Mit ökologischer Pflanzenzüchtung - Mehr Qualität in der Ernährung

Mit Ökozüchtung zu mehr Ernährungsqualität

Ob Frittenbude, Clean Eating oder Steinzeitkost: Ernährung geht uns alle an. Doch was macht eigentlich die Qualität unserer Ernährung aus – und welche Rolle kann die ökologische Pflanzenzüchtung dabei spielen? Austausch und Anregungen zu diesen Fragen bot die 18. Saatguttagung der Zukunftsstiftung Landwirtschaft Ende Januar in Kassel.

von Laura Krautkrämer

18. Saatguttagung - Mit ökologischer Pflanzenzüchtung - Mehr Qualität in der ErnährungAlljährlich lädt die Zukunftsstiftung Landwirtschaft zur Saatguttagung ein: Ökologische Pflanzenzüchter*innen, Landwirt*innen und Gärtner*innen treffen dort auf Spender*innen und Verbraucher*innen – ein ausgesprochen fruchtbares Forum für Austausch und Diskussionen rund ums Ökosaatgut. In diesem Jahr hatten Geschäftsführer Oliver Willing und sein Team mit dem Thema der Ernährungsqualität eine Kernfrage der ökologischen Pflanzenzüchtung auf die Agenda gesetzt.

Qualitätsfragen prägen die Ökozüchtung schließlich schon seit ihren Anfängen in den 1970er Jahren, als sich eine Handvoll Züchter*innen anschickte, dem drohenden Verlust der Sortenvielfalt durch die vehement in den Markt drängenden Hybridsorten entgegenzutreten. Mit der Gentechnik und ihren immer ausgeklügelteren Verfahren verschärften sich die Fronten: Maximale Ertragssteigerung, also Quantität um jeden Preis auf der Seite der Agrarindustrie, Züchtung mit Respekt vor der Integrität von Pflanzen und Umwelt und damit eine Betonung der Qualität auf Seiten der Ökozüchter*innen.

„Forschung und Entwicklung sind langwierig und teuer, deshalb ist die Ökozüchtung auf Unterstützung angewiesen.“ Oliver Willing

Seit über 20 Jahren fördert der Saatgutfonds der Zukunftsstiftung Landwirtschaft in der GLS Treuhand diese zukunftsträchtige Arbeit. Rund 1,3 Millionen Euro Spendengelder kamen 2017 zusammen.

Mehr als Kalorienzählen

18. Saatguttagung - Mit ökologischer Pflanzenzüchtung - Mehr Qualität in der Ernährung
Jasmin Peschke

Dass es beim Essen um weit mehr geht als um Kalorienzählen und chemische Inhaltsstoffe, ist wohl jedem klar – doch welche Kriterien sind sinnvoll, um Ernährungsqualität zu beschreiben? Dr. Jasmin Peschke von der Koordinationsstelle Ernährung am Goetheanum plädierte in ihrem Einführungsvortrag für ein umfassendes Verständnis: Ernährung sei ein vielschichtiges Phänomen, das die Wissenschaft deshalb auch als „Food System“ bezeichnet und untersucht. Auf der sozialen Ebene etwa spielen die Beziehungen zu anderen, die Einbettung in eine Gemeinschaft eine große Rolle. Und bei Ernährungsfragen gebe es nicht nur persönliche, sondern auch gesellschaftliche Herausforderungen.

Häufig gehen Vorsätze und Realität weit auseinander: Wir greifen eben doch zum billigen Fleisch aus Massentierhaltung oder dem von weit her importierten Obst und Gemüse. „Value-action Gap“ nennen Soziolog*innen die Lücke, die dann zwischen Werten und Handlungen klafft. „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind“, mit diesem Zitat von Albert Einstein brachte Jasmin Peschke die Schwierigkeiten des Umdenkens auf den Punkt. Gleichzeitig betonte sie, wie wichtig es sei, als Verbraucher*in aktiv Position zu beziehen und etwa durch gezielte Nachfrage nach hochwertigen Lebensmitteln Einfluss auf die Wertschöpfungskette zu nehmen.

Form bilden und erhalten

Bei der wissenschaftlichen Analyse und Beschreibung von Nahrungsmittelqualität stehen in der Regel die Inhaltsstoffe im Vordergrund. Einen anderen Zugang erlauben die sogenannten Bildschaffenden Methoden: Sie untersuchen Potenziale der Formbildung und -erhaltung biologischer Substanzen. Gemüse- oder Obstextrakte aus unterschiedlichen Anbauverfahren – konventionell, ökologisch oder biodynamisch – reagieren auf Kupferchloridsalze mit unterschiedlichen Kristallisationsmustern. Dr. Jürgen Fritz, Forscher an der Universität Kassel, und Gaby Mergardt, Kultursaat-Züchterin, gaben einen Einblick in diese Analysemethode. Sie präsentierten Fotos von Glasplatten, auf denen beispielsweise Traubensaft verschiedene kristalline Strukturen ausbildet, die an Eisblumen erinnern.

Umfangreiche Computerauswertungen konnten das Verfahren in den letzten Jahren standardisieren und damit wissenschaftlich validieren. Pflanzen aus biologisch-dynamischer Produktion entwickeln auffällig harmonische und fein differenzierte Strukturen. Und nicht nur die Anbaumethoden spielen eine Rolle: Während bei samenfesten Sorten stabile Bilder entstehen, vermitteln Hybriden durchweg einen eher chaotischen Eindruck: Sie wirkten entweder nicht ausgereift oder zeigten starke Alterungsprozesse.

Vom Nahrungsmittel zum Lebensmittel

Einen spirituell erweiterten Blick auf die Frage der Ernährungsqualität entwickelte die biodynamische Kultursaat-Gemüsezüchterin Christina Henatsch in ihrem Beitrag. „Pflanzen bieten verschiedene Qualitäten an, sie stehen in Verbindung mit der Entwicklung des Menschen“, erklärte sie. „Es ist deutlich, dass die Menschen heute andere Voraussetzungen mitbringen und auch andere Bedürfnisse haben – das betrifft auch Ernährungsfragen.“ Die zunehmenden Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten und -Allergien sieht die Züchterin durchaus in diesem Zusammenhang. Sie beobachte eine ausgeprägte Sensitivität bei jungen Menschen, die oftmals kaum kompatibel mit der Dichtigkeit und Festigkeit älterer Gemüsesorten sei: „Wie kann ich Sorten so entwickeln, dass sie Feinheit haben, ohne an Stabilität zu verlieren?”

“Was gibt die Pflanze mir – und was gebe ich der Pflanze?“ Christina Henatsch

In seinem Abschlussvortrag rundete Dr. Alexander Beck von der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller die weit gespannten Themen des Tages auf überzeugende Weise ab. Auch er betrachtete Ernährung als Beziehungsthema: Ernährung stelle eine wichtige Schnittstelle zwischen Mensch und Umwelt dar, sie bedeutet eine intensive Auseinandersetzung mit der Umgebung. „Der Essende muss eine gewisse Wahrnehmungsfähigkeit haben, doch auch die Lebensmittel müssen wahrnehmbare Eigenschaften haben“, brachte er diese gegenseitige Beziehung auf den Punkt. Nur dann sind sie wirklich Lebensmittel – und nicht nur Nahrungsmittel.

www.laura-krautkraemer.de

Fotos: Zukunftsstiftung Landwirtschaft, Stephan Münnich

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