Mit neuer Energie – Ein neues Leben nach Tschernobyl

Wie lebt man mit den Folgen einer Atomkatastrophe? Kam Tschernobyl im Jahr 2011 noch mit der Atomkatastrophe von Fukushima kurze Zeit wieder ins Bewusstsein, ist es ansonsten ruhig geworden um die Menschen, die von dem Unglück betroffen sind. Für sie geht das Leben abseits der Öffentlichkeit weiter. Es gibt aber auch Initiativen, die Hilfe leisten und zusammen mit der Bevölkerung neue Perspektiven schaffen. Zum Beispiel  Heim-statt Tschernobyl e.V. mit Sitz in Bünde. Melanie Hefter stellt das GLS Kreditprojekt vor.

Angefangen hat es mit einem Besuch von  Dietrich von Bodelschwingh und seiner Frau Irmgard in Weißrussland im Jahr 1990. Dort erlebten sie katastrophale Zustände. Viele junge Familien mit Kindern litten und leiden noch heute in Folge des Reaktorunfalls an einem schwachen Immunsystem, Schilddrüsenerkrankungen und anderen Strahlenerkrankungen.

Zurück in Deutschland gründeten die Bodelschwinghs den Verein Heim-statt Tschernobyl e.V. Ihr Ziel: eine neue Heimat in unbelasteter Umgebung insbesondere  für junge Familien mit kleinen Kindern aus den verstrahlten Regionen im Süden Weißrusslands. So entstand als erstes die Siedlung Drushnaja, 600 km nördlich außerhalb der Gefahrenzone. Hier wurden für die betroffenen Familien in Lehmbauweise neue Häuser errichtet. Nach Fertigstellung der ersten wurde in Stari-Lepel zwischen Minsk und Witebsk eine zweite Siedlung begonnen. Die Projekte wurden vor Ort von der weißrussischen Partnerorganisation, dem international gemeinnützigen-gesellschaftlichen Verein ÖkoDom in Minsk, umgesetzt.

Gemeinsam viel erreicht

Heute stehen in Drushnaja 33 neue Häuser, in Stari-Lepel wurde gerade das 25. Haus fertig gestellt. In beiden Dörfern entstanden mit Hilfe von Spendengeldern aus Deutschland orthodoxe Kirchen und im Dorf Sanarotsch nahe Drushnaja eine Krankenstation. Voraussichtlich in diesem Jahr wird auch in Stari-Lepel eine Krankenstation eingeweiht, wiederum ermöglicht mit Spenden aus Deutschland und einem 75%-igen Zuschuss der deutschen Bundesregierung.

Die Häuser für die Umsiedler werden durch den Verein mit deren Beteiligung und mit der Unterstützung vieler Jugendlicher gebaut. Sie kommen zu den jährlich stattfindenden Workcamps aus Belarus, Deutschland und Italien. Auf diese Weise entsteht eine einzigartige Gemeinschaft, ein Zusammenhalt unter den jungen Menschen und auch mit den Umsiedlern. „Über 2.000 Jugendliche haben sich bereits in unseren Dörfern getroffen“, erzählt Dr. Bernd Kemper, Geschäftsführer der russischen Partnerorganisation ÖkoDom. „Man sitzt abends gemeinsam am Lagerfeuer und singt verschiedenste Lieder in verschiedenen Sprachen. Daraus hat sich in den zwanzig Jahren sogar schon die eine oder andere Ehe ergeben.“

Neue Zukunft

Neben der Umsiedlung aus den verstrahlten Gebieten will der Verein in Belarus mit regenerativen Energien ein Zeichen setzen für eine atomkraftfreie Zukunft. Bereits vor zwölf Jahren wurde die erste, vor elf Jahren die zweite Windkraftanlage nahe der Siedlung Drushnaja erbaut. Sie waren bis vor drei Jahren die Einzigen in Belarus. Zusätzlich befinden sich auf den Dächern der Ambulanz Photovoltaikanlagen und auf den Begegnungshäusern in beiden Dörfern, die außerdem noch mit Holzpelletheizungen geheizt werden. Alle Häuser werden in traditioneller Lehmbauweise gebaut und mit Schilfmatten gedämmt, beide Rohstoffe gibt es vor Ort. Das Schilf wird vom Verein geerntet und zu Schilfmattem verarbeitet.

Im Jahr 2013 kommt eine weitere, größere Windkraftanlage hinzu. Diese ließ sich allerdings nicht wie bisher alleine aus Spenden finanzieren. Bei diesem Projekt arbeiten sie mit der GLS Bank zusammen. Die Finanzierung in Höhe von 320.000 Euro sollte über Bürgschaften jeweils in Höhe von 3.000 Euro abgesichert werden. Dabei zeigte sich die erstaunliche Kraft des Vereins. „Innnerhalb von fünf Wochen waren die Bürgen gefunden“, freut sich Dr. Bernd Kemper über das Zustandekommen des Projekts. Die erneuerbaren Energien sollen die Dörfer unabhängiger von der Stromversorgung machen und tragen sich durch die Einspeisevergütung.

Es geht weiter …!

In den nächsten zwei bis drei Jahren soll noch eine weitere Windkraftanlage dazukommen. Darüber hinaus will die Partnergesellschaft ÖkoDom  in der weißrussischen Hauptstadt Minsk ein Doppelwohnhauserwerben. Dieses soll als Büro und als Show-Haus für erneuerbare Energien genutzt werden. Durch Führungen und Seminare will der Verein bei der Bevölkerung mehr Bewusstsein für die erneuerbaren Energien schaffen. Weiterhin werden Häuser für Umsiedler gebaut und bestehende Häuser Instand gehalten.

Auch die Eingliederung der Umsiedler in die Bevölkerung vor Ort zählt zu den wichtigen Aufgaben Dazu tragen bereits die beiden Kirchen und die Ambulanz bei, die von allen genutzt werden können. Auch wenn die Umsiedler aus ihrer alten Heimat herausgerissen wurden, haben sie und ihre Kinder eine neue unbelastete Zukunft und manche sogar eine neue Arbeit in der Bau- und Schreinerabteilung von ÖkoDom oder bei der Herstellung von Schilfmatten für die Dämmung gefunden.

Ebenfalls seit vielen Jahren besteht eine Unterstützung für die eingesessene Bevölkerung in der Nachbarschaft zu den Umsiedlungsdörfern durch die Diakonie Bielefeld. Seit 2004 helfen jedes Jahr Bielefelder Schülerinnen und Schüler meist allein lebenden Frauen bei den verschiedensten Reparaturen in ihren Holzhäusern. Sie reparieren Dächer, sanitäre Anlagen oder bessern Böden aus. Über das ursprüngliche Ziel der Umsiedlung hinaus entwickelt sich so ein immer größerer Wirkungskreis von Heim-statt Tschernobyl und ÖkoDom.

Mehr Infos

http://www.heimstatt-tschernobyl.org/

Foto: (CC BY 2.0) von Ben Adlard / Chernobyl

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