Klimaneutrale Verpackung, klimaneutrale Unternehmen oder klimaneutrale Bücher: Der Begriff Klimaneutralität hat sich heute als Maxime unternehmerischen Klimaengagements etabliert. Besonders in der Unternehmenskommunikation ist er ein beliebtes Instrument. Doch ist klimaneutral tatsächlich gut für das Klima? Kann Klimaneutralität das Klima retten?
Von Theresa Pleye und Dr. Laura Mervelskemper, GLS Wirkungstransparenz und Nachhaltigkeit
Klimaneutralität in a nutshell
Das Konzept der Klimaneutralität basiert auf dem Nettotreibhausgasausstoß, der mit einem Produkt, einem Unternehmen oder einem Prozess verbunden ist. Klimaneutralität ist dann gegeben, wenn keine das Klima beeinflussende Wirkung vorliegt. Dies ist der Fall, wenn das jeweilige Unternehmen oder Produkt die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre nicht erhöht.
Dies kann auf zwei Wegen erreicht werden:
- Ein Unternehmen kann zum Beispiel die gesamte Produktion und den Transport so umstellen, dass keine Treibhausgasemissionen mehr entstehen. Diese Umstellung auf klimafreundliche Energie, Mobilität und Rohstoffe ist kosten- und zeitintensiv.
- Eine andere Möglichkeit ist, die entstehenden Emissionen zu kompensieren. In diesem Fall zahlt das Unternehmen speziellen Organisationen einen monetären Betrag entsprechend den Emissionen, der wiederum in Kompensationsprojekten eingesetzt wird, mit denen die gleiche
Menge an Emissionen an anderer Stelle eingespart oder durch Speicherung in Kohlenstoffsenken (zum Beispiel Wälder oder Moore) aus der Atmosphäre gezogen wird. Beispielhafte Projekte sind meist in Entwicklungs- und Schwellenländern angesiedelt und beschäftigen sich unter anderem mit Aufforstungen oder dem Einsatz von Solarkochern als Ersatz für fossile Brennstoffe.
Gerade vor dem Hintergrund der Klimagerechtigkeit ist diese Verschiebung von Verantwortung für die Emissionsreduzierung in Länder des zumeist globalen Südens stark fragwürdig.
Klimaneutralität = Klimaengagement?
Insbesondere die zweite aufgeführte Möglichkeit zur Erreichung der Klimaneutralität macht deutlich, dass klimaneutral nicht immer emissionsfrei bedeuten muss. Ganz im Gegenteil: Oftmals wird klimaneutral gerade dann verwendet, wenn nicht alle Emissionen vermieden wurden oder diese (noch) nicht vermeidbar waren. Somit muss Klimaneutralität keinesfalls mit einer vollständigen Reduktion der Emissionen einhergehen.
Stattdessen sagt Klimaneutralität lediglich aus, dass weder ein positiver noch ein negativer Einfluss auf das Klima erfolgt — die Wirkung ist neutral. Einen wirksamen Beitrag zur Eindämmung des voranschreitenden Klimawandels leistet ein Unternehmen, das klimaneutral wirtschaftet, dementsprechend nicht. Damit ist klimaneutral deutlich von dem Begriff klimapositiv abzugrenzen. Dieser beschreibt Handlungen und Prozesse, die die globale Erwärmung auf gleicher Höhe halten oder (absolut) verringern.
Kompensation befördert „Weiter so“
Hinzu kommt, dass die Kosten für Kompensationen vergleichsweise gering sind. Dadurch fehlen die finanziellen Anreize für Neuentwicklungen von klimafreundlichen Produkten und ihre Entwicklung und Markteinführung werden oftmals verzögert. Ein „Weiter so wie bisher“ mit klimaschädlichen Lebensweisen wird dadurch zumeist vor allem in den Ländern zementiert, die sich Kompensationszahlungen leisten können. Und somit dort, wo die Emissionen durch entsprechendes Wirtschaftswachstum in der Vergangenheit bereits vergleichsweise hoch sind.
Denken in Budgets: Schlüssel für wirksamen Klimaschutz
Viel gravierender ist, dass das Konzept der Klimaneutralität keine Aussage darüber trifft, wie viele Tonnen CO2 im Zeitraum von der Zielsetzung bis zum Zieljahr noch emittiert werden, bevor die Klimaneutralität erreicht werden soll.
Dabei sind genau diese kumulierten Emissionen über den Zeitraum wesentlich, um zu bestimmen, wie viele Emissionen die Atmosphäre insgesamt erreichen und ob diese Menge innerhalb des verbleibenden CO2-Budgets liegt, das für eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 bis maximal 2 °C insgesamt noch ausgestoßen werden darf.
Nur mit diesem Denken in verbleibenden CO2-Budgets kann bestimmt werden, ob ein Unternehmen im Einklang mit den Pariser Klimazielen steht. Der Begriff Klimaneutralität hingegen bedeutet lediglich, dass ein Unternehmen die verursachten Emissionen im Zieljahr einspart — ohne, dass ein Blick auf die Jahre davor geworfen wird.[green_box]
Klimabudget Deutschlands
Im Pariser Klimaabkommen von 2015 hat sich Deutschland dazu bekannt, die Erderwärmung möglichst auf unter 1,5 °C zu begrenzen. Die Bundesregierung hat beschlossen, dass Deutschland bis zum Jahr 2050 klimaneutral sein soll. Nach einer Studie des Wuppertal Instituts reicht das allerdings nicht aus, um das 1,5-°C Ziel zu erreichen. Das Wuppertal Institut legt seinen Berechnungen die Annahme zugrunde, dass die Pro-Kopf-Emissionen weltweit gleich verteilt werden sollen. Das ergibt für Deutschland ein Budget von 4.200 Millionen Tonnen CO2. Mit den von der Politik bisher geplanten Maßnahmen würde Deutschland bis 2050 allerdings 10.300 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen. [/green_box]
Ein Beispiel: Ein Energiekonzern kann sich das Ziel setzen, bis 2050 klimaneutral zu wirtschaften. Bis zum Jahr 2049 kann jedoch viel passieren, beispielsweise eine massenhafte Produktion von Kohleenergie. Erst im Jahr 2050 stellt das Unternehmen vollständig auf erneuerbare Energien um und gilt dennoch 2050 als klimaneutral.
Neutral reicht nicht
Klimaneutralität allein sagt dementsprechend nichts darüber aus, ob überhaupt und wie engagiert ein Unternehmen seine Emissionen senkt — und, wenn es das tut, wie viele Emissionen bis zur Erreichung dieses Stadiums noch ausgestoßen werden. Insofern kann Klimaneutralität in der Form, wie der Begriff zumeist verwendet wird, nicht das Klima retten und lässt keine Aussage darüber zu, ob die Erderwärmung auf das notwendige Maß begrenzt werden kann.
Tipp:
Wenn ihr also demnächst einkauft, verreist, bauen oder Geld investieren möchtet, schaut genau hin und prüft, ob ein Unternehmen oder ein Angebot tatsächlich dazu beiträgt, Emissionen zu vermeiden und/oder zu reduzieren.
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