auf der Spendenwerbungsseite bin ich in einem „Marktgeschehen“, das im Falle von Katastrophen aber emotional „geschmiert“ ist. Und das ist eigentlich das Problematische. Das ist ein schwieriges Spannungsfeld.Wie gesagt, wir verzichten bewusst auf Superlative, Opferbilder. Ich habe hier jede Menge Bilder von traurigen Kindern. Die bringen wir nicht zum Einsatz, weil wir uns gegen diese Maschinerie der Emotionalität entschieden haben.
Für uns als Spender ist das natürlich ernüchternd. Denn wir wollen ja helfen. Worauf sollte man generell achten, wenn man im Katastrophenfall wie jetzt gerade in Nepal Geld spenden möchte?
Eigentlich brauche ich schon im Vorfeld die Organisation meines Vertrauens, von der ich weiß: Die macht gute Arbeit vor Ort, arbeitet mit lokalen Akteuren und versteht Hilfe so, wie ich sie verstanden wissen will. Aber auch dann sollte ich prüfen, was diese Organisation gerade über das Vorgehen berichtet. Es geht immer darum, eine reife und bewusste Entscheidung fällen, vielleicht nicht gerade im ersten, emotionalisierten Moment der Nachricht. Die Folgen aller Katastrophen sind langwierig und beispielsweise in Nepal wird auch in Jahren noch Geld benötigt werden. Wenn ich dies sage, bewege ich mich auch hier in einem Widerspruch, denn natürlich bin ich unendlich froh über die Gelder, die uns bislang erreicht haben und mit denen wir bereits über 3.000 Menschen helfen konnten. Ein erstes Indiz zur Spendenwürdigkeit kann auch das DZI-Spendensiegel sein. Aber auch hier würde ich noch einmal genauer nachschauen, denn beim DZI dürfen 25 Prozent der Spenden als Verwaltungskosten genutzt werden und kommen nicht beim eigentlichen Zweck an.
Frau Massmann, wir danken Ihnen sehr für das Gespräch!
Fotos: Zukunftsstiftung Entwicklung
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