Die Last der Stromkonzerne ist zu groß

Ein Positionspapier von GLS Vorstandssprecher Thomas Jorberg.


 

Den Atomausstieg werden die Steuerzahler mittragen müssen. Das wird immer wahrscheinlicher. Eigentlich sollen die Betreiber der Kernkraftwerke für den Rückbau der Kraftwerke und die Entsorgung des Mülls aufkommen. Doch laut eines neuen Gutachtens im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums könnten dafür bis zu 30 Milliarden Euro fehlen. Die Konzerne E.On, RWE und EnBW wiesen entsprechende Medienberichte zurück. Sie hätten konservativ und angemessen gerechnet und ausreichend Rückstellungen gebildet.

Dabei zeigt ein vertiefter Blick in die bereits veröffentlichten Konzernjahresabschlüsse, dass die deutschen Betreiber von Atomkraftwerken wirtschaftlich kaum in der Lage sind, die Lasten zu tragen. Das volle Ausmaß der Problematik ist immer noch nicht ausreichend im Visier. Im Endeffekt könnte sich herausstellen, dass die tat- sächlichen Kosten für den Strom der vergangenen Jahrzehnte deutlich höher sind, als für den Strom heute und in Zukunft aus regenerativen Energien.

Schon mehrfach haben Expertisen Zweifel geäußert, ob die Unternehmen ausrei- chend Rückstellungen gebildet haben. Im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums ist dieser Frage ein Gutachten der Kanzlei Becker Büttner Held aus Berlin nachgegangen, sowie eine Studie der Hochschule Ruhr-West im Auftrag der Grünen. Beide kommen zu begründeten Zweifeln, ob der tatsächliche Rückbau durch die Unternehmen finanzierbar ist. Auch Werner Müller, Chef der RAG-Stiftung, ist dieser Mei- nung. Er schlägt deshalb ein Stiftungsmodell vor, vergleichbar der RAG-Stiftung, die die Erblasten des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet trägt.

In den Bilanzen der drei deutschen Stromkonzerne E.ON, RWE und EnBW befinden sich zum Jahresende 2014 insgesamt rd. 37 Mrd. Euro Rückstellungen für Entsorgungsverpflichtungen von Atomkraftwerken. Die Berechnung dieser Rückstellungen basiert auf externen Gutachten zu den voraussichtlich entstehenden Kosten für den Rückbau und die Entsorgung Diese Beträge sind dann mit Zinssätzen um 4,7% abgezinst. Das bedeutet: Nur wenn sich die Rückstellungen um 4,7% pro Jahr zu Lasten des Ergebnisses erhöhen, erreichen sie zum Zeitpunkt des Rückbaus die geschätzte Höhe.

Somit stellt sich zumindest aus zweifacher Sicht die Frage, ob die Rückstellungen ausreichend sind. Zum einen, ob die Schätzungen für die Rückbaukosten hoch genug sind und zum anderen, ob der Abzinsungszinssatz von 4,7% beim aktuellen Marktzinsniveau noch begründbar ist.

Entscheidend ist bei den Betrachtungen ein weiterer Aspekt. Die drei Energieunter- nehmen mit über 120.000 Mitarbeitern haben erhebliche Verpflichtungen aus Versorgungszusagen. Sie belaufen sich auf insgesamt 51 Mrd. Euro. Von dieser Gesamtverpflichtung sind rund 32 Mrd. Euro sogenanntes Planvermögen in der Bilanz abgezogen, sodass die ausgewiesenen Pensionsrückstellungen „nur“ noch 19 Mrd. Euro betragen. Diese Pensionsrückstellungen sind mit einem Zinssatz von rund 2% abgezinst.

Dieser Zinssatz beträgt weniger als die Hälfte des Abzinsungssatzes für die Atomrückstellungen. Eine Begründung dafür findet sich in den veröffentlichten Konzernjahresabschlüssen nicht.

Angesichts dieser hohen Gesamtverpflichtungen ist schleierhaft, wie die drei Konzerne die finanziellen Verbindlichkeiten meistern wollen. Den Gesamtrückstellungen in Höhe von 84 Mrd. Euro stehen zum Jahresende 2014 kurzfristige liquide Mittel und Wertpapiere in Höhe von 18 Mrd. Euro gegenüber. Alle andern Aktiva sind unter- schiedliche Investitionen in Anlagen oder Unternehmen.

Die Stromkonzerne haben daher in Zukunft nicht nur die Last des Rückbaus ihrer abgeschalteten Kraftwerksanlagen zu finanzieren, sondern auch in erheblichem Umfang die Versorgungsverpflichtung gegenüber ihren ehemaligen Mitarbeitern zu erfüllen.

Es greift daher viel zu kurz isoliert zu prüfen, ob die zukünftige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Stromkonzerne ausreicht, um den Rückbau von Atomkraftwerken zu finanzieren. Sondern bei dieser Betrachtungsweise sind die erheblichen Belastungen aus den Versorgungszusagen mit zu berücksichtigen. Bestehende und zukünftige Gutachten und Studienaufträge müssen um diesen Aspekt erweitert werden.

Diese Fragen machen deutlich, dass die Altlasten des Atomstromzeitalters noch lange nicht transparent und weitgehend ungelöst sind. Bei der Suche nach dem deutschen Endlager für Atommüll stehen wir genauso am Anfang wie bei der Suche nach einem „Endlager“ für die Versorgungs- und Entsorgungsansprüche, zu denen sich die Stromkonzerne verpflichtet haben. Dass die Stromkonzerne ihren Verpflichtungen langfristig nicht voll nachkommen können bzw. diese auf schleichendem Wege loswerden wollen, pfeifen die Spatzen laut von den Dächern. Es tut dringend Not, einmal sehr genau und überall unter den Dächern der Stromkonzerne nach den stillen Lasten zu schauen. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Lasten von uns allen getragen werden, also vom Staat zu tragen sind, ist groß.

Bochum, den 16.09.2015
Thomas Jorberg

 

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Eine Antwort zu „Die Last der Stromkonzerne ist zu groß“

  1. Avatar von Friedmut Herzog
    Friedmut Herzog

    |

    Das ist eine Feststellung des Ist-Standes, jetzt gilt es Lösungen zu finden, die den Steuerzahler so wenig wie möglich belasten, wie z.B. die Verpflichtung Gewinne komplett zurückzustellen, da es ja nicht sein kann, das Gewinne ausgeschüttet werden, die das Unternehmen gar nicht selbst verdient hat, wenn alle Risiken berücksichtigt sind. Aber es gilt nach wie vor: Gewinne privatisieren, Kosten sozialisieren…

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