Vielfalt als Lebensprinzip steht im Mittelpunkt der Arbeit von Bestsellerautorin Emilia Roig. Im Interview spricht sie darüber, was unsere Gesellschaft trennt – und verbindet.
Von Hannah El-Hitami
Radical Transformation: Buch zu gewinnen!
„Radical Transformation. Wie das Wissen über Gefühle die Welt verändern kann“: In ihrem Buch thematisiert GLS Kundin Lisa Jaspers mit ihren Co-Autor*innen Naomi Ryland und Soraida Velazquez Reve den Dreiklang Spüren, Fühlen, Verbinden als Schlüssel zu Veränderung.
Für die Teilnahme an der Verlosung sende bis 31. Januar 2026 eine E-Mail mit dem Betreff „Radical Transformation“ an: redaktion@gls.de
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Vielfalt kann Artenvielfalt bedeuten, aber auch Vielfalt in Gesellschaft und Perspektiven. Haben diese Formen von Vielfalt etwas gemeinsam?
Ja, absolut. Es gibt eine tiefe Verbindung. In Ökosystemen ist Vielfalt das wichtigste Lebensprinzip – je vielfältiger ein System, desto stabiler und widerstandsfähiger ist es. Wird diese Vielfalt entzogen, stirbt das System ab. Genauso ist es in der Gesellschaft: Ohne Vielfalt verarmen wir, nicht nur kulturell, sondern auch menschlich und spirituell.
Und in der Wirtschaft?
Dort werden Debatten über Vielfalt oft instrumentalisiert. Vielfalt gilt häufig als Mittel zum Zweck: um Profite zu steigern, neue Märkte zu erschließen oder das Image aufzupolieren. Doch wirkliche Transformation bedeutet, Vielfalt nicht nur als Aushängeschild zu nutzen, sondern sie in den Entscheidungs- und Machtstrukturen zu verankern – also in den Chefetagen und nicht nur an der Basis. Und sie bedeutet auch, kapitalistische Logiken infrage zu stellen: Warum soll ein Unternehmen ausschließlich Aktionären gehören? Es könnte ebenso gut kollektives Eigentum der Menschen sein, die darin arbeiten.
Warum halten Sie Diversität für so zentral?
Es geht um Gerechtigkeit: Wir brauchen eine Gesellschaft, in der alle teilhaben, in der wir uns nicht in geschlossenen Milieus bewegen, sondern durch Begegnung wachsen. Vielfalt bedeutet, dass niemand ausgeschlossen wird – und dass wir lernen, mit- und voneinander zu leben.
Vielfalt kann also auch anstrengend sein?
Ja, Vielfalt ist nicht so bequem wie Homogenität. In einem Unternehmen, in dem bisher fast nur Männer gearbeitet haben, verschieben sich die Prioritäten, wenn Frauen dazukommen. In einer Gesellschaft, in der Care-Arbeit überwiegend von Frauen getragen wird, muss dieses Ungleichgewicht neu verteilt werden. Wenn mehr People of Color in einem Betrieb arbeiten, der zuvor fast ausschließlich weiß geprägt war, werden plötzlich rassistische Denkmuster sichtbar, die bearbeitet werden müssen. Auch in der Gesellschaft insgesamt gilt: Vielfalt zwingt uns, Privilegien zu hinterfragen, uns mit Unterschieden auseinanderzusetzen und Komfortzonen zu verlassen – genau darin liegt aber ihr transformierendes Potenzial.

