Wir haben uns mit Hanna Lehmann, der federführenden Mitgründerin der Freiburger Bürgerstiftung, über gute Partner, Nachhaltigkeit im täglichen Leben und gesellschaftliche Veränderung unterhalten…
Frau Lehmann, Sie sind seit über 20 Jahren Studienleiterin der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg und haben in dieser Zeit sehr erfolgreiche Veranstaltungen zum Thema Nachhaltigkeit durchgeführt. Außerdem haben Sie als Umweltbeauftragte mit Ihrem Team den Nachhaltigkeitsgedanken in das tägliche Leben der Akademie übertragen – warum dieses Engagement?
Hanna Lehmann: Ich bin immer von dem Standpunkt ausgegangen, dass man etwas verändern kann – auch in dem relativ festen Rahmen der Katholischen Akademie. Das hat mit Glaubwürdigkeit zu tun und mit dem Schöpfungsgedanken. Denn wenn man ein gutes Tagungskonzept hat, bedeutsame Themen und die besten Referenten, muss man auch den Transfer in den institutionellen Alltag leisten. Das fängt beim hauseigenen Blockheizkraftwerk an und hört beim fair gehandelten Kaffee in unserem Hotelbetrieb nicht auf.
Was sich so mühelos aufzählen lässt, dürfte in seinen Anfängen auf allerlei Widerstände gestoßen sein?
Natürlich gab es Rückschläge, aber wir hatten zum Glück immer eine Vorreiterrolle. Wenn man etwas bewirken will, ist es gut, der Erste zu sein. Dann hat man die Aufmerksamkeit von Presse und Öffentlichkeit. Genauso wichtig ist es aber, geeignete Partner zu finden: die richtigen Handelspartner, den richtigen Stromerzeuger, die richtige Bank. In einer Welt, in der das Zugehörigkeitsgefühl zu einem Ganzen verloren geht, braucht man neue Netzwerke, um zu begreifen, dass man nicht nur so ein kleiner Minimensch ist, sondern tatsächlich Dinge in Bewegung bringen kann.
Wie wirkt sich dieser Verlust der Zugehörigkeit aus?
Die fortgeschrittene Technisierung und Fragmentarisierung aller Lebensbereiche hat zu einer Verunsicherung vieler Menschen geführt. Sie durchschauen die Dinge nicht mehr, fühlen sich ohnmächtig. Gleichzeitig glauben sie an Zahlen, Evaluierungen, Strukturen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen wir die Schule. Alles muss nachweisbar sein, wägbar, juristisch unangreifbar. Statt zu sagen: „Du darfst Fehler machen, wir verzeihen dir diese Fehler!“, sichert sich jeder ab, weil er Angst hat. Das gilt auch in der Politik und ganz allgemein in der Gesellschaft. Viele Führungskräfte sind auf diesem Weg zu Systemautisten geworden.
Das klingt nach einem weit fortgeschrittenen Prozess!
Ja, daher brauchen wir auch einen Paradigmenwechsel. Und zwar einen, der kulturell geprägt ist! Natürlich ist es gut, wenn wir einzelne Dinge verändern – auf erneuerbare Energien setzen, gesunde Lebensmittel kaufen, unser Geld ethisch-ökologisch investieren. Aber man kann nicht bei der einzelnen Sache stehen bleiben. Die ganze Kultur muss sich verändern. Ich kann nicht in einem Plus-Energie-Haus wohnen und gleichzeitig mit dem Porsche vorfahren, in den Urlaub fliegen oder unsinnige Mengen Fleisch konsumieren.
Die erneuerbare Energie ist nur ein Teilbereich, aber wenn wir umsteigen, ändert sich das ganze Leben. Das darf man allerdings nicht falsch verstehen. Dieser Veränderungsprozess ist keine schwere Last und Bürde. Es kann und sollte alles ganz spielerisch gehen.
Den Änderungswillen der Menschen vorausgesetzt!
Jeder kann beginnen, man muss schließlich nicht alles auf einmal machen. Was ich allerdings immer wieder mit amüsiertem Erstaunen zur Kenntnis nehme, sind die Ausreden. Man könnte tatsächlich ein Buch herausgeben mit dem Titel: „Wie umschiffe ich die Nachhaltigkeit? Die besten Ausreden der Welt. Ein Ratgeber“.
Sie scheinen Ihre Zeit nicht mit der Suche nach Ausreden verbracht zu haben – was man an der Themenvielfalt Ihrer Arbeit in der Akademie und auch an Ihrem Engagement für die Freiburger Bürgerstiftung ablesen kann. Wie sind Sie an diesen Ort gekommen?
Ich habe mich eines Tages gefragt, wie in Zeiten knapper Kassen die sozialen, künstlerischen, ökologischen und ganz allgemein gesellschaftlichen Herausforderungen bewältigt werden können. Dabei fiel mein Blick auf die saturierte Generation derer, die Geld haben, Vitalität, Ideen, Erfahrung und die noch etwas bewirken wollen. Schließlich habe ich Tagungen zum Thema Mäzenatentum und Stiftungen organisiert. Während einer Podiumsdiskussion hieß es dann auf einmal: Warum gibt es in Freiburg eigentlich keine Bürgerstiftung? Jetzt gibt es eine!
Und Sie sind die Stiftungsratsvorsitzende. Was macht die Freiburger Bürgerstiftung inhaltlich?
Es gibt eine Reihe sehr schöner Projekte, wie „Faustlos“ – ein Gewaltpräventionstraining für Kinder und „Sprint “ – die sprachliche Einzelförderung von Kindern mit Migrationshintergrund. Oder eine wunderbare Idee der Filmemacherin Reinhild Dettmer-Finke: „Stadtfotograf“ – das jährlich ausgeschriebene Stipendium für junge Fotografen, die Freiburg sechs Wochen lang unter wechselnden Themen mit „fremdem“ Blick betrachten. Übrigens ist das Stiftungskapital auch mithilfe der GLS Bank nach ethischen, sozialen und ökologischen Kriterien angelegt.
Wenn Sie einen Ausblick wagen – was werden die nächsten Jahre im Hinblick auf Ihre Ziele bringen?
Die Dringlichkeit ist so groß, dass es Zeit für große Schritte ist. Auf institutionellem Weg wird das aber wahrscheinlich nicht passieren. Die Menschen müssen sich zusammentun, damit Druck erzeugt wird und gehandelt werden muss. Gut funktionierende Modelle gibt es ja inzwischen genug, auch wenn die Medien lieber über die Unzulänglichkeiten berichten.
Das Interview führte Ralf Lilienthal
Hanna Lehmann
geb. 1950 in Brandenburg an der Havel
nach Studium und Staatsexamen Lehrerin für Deutsch, Gemeinschaftskunde und Geschichte
seit 1990 Studienleiterin der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg
seit 1999 Umweltbeauftragte der Katholischen Akademie
seit 2006 federführende Mitgründerin der Freiburger Bürgerstiftung
Hanna Lehmann ist verheiratet mit dem Architekten Rolf Disch (Solarsiedlung Freiburg, Plus-Energie-Haus „Heliotrop“)
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