Die Dokumentation „Welcome to Sodom“ führt auf die Müllkippe Agbogbloshie in Ghanas Hauptstadt Accra. Hier leben, arbeiten und träumen die Männer, Frauen und Kinder auf europäischem Elektroschrott. Die Bevölkerung nennt den Ort „Sodom“.
Eine Rezension von Sophie-Marie Epstein
Auf welchem Gerät liest du gerade diesen Beitrag? Auf deinem Computer? Deinem Laptop? Deinem Smartphone? Egal: In Deutschland kommen im Jahr 2018 auf 100 Haushalte 223,5 PCs und 183,2 Mobiltelefone. Das ist (zu) viel. Denn selbst wenn wir unsere Elektrogeräte ordnungsgemäß entsorgen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf einer Müllhalde wie Agbogbloshie landen hoch. Die österreichischen Regisseure Florian Weigensamer und Christian Krönes tauchen in „Welcome to Sodom“ mit den Zuschauer*innen ein in diesen bis zum Horizont reichenden Stadtteil aus Elektroschrott.
Einer der verseuchtesten Orte der Welt
Noch Anfang der 2000er Jahre war die Lagune von Agbogbloshie ein Vogelschutzgebiet. Dann dehnte sich der nahe gelegene Slum Old Fadam aus. Heute lebt hier kein Fisch mehr, die meisten Vögel sind verschwunden. Der Ort zählt zu den zehn verseuchtesten der Welt. Grund dafür ist das Verbrennen von Kupferkabeln, mit dem die Menschen an die Edelmetalle in den weggeworfenen Geräten gelangen wollen. Die Konzentration in der Erde ist 45 Mal höher als der global geltende UN-Standard. Die Gifte finden sich mittlerweile auch im Blut der 6.000 Bewohner*innen.
Vor lodernden Feuern und Wasserstellen, die an Teerpfützen erinnern, erzählen die Menschen von Agbogbloshie von dem, was in ihrem Innersten vorgeht: von ihrer Vergangenheit, ihren Ängsten, aber auch von ihren Hoffnungen. „Welcome to Sodom“ verfällt nicht in die oberflächliche Pathetik, die gerade die deutsche Berichterstattung über Afrika so häufig dominiert. Die Bilder sind zwar dramatisch, der anfängliche Schockmoment wird aber aufgelöst – vor allem, weil sich der Film Zeit nimmt. Zeit, die Bilder auf sich wirken zu lassen, und Zeit, den Menschen zuzuhören.
Sodom – Der Sound der Müllhalde
So ist es auch ein Bewohner Agbogbloshies, der maßgeblich zum Sound des Films beiträgt. Die Zuschauer*innen lernen ihn kennen, wie er mit weiß-roten Kopfhörern auf umgekippten Kühlschränken sitzend Musik hört, die Augen geschlossen, als würde er gleich einschlafen. Sein Kopf wippt zu einem Beat, den nur er hört. Trotzdem fällt plötzlich auf, dass auch die Geräusche der Müllkippe einen gewissen Rhythmus aufweisen: Metall, das aneinander schlägt, ein Rasseln, ein Aufprall. Man versteht instinktiv, dass dieser junge Mann die Inspiration für seine Musik in den Geräuschen von Agbogbloshie findet. Den „Sound der Arbeit“, einen „menschlichen Sound“, nennt er sie. Eines seiner Lieder heißt „Demale“. Er trägt es inmitten von Blechhütten in ein kabelloses Mikro singend und rappend vor. Andere Männer kommen hinzu, schlagen Rad und machen Flickflacks zur Musik. Ein paar Kleinkinder in zu großen bunten T-Shirts hüpfen am Rand. Es ist eine Tanzparty. Am helllichten Tag, während sich um sie herum die Räder der Müllkippe weiter drehen.
„Dedicated to all the people living, working and hustling in Sodom“
Mit dieser Widmung endet der Film. Ein würdiger letzter Satz. Er passt zu den beeindruckenden Porträts einer Gesellschaft von Menschen, die es schaffen, aus dem, was andere wegwerfen, ihren Lebensunterhalt zu erstreiten.
„Welcome to Sodom“ führt uns schonungslos und mit atemberaubender Kunstfertigkeit das wahre Ausmaß des Wohlstandsgefälles vor. Die Kreativität und der Überlebenswille der Menschen der Müllhalde verlangen Respekt ab. In seinem Lied „Agbogbloshie – Freedom Town“ fragt der junge Musiker aus Sodom „Was wirst du mit nach Hause nehmen?“. Wir schulden ihm eine Antwort.
„Welcome to Sodom“ erscheint am 10. Oktober 2019 auf DVD.
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