Wer Geld nachhaltig anlegen will, kann sicher sein: Bei der GLS Bank herrschen strenge Regeln, die unter anderem bestimmte Branchen und Geschäftsmodelle ausschließen. Diese Ausschlusskriterien hat ein interdisziplinäres Team jetzt überarbeitet. Ein Gespräch mit den vier Beteiligten
Die GLS Bank hat sich strenge Anlage- und Finanzierungskriterien gesetzt. Könntest Du uns kurz mitnehmen, wie diese entstanden sind?
Thomas Graf: Seit der Gründung der GLS Bank haben wir thematische Schwerpunkte gesetzt. Wir haben viel darüber diskutiert, welche Finanzierungen positive Veränderung schaffen und welche nicht. Durch diese Diskussionen verfeinerten wir in mittlerweile fast 50 Jahren unsere klare Haltung – insbesondere auch mit Hilfe unserer Kund*innen. Unsere Haltung ließ sich dann recht einfach in die Ausschluss- und Positivkriterien unserer Anlage- und Finanzierungsgrundsätze übersetzen. Diese bilden für die GLS Bank Firmenkundenbetreuer*innen auf der Kreditseite und für uns im Nachhaltigkeitsresearch das Fundament, um gemeinsam gute Entscheidungen für unsere Finanzierungen und das Anlageuniversum zu treffen. Aktuell überarbeiten wir unsere Grundsätze und haben dabei mit den Ausschlusskriterien begonnen. Dabei spielen natürlich unsere Gremien eine wichtige Rolle.
Welche Gremien sind das?
Thomas Graf: Eines der Gremien ist der GLS Anlageausschuss. Expert*innen aus der Zivilgesellschaft und der GLS Gruppe beschließen darin in genauer Abwägung, welche Unternehmen Teil unseres Anlageuniversums werden, also in unser Portfolio aufgenommen werden können und welche nicht. Entscheidungen zu komplexen sozial-ökologischen Fragen bei Kreditanträgen, werden in dem Gremium Inhaltliche Kreditvorabstimmung gefällt. Das interdisziplinäre Gremium ist mit Expert*innen aus der GLS Gemeinschaft besetzt.
Mit Blick auf die Anlageseite: Seit einiger Zeit gibt es umfassende regulatorische Vorgaben zu Nachhaltigkeit am Finanzmarkt. Inwiefern spiegeln sich die Anforderungen in den Anlage- und Finanzierungskriterien wider?
Simon Hauser: Wir haben selbstverständlich alle neuen gesetzlichen Pflichten bei der Überarbeitung berücksichtigt. Grundlage für unsere Entscheidungen ist jedoch unser GLS Nachhaltigkeitsverständnis. Die gesetzlichen Regeln für nachhaltige Geldanlagen existieren erst seit fünf Jahren. Wir vertrauen weiterhin mehr unserem eigenen Verständnis und dem kritischen Blick unseres Anlageausschusses als einer neuen Kennzahl oder irgendwelchen Quoten. Ein entscheidender Punkt ist: Transparenz.
Bekanntlich bewerten unsere Expert*innen des GLS Anlageausschusses stets ganzheitlich die sozial-ökologische Qualität eines Unternehmens. So innovativ eine Aktivität ist, so kritisch ist mitunter eine andere Aktivität desselben Unternehmens. In der Überarbeitung der Anlage- und Finanzierungsgrundsätze haben wir präzisiert, bis zu welchem Umfang wir Umsätze kontroverser Aktivitäten tolerieren. Ein Beispiel: Ein Vorreiter in der Windkraftbranche muss aus politischen Zwängen noch einzelne Kohlekraftwerke betreiben. Hier haben wir festgelegt, dass solche Unternehmen bis zu fünf Prozent ihrer Umsätze aus der Stromerzeugung mit Kohle erwirtschaften dürfen, sofern sie eine überzeugende Ausstiegsstrategie haben. Die Finanzierung von Kohle und der Kohleabbau selbst sind natürlich ausgeschlossen.
Offensichtlich haben es die Kriterien in sich. Was war die größte Herausforderung bei der Überarbeitung?
Anna Rechsteiner: Herausfordernd ist, dass die Ausschlusskriterien sowohl für die Kreditfinanzierung als auch für die Anlageseite gelten. Wenn es um Kriterien für eine Finanzierung geht, sind das meist kleinere Unternehmen, die oft weniger komplex in der Bewertung sind. Diese müssen weniger Informationen veröffentlichen und wir können direkt ins Gespräch mit den Geschäftsführer*innen gehen. Auf der Anlageseite handelt es sich vorwiegend um börsennotierte Unternehmen. Diese unterliegen anderen Berichtspflichten und sind komplizierter in der Bewertung, was etwa Lieferketten, Geschäftsbereiche und Tochtergesellschaften angeht. Hier ist unsere Analyse deutlich aufwendiger, unter anderem durch Tochtergesellschaften, deren Geschäftstätigkeiten auch geprüft werden müssen.
