Nachhaltigkeit: Die vier starken Beine der Elefanten – das Dilemma von Diskursen

Dr. Annette Massmann, Geschäftsführerin der Zukunftsstiftung Entwicklung, berichtet, wie Kleinbäuerinnen in Uganda Nachhaltigkeit verstehen und wie unterschiedlich das Verständnis von Wissenschafts-  und Alltagssprache ist. 

Ich bin auf dem Weg nach Westuganda. Eine Reise zu KleinbäuerInnen, die von ihrem Land und Kaffeeanbau leben. Mit auf dem Programm steht die Vermittlung von Ergebnissen einer detaillierten Untersuchung ihrer Farmen. Der Forschende wollte im Vergleich herausfinden, wie nachhaltig kleinbäuerliche Farmen sind, ob organisch oder ob konventionell bewirtschaftete Farmen ersprießlicher sind für Mensch, Tier und Fauna. Zu diesem Zweck wurde ein komplexes und sehr aussagefähiges Untersuchungsraster erarbeitet, das Begriffe des internationalen Diskurses zu Nachhaltigkeit nutzt. Es ermöglicht den Vergleich zwischen Farmen in verschiedenen Kontexten. Ein wichtiges Instrument mithin für die internationale politische Diskussion um Zukünfte der weltweiten Landwirtschaft. Es galt, Untersuchungsergebnisse von Farmen an Gruppen von Kleinbäuerinnen zurück zu vermitteln. Ich wurde gebeten dabei zu assistieren, Ergebnisse zu übersetzen.

Kleinräumige Bewässerung macht die BäuerInnen unabhängig von unregelmäßiger fallenden Regen in Folge des Klimawandels. Hier: Bewässerungsystem auf der Trainingsfarm von YARD, Lugazi

Sprache fasst die Sicht auf die Welt – Konzepte werden zu Wirklichkeit – und was ist dann Realität?

In Uganda gibt es über 40 Sprachen. Es musste also vom Englischen in Luganda (Sprache des Forschenden und einiger Bauern) und von Luganda in die lokale Sprache übersetzt werden. Um zu verhindern, dass bei der Übersetzung zu viel verloren geht, fassten einzelne Menschen von Zeit zu Zeit das Wichtigste nochmals auf Englisch bzw. Luganda rückübersetzt zusammen. Schnell wurde deutlich: Diese Übersetzungen sind nicht das größte Problem – vielmehr die Vieldeutigkeit in abstrakte Konzepte gefasster Wirklichkeitsbeschreibung.

„Sustainability“ in der Landwirtschaft: = „environmental integrity, economic resilience, social well being and good governance“.

Diese Formel klingt kompakt, schlüssig, welterklärend und weist auf ein Ziel. Eine Formel des internationalen Konferenzdiskurses zu Nachhaltigkeit. In unserem westlichen Kontext sind wir an Sprache, die aus dem wissenschaftlichen Diskurs in die Alltagswelt hineingetragen wird, gewöhnt und hinterfragen sie kaum. Doch was heißt die Formel eigentlich?

Boden nähren

Das Schöne an der Begegnung mit Kleinbäuerinnengruppen im Westen Ugandas, der Region um Sheema: diese Formel aufzudröseln. Die zweite Übersetzungsdimension ist eine Übersetzung in klare Bilder aktiver Handlungssprache. Ein Beispiel: Ich halte Wasser in meiner Farm, wenn ich rundherum Bäume pflanze. Die Wurzeln der Bäume halten den Boden. Regen und Wind schwemmen bzw. blasen einen solchen Boden nicht so leicht weg, das heißt, nahrhafter Humus bleibt erhalten. Wenn ich den Boden nähre, nährt er mich und meine Familie. Einen Boden nähre ich langfristig am besten mit Kompost, der mit Hilfe von Kuhdung hergestellt ist und bepflanze ihn in Fruchtfolgen.
Frage am Rande: Auf welches der oben genannten Termini zahlt dieses Beispiel nun ein?

Mehr Einkommen dank selbstständigen Vertriebs der eigenen Produkte: Gertrud Nugambe, Secretary der Gaggawala Farmer’s Group, vor dem Market Outlet der Gruppe

Nachhaltigkeit – Bilder sprechen

„Nachhaltigkeit“:  Im Übersetzungsversuch fassten wir das Bild der vier Beine des Elefanten. Ein Elefant ist stark, kann lange Strecken zurücklegen und hat ein unglaubliches Gedächtnis. Um lange Strecken wandern zu können, benötigt er vier starke Beine: gesundes Land, genug zu essen, harmonische Gemeinsamkeit einer Gruppe und gute gemeinsame Entscheidungsfindung. Dann kann er lange, nachhaltig laufen.

Trete ich mit einem solchen Bild in eine internationale NGO-Konferenz, würde ich mitleidig belächelt. Ich stünde im diskursiven Abseits. Dort mitreden heißt, Begriffe des Diskurses nutzen. Im Kontext von Millionen Kleinbäuerinnen im Osten Afrikas ist die oben genannte Formel ohne Inhalt.

Und was behaltet ihr? Die Formel oder die vier starken Beine des Elefanten?

[green_box]Annette Massmann ist Geschäftsführerin der Zukunftsstiftung Entwicklung bei der GLS Treuhand. Die Stiftung kooperiert derzeit mit 84 Projekten in 20 Ländern in ganzheitlicher Entwickungszusammenarbeit.[/green_box]

Titelfoto: Auf eigenen Füßen stehen: Susan Kasewa, Chair Lady der Gaggawala Farmer’s Group aus Maya produziert eigenes, lokal angepasstes Saatgut.

Fotos: Julia Feldhausen

 

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4 Antworten zu „Nachhaltigkeit: Die vier starken Beine der Elefanten – das Dilemma von Diskursen“

  1. Avatar von Peter Piechotta
    Peter Piechotta

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    Der Beitrag hat mich im wahrsten Sinne des Wortes gebildet.

  2. […] Dr. Annette Massmann, Geschäftsführerin der Zukunftsstiftung Entwicklung, berichtet, wie Kleinbäuerinnen in Uganda Nachhaltigkeit verstehen und wie unterschiedlich das Verständnis von Wissenschafts-  und Alltagssprache… Der Beitrag Nachhaltigkeit: Die vier starken Beine der Elefanten – das Dilemma von Diskursen erschien zuerst auf Das Blog. Original Artikel anzeigen […]

  3. Avatar von Peter John Davison
    Peter John Davison

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    Sehr schöner Beitrag. Vielen Dank! Ich hätte gern mehr davon gelesen.

  4. Avatar von Wolfgang
    Wolfgang

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    Für etliche Diskurse wünsche ich mir ein solch starkes Bild, anstelle von Fachsprache beliebiger Disziplinen.
    Ich bin elefantös begeistert.

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