Bei der Saatgut-Tagung der Zukunftsstiftung Landwirtschaft wird klar: Es braucht noch mehr Innovation. Der Klimawandel darf angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage nicht ins Hintertreffen geraten. Im Gegenteil.
Hitzewellen, Starkregen oder Stürme selbst in unseren gemäßigten Breitengraden stellen nicht nur Landwirt*innen und Gärtner*innen, sondern auch die ökologische Pflanzenzüchtung vor neue Herausforderungen. Der menschengemachte Klimawandel findet längst statt – anders, als der derzeitige US-Präsident proklamiert, sind sie keine Erfindung profitgieriger Chinesen, hysterischer Wissenschaftler oder linker Medien.
Seit über 20 Jahren setzt sich der Saatgutfonds der Zukunftsstiftung Landwirtschaft nun für die ökologische Pflanzenzüchtung ein. „Es ist deutlich, dass der Klimawandel auch auf der Ebene der Pflanzenzüchtung Auswirkungen hat und Konsequenzen erfordert“, sagt Oliver Willing. „Wir sind sehr froh, dass wir dank des 2016 nochmals gestiegenen Fördervolumens von rund 1,3 Millionen Euro diese wichtige Arbeit weiterhin unterstützen können. Die Akteure setzen sich mit diesen wichtigen Zukunftsfragen bereits intensiv auseinander. “ Auch bei der Saatgut-Tagung in Kassel Ende Januar, hier trafen sie aufeinander: rund 120 Züchter*innen, Landwirt*innen, Spender und Verbraucher in Kassel.
Bedrohtes Paradies
Eindrucksvolle Belege für weltweite Klimaveränderungen präsentierte der renommierte Klimaforscher Prof. Dr. Hartmut Graßl im fulminanten Eröffnungsvortrag. Graßl ist emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. „Klima ist die wichtigste natürliche Ressource“, führte er dem Publikum vor Augen. Die Laubwaldzone mittlerer Breiten sei eigentlich ein „Paradiesgärtlein“: Tiefgründige Böden, gemäßigte Temperaturen und ausreichend Niederschläge ermöglichen bisher hohe Erträge. Die anhaltende Anreicherung der Atmosphäre mit Treibhausgasen und damit einhergehend die globale Erwärmung sorgen, laut Graßl, nun für Verschiebungen: mehr Sturzfluten, höhere Bodenerosion, mehr niederschlagsarme Tage während der Vegetationsperiode oder auch Einwanderung neuer Schädlinge. Da der Klimawandel vor allem ein „Abfallproblem“ sei, so Graßl, käme neben einer weltweiten Drosselung des Kohlendioxid-Ausstoßes auch einer verantwortungsvoll wirtschaftenden, ökologischen Landwirtschaft große Bedeutung zu.
Landwirt*innen und Gärtner*innen erleben die erläuterten klimatischen Veränderungen ganz konkret. Sie beobachten zum Beispiel einen früheren Beginn des Pflanzenwachstums, aber auch neue Pflanzenkrankheiten, sie müssen mit extremen Hitzewellen ebenso umgehen wie mit Starkregen oder Stürmen.
Eines wurde in Kassel deutlich: Patentlösungen für diese komplexen Herausforderungen sind nicht in Sicht – auch innerhalb der ökologischen Pflanzenzüchtung gibt es unterschiedliche Lösungsansätze. Etwa die sogenannte Populationszüchtung: Anders als bei herkömmlichen Liniensorten können genetisch vielseitigere Getreide-Populationen flexibler auf unterschiedliche Wetterverhältnisse reagieren, so die These. Dr. Hartmut Spieß, Getreidezüchter auf dem Dottenfelderhof in Bad Vilbel, berichtete von entsprechenden Versuchen mit Winterweizen, deren erste Ergebnisse vielversprechend sind. Langfristig könnten Getreidepopulationen die Biodiversität steigern und im Kontext partizipativer Pflanzenzüchtung auch die Grundlage für Standort-angepasste Hofsorten bilden, versprach er. Andere Züchter, etwa der Getreidezüchter Peter Kunz aus der Schweiz, setzen dagegen innerhalb der Linienzüchtung verstärkt auf Anpassungsfähigkeit, Vielfalt und Beweglichkeit.
Anpassungsfähigkeit für Saatgut fördern
Über derlei Qualitäten berichtet auch Ulrike Behrendt von Kultursaat e. V. „Die Pflanze ist ein komplexes, lebendiges Wesen, das wir nur in kleinen Teilen verstehen“, betonte die Gemüsezüchterin. Pflanzen seien zwar einerseits ein Abbild ihrer Umgebung, andererseits prägten sie aber auch ihren Standort. In der Interaktion zwischen Pflanze und Umwelt sei es deshalb wichtig, die Selbstheilungskräfte der Pflanzen zu unterstützen und die vielschichtigen Prozesse rund um Festlegung und Varianz züchterisch aufmerksam zu gestalten. „Unsere Kulturpflanzen müssen wieder beweglicher werden“, so das Fazit der Züchterin – nur so können sie ihrem Umfeld anpassungs- und widerstandsfähiger begegnen.
Tatsächlich könnte man die Frage der Beweglichkeit wohl als den roten Faden der diesjährigen Saatgut-Tagung bezeichnen, denn Flexibilität brauchen in Zeiten des Klimawandels alle: Pflanzen und Züchter*innen ebenso wie Verbraucher*innen, die sich von den normierten Idealbildern von Obst und Gemüse befreien sollten. Angeregte Diskussionen in Arbeitsgruppen und Pausengesprächen boten Gelegenheit zum intensiveren Austausch über diese und weitere Fragen.
Zum Abschluss schlug Martin von Mackensen, Leiter der Landbauschule am Dottenfelderhof, einen Bogen zu grundsätzlichen Fragen zum Verhältnis zwischen Natur und Mensch im Zeitalter des Anthropozän. „Jede Beziehung ist dadurch gekennzeichnet, dass es eine Rückkopplung gibt, dass sie die Beteiligten verändert“, unterstrich er. Das gelte auch für die Beziehung zwischen Natur und menschlicher Kultur, die verantwortungsvoll gestaltet werden und nicht zuletzt durch eine spirituelle Komponente ergänzt werden müsse.
Autorin: Laura Krautkrämer
Bild: Photo by Marco Ceschi on Unsplash
Schreibe einen Kommentar