Wie sind eure Diskussionen verlaufen? Sind neue Kriterien dazu gekommen?
Anna Rechsteiner: Wir haben oft lange über Details gesprochen und intensiv diskutiert. Uns ist es aber immer gelungen, die Ausschlusskriterien so klar zu formulieren, dass wir die Entscheidung gemeinsam tragen konnten. Besonders leidenschaftlich debattierten wir über die Auswirklungen von Abholzungen und der Verwendung von Chemikalien. Neben fossilen Energien finden wir hier die größten Ursachen für die Umweltzerstörung. Und gleichzeitig sind die daraus entstehenden Produkte eng mit unserem Alltag verknüpft.
Kannst du bitte ein Beispiel geben?
Anna Rechsteiner: Beim Kriterium Chemikalien verhält es sich komplex. Die Industrie setzt mittlerweile tausende verschiedene chemische Stoffe ein, viele davon gesundheits- oder umweltschädlich. Die aktuell stark diskutierten PFAS*, sogenannte Ewigkeitschemikalien, befinden sich in vielen unserer Alltagsgegenstände wie zum Beispiel Kosmetika, Zahnseide oder Lebensmittelverpackungen. Nur in Ausnahmefällen investieren wir in Unternehmen, die gefährliche Chemikalien einsetzen, zum Beispiel falls diese notwendig für die Herstellung von Medikamenten sind und in geschlossenen Kreisläufen eingesetzt werden.
Kannst du bitte eine Beispiel geben?
Die wohl spannendste Diskussion hatten wir um das neue Kriterium Pornographie – dies fordert eine differenzierte Betrachtungsweise. Hier geht es uns vor allem um den Ausschluss von problematischen Produktionsbedingungen mit potenziellem Rassismus, Sexismus, Ausbeutung etc. Was wir weiterhin unterstützen, sind queerfeministische sowie künstlerische Projekte.
Oder nehmen wir das Thema Abholzung: Durchschnittlich 13 Millionen Hektar Wald werden jährlich durch Abholzung vernichtet. Für Nutzflächen in der Landwirtschaft wie Sojaanbau für Tierfutter und Palmölplantagen für Kosmetik und Lebensmittel oder durch das Ernten von Tropenholz für Gebrauchsgegenstände. Da oft Informationen in den Datenbanken der Ratingagenturen fehlen, müssen wir jeweils im Einzelfall bewerten und entscheiden.
Warum sind diese Quellen – Datenbanken und Ratingagenturen – so wichtig?
Anna Rechsteiner: Die Politik verpflichtet uns mittlerweile dazu, für jedes Ausschlusskriterium eine festgelegte Informationsquelle vorzuweisen. Dies sind in der Regel Recherchedatenbanken von ESG-Ratingagenturen. Das ist einerseits gut: Die zusätzlichen Informationen sind eine nützliche Quelle für unsere Arbeit. Auf der anderen Seite bleibt uns geringerer Spielraum für Einzelfallentscheidungen im Anlageausschuss. Als Beispiel: Für das Kriterium „Chemikalien“ haben wir keinen harten Ausschluss formuliert, obwohl wir diesen prinzipiell umsetzen. Doch es gibt Ausnahmen, etwa ein Entsorgungsunternehmen, das Bleibatterien recycelt. Würden wir einen strengen Ausschluss nach der Bewertung eines Datenbankanbieters formulieren, könnte ein solches Unternehmen zukünftig nicht mehr investiert werden. Und das, obwohl es einen positiven Beitrag zum Umgang mit Blei als gefährlichem Stoff leistet. Solche Ausnahmen werden bei der Bewertung der Ratingagenturen nicht berücksichtigt.
Um die Vorschriften einzuhalten und dennoch in Projekte wie das Recyclingunternehmen investieren zu können, mussten wir das Kriterium weniger streng formulieren, als es in der Praxis gelebt wird.
Was erhofft ihr euch von der Überarbeitung der Ausschlusskriterien?
