Es ist der Alptraum eines jeden Buchliebhabers: Die Regale quellen über. Man weiß nicht mehr, wohin mit all den Texten und Geschichten, die da zwischen den Seiten schlummern. Aber einfach wegwerfen? Frevel! Was also tun? Der Integrationsbetrieb SinneWerk gGmbH aus Berlin hat die Antwort gefunden und verwandelt die Horrorvorstellung in eine Idee mit Sinn.
Zunächst als gemeinnütziger Verein, heute als gemeinnütziges Unternehmen, geben die Berliner allen Bibliophilen in Deutschland die Möglichkeit, ihre Bücher zu spenden. Ganz offiziell und mit Spendenquittung – entweder per Abholdienst direkt in Berlin oder aber per Post. „Wir sind 2012 mit buchspende.org online gegangen, seitdem sind die Spenden auch bundesweit möglich“, erzählt Maximilian Festerling, Assistent der Geschäftsführung der SinneWerk gGmbH. Und als hätte es noch einen Beweis gebraucht, dass Lesen die Menschen verbindet, kam die erste Buchspende über das Online-Portal gleich aus seinem Heimatort. „Und das, obwohl ich die Absender nicht kannte“, lacht Festerling. „Die Idee trägt also von selbst.“
Mittlerweile kommen jeden Tag etwa fünf bis sechs Pakete in der Liegnitzer Straße in Kreuzberg an. „Das kann vom einfachen Briefumschlag bis zum Umzugskarton gehen“, weiß Festerling zu berichten. Abgegriffene Bücher sind dabei, genauso wie neue. Bücher, deren Einband schon eine Geschichte erzählt, genauso wie solche, die noch ganz jungfräulich erscheinen. Aber was genau passiert mit den Büchern, wenn sie in Berlin angekommen sind? „Erst einmal erfassen wir die Eingänge EDV-basiert“, so Festerling. Und dann wird entschieden, was weiter damit geschieht. Die SinneWerk gGmbH vertreibt die gespendeten Bücher auf drei unterschiedlichen Wegen. – Zunächst einmal kann man die Bücher online kaufen. Zusätzlich gibt es aber auch Kaufmöglichkeiten vor Ort in Berlin. Im Café Tasso – Das andere Antiquariat in Friedrichshain und im Morgenstern – Antiquariat und Café in Steglitz werden nicht nur leckere Biospezialitäten und kulturelle Veranstaltungen angeboten, es kann auch in mehreren tausend antiquarischen Buchtiteln gestöbert und geschmökert werden. Da schlagen die Herzen von Viellesern höher.
Der Clou der Idee: Die aussortierten Bücher landen nicht einfach im Müll, sondern finden neue Besitzer. Der Verkaufserlös stiftet unmittelbar Sinn: „Bei uns arbeiten zur Zeit, die Gastronomie eingeschlossen, 41 Menschen, 25 davon in einer Festanstellung“, erzählt Maximilian Festerling. Der 33-jährige arbeitet seit 2005 bei SinneWerk. „Seitdem sind wir gewachsen und können unser Ziel, Mitarbeiterarbeitsplätze zu sichern und die laufenden Kosten zu decken gut erfüllen.“ Knapp die Hälfte der Festangestellten sind dabei Menschen mit Behinderung. „Für uns ist dabei wichtig, dass Integration selbstverständlich und die Zusammenarbeit gleichberechtigt ist“, so Festerling. „Oft wissen bei uns die Kunden gar nicht, ob die Ansprechpartnerin oder der Ansprechpartner nun eine Behinderung hat – und darauf soll es bei uns auch überhaupt nicht ankommen. Es geht um ein gelungenes Miteinander.“ Und so bietet SinneWerk seinen Kundinnen und Kunden wie seinen Mitarbeitenden ein rundum rundes Konzept – nur die Buchliebhaber unter uns stehen vor einem Problem: Kaum haben wir ein paar Bücher schweren Herzens aussortiert und leichten Herzens gespendet, da stehen wir nun vor der weiten Auswahl des Antiquariats und können es nicht lassen. Wir müssen doch neue, alte Bücher mit nachhause nehmen. Am Ende muss eben doch ein neues Regal her. – Natürlich ein recyceltes.
Fotos: SinneWerk gGmbH
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