Was schränkt den Raum für Vielfalt aktuell ein?
Denkmuster, die die Überlegenheit bestimmter Gruppen behaupten. Rassismus und Sexismus gehören dazu – vor allem in ihren subtilen Formen, die schleichend wirken und oft unbemerkt bleiben. Menschen neigen etwa dazu, diejenigen zu bevorzugen, die ihnen ähnlich sind, oder Mitglieder dominanter Gruppen unbewusst positiver zu bewerten. Auch bei der biologischen Vielfalt zeigt sich dieses Denken: Wir haben die Natur zu einer externen Entität erklärt, die wir ausbeuten und zerstören dürfen. Im Kern steckt dahinter ein ähnliches Muster wie beim Rassismus: Eine selbsternannte Elite bestimmt, welches Leben wertvoll ist – und welches nicht. Die kapitalistische Vernichtung von Ökosystemen ist eine direkte Folge dieser Logik.
Wie lassen sich unterdrückende Denkstrukturen verlernen, um Vielfalt mehr Raum zu geben?
Der erste Schritt ist Bewusstsein. Wir müssen uns wieder als Teil der Natur begreifen – unsere Entfremdung von ihr macht uns krank, das zeigt auch die Mental-Health-Krise. Veränderung beginnt mit dem Willen, diese Trennung zu überwinden.
Das Bewusstsein dafür können wir entwickeln, aber dazu müssen wir die Veränderung erst einmal wollen. Wie können wir uns und andere dafür begeistern?
Das ist Teil unseres menschlichen Wesens. Wenn wir auf unsere echten Bedürfnisse hören, entsteht die Verbindung zu etwas Größerem fast von selbst.
Ihr neues Buch trägt den Titel „Lieber Sohn oder So rettest du die Welt“. Ein großer Anspruch! Können Sie kurz einen Einblick geben, wie Sie diese Aufgabe angehen möchten?
Das Buch zeigt Wege, der Lebendigkeit mehr Bedeutung zu geben. Heute bestimmt Kapital, was wertvoll ist – wir müssen stattdessen das Leben selbst ins Zentrum stellen. Das ist eine radikale Veränderung, für die ich mit dem Prinzip radikaler Fürsorge plädiere.
Du bist gefragt
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Liebe und Fürsorge als revolutionärer Akt spielten schon in der Vergangenheit eine Rolle in Ihren Büchern. Was bedeutet das in der Praxis?
Dass wir unseren Fokus verschieben: Im Moment ehren wir die Lebendigkeit unserer Umwelt nicht mehr. Stattdessen schenken wir unsere Aufmerksamkeit den falschen Dingen. Wir haben eine Sucht nach externer Bestätigung, materiellen Gütern und Konsum entwickelt. Wir müssen unsere Verbindung mit anderen Menschen und mit uns selbst wieder stärken. Mein Buch ist eine Anleitung, wie wir diese Verbindung sehen, ehren und nähren können.
Die Verbindung mit anderen und uns selbst stärken.
Emilia Roig

Mit dem Buch richten Sie sich an Ihren heute zehnjährigen Sohn. Glauben Sie, dass die neue Generation mit mehr selbstverständlicher Vielfalt aufwächst?
Das hoffe ich. Wir haben einen Punkt erreicht, wo klar ist, dass die kapitalistischen Werte nicht mehr an die aktuelle Situation angepasst sind. Lange hatte jede Generation immer mehr als die davor – das ist nicht mehr so. Und das beeinflusst auch den Blick der jungen Generation auf die Zukunft. Sie schauen weniger auf Besitz, sondern stärker auf Sinn, Nachhaltigkeit und Gemeinschaft.
Welche Rolle könnte eine nachhaltige Bank bei der Gestaltung dieser Zukunft spielen – oder ist sie im kapitalistischen System automatisch Teil des Problems?
Eine Bank kann nicht antikapitalistisch sein. Sie kann aber versuchen, ethisch zu handeln und mit ihren Idealen eine Saat legen. Ich glaube, Veränderung ist organisch und multidimensional: Sie kann zugleich von oben und von unten kommen, revolutionär und in kleinen Schritten passieren.
Raum für Vielfalt

Vielfalt steht unter Druck, obwohl eine artenreiche Natur, eine diverse Gesellschaft und eine vielseitige Wirtschaft unverzichtbare Lebensgrundlagen bilden. Die GLS Bank schafft Raum für Vielfalt – nicht erst jetzt, aber jetzt erst recht. Unser Schwerpunkt zeigt, wo es schon gelingt und wo Herausforderungen liegen.
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