Anna Rechsteiner: Viele der Kriterien sind zeitlos und werden noch jahrelang dem Nachhaltigkeitsverständnis der GLS Gemeinschaft entsprechen. Nach der Überarbeitung findet sich jetzt der aktuelle Nachhaltigkeitsdiskurs in allen Entscheidungen wieder. Wo genau unsere roten Linien bei den Ausschlusskriterien liegen, war für unser Transparenzversprechen ein wichtiger Antrieb. Wie Simon gesagt hat, haben wir erstmals Umsatzschwellen definiert, anhand derer ersichtlich ist, ab wann wir Unternehmen oder Projekte generell ausschließen – ohne abzuwägen oder gesondert zu entscheiden. Das heißt im Gegenzug nicht, dass wir unterhalb dieser Schwelle alles finanzieren oder investieren. Aber die Grenze ermöglicht es uns sinnvoll und nachvollziehbar zu entscheiden. Wenn ein Bahnunternehmen in eigenen Kiosken Tabakwaren verkauft – was grundsätzlich ausgeschlossen ist – macht das in der Regel nur einen kleinen Anteil des Umsatzes aus. Gleichzeitig entspricht das Bahnunternehmen unserem Zukunftsbild von nachhaltiger Mobilität. Deshalb kann in diesem Umfang der Verkauf im Einzelfall toleriert werden. Doch es gibt auch Ausschlusskriterien, bei denen jeglicher Umsatz zu einem sofortigen Ausschluss führt.
Aktuell wird in den Medien häufiger die Frage nach Green- und Pinkwashing laut. Wie geht ihr damit um?
Florian Roth: Hier tauche ich in den Alltag im Kreditgeschäft ein. Wir haben viele Anfragen zu neuen Geschäftsmodellen und innovativen Ansätzen, aber auch von etablierten Unternehmen, die aufgrund des öffentlichen Drucks und finanzieller Notwendigkeit jetzt mehr für Klimaschutz oder Diversität tun wollen. Wir prüfen dann, wie überzeugend die Nachhaltigkeitsstrategie ist: Uns ist äußerst wichtig, kein vorsätzliches Greenwashing und keine zu finanzieren. Das betrifft einerseits das Kommunikations- und Marketingkonzept eines Unternehmens. Andererseits stellen wir die Frage: Führt die Geschäftstätigkeit wirklich zu mehr Nachhaltigkeit oder Gleichberechtigung? Die Umstellung eines Kunststoffherstellers auf PLA, Biokunststoff aus Mais, wäre uns beispielsweise zu kurz gedacht. Hier findet nur eine Problemverlagerung von fossiler Produktion zu konventioneller Landwirtschaft mit Pestiziden und Gentechnik statt. Dabei kommt es auf recycelte Materialien, Prozesseinsparungen und Langlebigkeit an.
Gibt es eine Art Quintessenz aus dem intensiven Prozess, die ihr teilen möchtet und die uns allen ein Umdenken erleichtern?
Florian Roth: Zwei Aspekte finde ich wichtig: Zum einen zeigen wir als GLS Bank immer wieder, dass sich selbst mit sehr strengen Ausschlusskriterien eine Vielzahl an Unternehmen finanzieren lassen. Das sind dann Unternehmen, die positiven Einfluss auf unsere GLS Zukunftsbilder haben und dabei weniger schaden, als andere.
Zum anderen ist mir klar, dass wir im Anlagegeschäft Großkonzerne am Kapitalmarkt bewerten müssen. Das passt zwar nur schwer zum Urverständnis, das wir in der GLS haben. Gewisse Technologien sind jedoch nötig, um beispielsweise die Energiewende voranzubringen. Allerdings gibt es bei Unternehmen am Kapitalmarkt große Unterschiede in der Qualität sozialer und ökologischer Standards. Nach Außen geben sich die meisten Unternehmen mittlerweile als sozial und ökologisch verantwortungsvoll. Hier gilt es ganz genau hinzuschauen: Die Verwendung von Siegeln oder Aktionen wie Bienenhaltung am Unternehmensstandort lenken womöglich davon ab, dass das Kerngeschäft und dessen Folgen umweltschädlich sein oder Menschen gefährden können. Hier fehlt häufig Transparenz – Industrie und Politik müssen dringend Verantwortung übernehmen, weit über Marketing und kosmetische Effekte hinaus.
Was wir brauchen, ist ein generelles Umdenken: Was ist uns wichtig? Worüber definieren wir uns? Als GLS Bank versuchen wir mit unseren strengen Ausschlusskriterien einen Beitrag für eine sozial und klimagerechte Gesellschaft zu leisten – aber am Ende braucht es uns alle.
Die inhaltliche Kreditvorabstimmung entscheidet bei Kreditanfragen mit sozial-ökologischen Zielkonflikten. Kreditanträge können in unseren sechs Kernbranchen gestellt werden. Expert*innen aus der jeweiligen Branche bewerten die Anfrage anhand unserer Kriterien. Ist ein Fall unklar, geht der Fall in das Gremium Inhaltliche Kreditvorabstimmung. Expertinnen aus der GLS Gemeinschaft beraten und entscheiden über den Einzelfall.
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