Nachhaltige Bildung ist eine anspruchsvolle und herausfordernde Aufgabe. Doch besonders weil sie von Mehrdeutigkeiten und Unvereinbarkeiten gekennzeichnet zu sein scheint, bietet sie zugleich die Möglichkeit für reizvolle Handlungs- und Gestaltungsspielräume. Es gilt, bestehende Lernmuster angesichts wachsender globaler Probleme zu überdenken und den Prozess der Ausbildung ökonomischen Wissens an Schulen, Universitäten und Arbeitsplätzen mit dem Konzept der Nachhaltigkeit im Sinne einer ganzheitlichen Bildung zu vereinen. Auch im letzten Teil unserer Serie <<Ökonomische Bildung auf dem Prüfstand>> stellen wir uns die Frage, wie eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete ökonomische Bildung beschaffen sein könnte.
Der schillernde Begriff Nachhaltigkeit scheint sich dem Bedürfnis nach Eindeutigkeit und Sicherheit zu entziehen. Das Konzept der Nachhaltigkeit kann als Wegweiser dienen, nicht aber verbindliche Regeln angeben, an denen man sich orientieren könnte. Die Vielschichtigkeit und die Unschärfen des Nachhaltigkeitsbegriffs müssten im Rahmen eines Bildungsprozess erfasst und systematisiert werden, doch nicht mit dem Ziel, sie in „Buchhaltermanier“ zu verwalten und zu archivieren, sondern um daraus Handlungsoptionen für eine dauerhafte, zukunftsorientierte Entwicklung zu erhalten.
Durch das weltweit enorme ökonomische Wachstum der vergangenen 200 Jahre stößt die Menschheit – nicht erst seit den Folgen der Finanzkrise – zunehmend an ihre sozialen und ökologischen Grenzen. Diese Grenzen werden auf globaler Ebene als Klimaerwärmung, weltweit ansteigende Armut oder als Verlust von Artenvielfalt wahrgenommen. Auf regionaler Ebene werden diese u.a. durch Arbeitslosigkeit, Abbau sozialer Sicherungssysteme und zunehmender Umweltverschmutzung spürbar. Ein breitenwirksames Verständnis für die komplexen Zusammenhänge sozialer, ökologischer und ökonomischer Probleme (global wie regional) kann ein starkes Fundament zum Erlernen und Festigen nachhaltiger Handlungsmuster sein.
Ökonomische Bildung – möchte sie das Konzept der Nachhaltigkeit als Leitprinzip erheben – darf sich nicht auf das Anhäufen anerkannter Fakten beschränken. Sie muss (über die Vermittlung von Orientierungs- und reinem Fachwissen in wirtschaftlichen Inhalten hinaus gehen und) den Blick auf die Tragweite wirtschaftlicher Entscheidungen erweitern. Dabei muss deutlich werden, dass die Auseinandersetzung mit grundlegenden Kategorien von Allgemeinbildung, wie dem Menschenbild, dem Werthorizont des Grundgesetzes oder den globalen Schlüsselproblemen unserer Zeit, ohne das Einbeziehen ökonomischer Fragestellungen nicht möglich ist. So lässt sich z. B. über Fragen und Entwicklungen des Sozialstaates, der Bioethik, über Klimaprobleme oder globale Gerechtigkeit nicht urteilen, ohne die relevanten wirtschaftlichen Gegebenheiten und Prozesse zu kennen und zu verstehen.
Eine positive Folge (interdisziplinärer) ökonomischer Bildung könnte sein, die Ausbildungszahlen „klassischer“ Betriebs- und Volkswirtschaftler nicht ständig zu erhöhen, sondern den Fokus vielmehr auf die Ausbildung qualifizierter Wirtschaftsexperten nachhaltigen Denkens zu legen. Zu den Kernkompetenzen dieser „Experten“ zählen einerseits neben fachlichem Wissen vor allem systemisches, stark vernetztes Denken, die Befähigung, (berufsthemen-) übergreifendes Wissen in konkreten Situationen anzuwenden, sowie die Fähigkeit zum Umgang mit Komplexität, die durch das Zusammenwirken ökologischer, soziokultureller und ökonomischer Themen gekennzeichnet ist. Weiterhin ist das Verständnis kreislaufwirtschaftlicher Lebenszyklen und Strukturen und deren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sowie die Wertorientierungen im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung wie Wirtschaftsethik, Verantwortungsbewusstsein und Solidarität wesentlicher Bestandteil dieser Fähigkeiten.
Wer in diesem Sinne lehren will, muss in diesem Feld über fundiertes Wissen sowie über die nötige Expertise zur Vermittlung dieses Wissens verfügen. Der Grundgedanke nachhaltiger Entwicklung basiert auf der Forderung, ökonomische, ökologische und soziale Entwicklungen nicht voneinander getrennt zu betrachten. Das Ausbildungsmodell muss daher Lehrinhalte fest mit Aspekten der Ökonomie, der Ökologie sowie mit sozialen und kulturellen Perspektiven verzahnen, damit die einzelnen Bereiche nicht mehr als isoliert, konfliktträchtig oder gar unvereinbar angesehen werden. Diese Einsicht ist an sich nicht neu, doch sie führt direkt zu der zentralen Frage: Wie lässt sich eine nachhaltige und zugleich dauerhafte Entwicklung dieses Ausbildungsmodells fördern und etablieren?
Ein großer Schritt wäre es, wenn auf nachhaltiges Wirtschaften ausgerichtete Inhalte verstärkt Eingang in den Lern- und Arbeitsalltag finden würden. Dies könnte durch Projektarbeiten, Zukunftskonferenzen, Zukunftswerkstätten, aber auch in Form nachhaltiger Audits oder Produktlinienanalysen realisiert werden. Der Begriff Nachhaltigkeit bietet als Themenfeld etwas an, das als paradigmatisch für eine zukunftsweisende Bildung gelten kann. Denn sie ist interdisziplinär und problemorientiert ausgerichtet. So sind im Kontext des Nachhaltigkeitsgedankens die übersteigerten Renditebestrebungen einiger weniger wie auch die (selten erfassten) Kosten für die Wiederherstellung der dadurch verursachten ökologischen und sozialen Schäden immer weniger tragbar für die Gesellschaft. Beides bleibt dabei Seite ein und derselben Medaille. Zahlreiche nachhaltig wirtschaftende Unternehmen zeigen bereits heute, dass alternative Geschäftskonzepte auch ökonomisch Sinn machen.
Auch gibt es heute bereits einen ständig wachsenden Markt für nachhaltige Bildungsangebote. Alternative Bachelor- und Masterprogramme mit Ausrichtung auf das Thema Nachhaltigkeit (Sustainability) gibt es z.B. an der Alanus Hochschule in Bonn (Betriebswirtschaftslehre / “Wirtschaft neu denken“) oder am Bochumer Institute for Social Banking (Social Banking and Finance). Weiterhin findet man ähnliche Programme an der Universität Oldenburg (Sustainability Economics and Management), der Leuphena Universität Lüneburg (Sustainability Sciences) oder an der Martin-Luther Universität in Halle (Management Natürlicher Ressourcen).
Martin Völkner
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