Vom Wesen des Geldes – Sieben Leitgedanken für eine Bankenwende

“Geldvorgänge drücken Willensintentionen der Beteiligten aus.” Wilhelm Ernst Barkhoff (1916-1994), Gründer der GLS Bank

Über das Wesen des Geldes ist eigentlich schon alles Wesentliche geschrieben oder gesagt. Was bleibt ist die Aufgabe für jeden Einzelnen, sich die wesentlichen Zusammenhänge so bewusst zu machen, dass aus der persönlichen Verantwortung auch entsprechende Handlungen entstehen können. Thomas Jorberg, Vorstandsprecher der GLS Bank, formuliert im Infobrief Nr. 28 der Hannoverschen Kassen sieben Orientierungspunkte, auf die wir unsere Aufmerksamkeit in der täglichen Nachrichtenflut richten sollten. Das könnte ein Anfang sein für die notwendige Wende im Bankwesen.

1. Der Mensch schafft das System

Ob Preise, Zinssätze, Gewinnmargen, Indexentwicklungen, Ausfallwahrscheinlichkeiten: Im Umgang mit Geld, aber auch in wirtschaftlichen Zusammenhängen überhaupt, zählt heute im Wesentlichen nur noch das, was sich in Ziffern erfassen lässt. „Das hat Folgen für die personalen wie für die geschäftlichen Beziehungen“, so die Analyse zweier Banker in der FAZ vom 7.12.2012, die sagen: „Wenn der Kunde nicht mehr als Kunde wahrgenommen wird, vielmehr nur noch als Faktor des Ergebnisbeitrages, verkommt er zu einer beliebig manövrierbaren oder gestaltbaren Masse. Der einstige Geschäftspartner verdampft in der Abstraktion des kundenbezogenen Deckungsbeitrages. Mit weitreichenden Konsequenzen: Einmal geht verloren, was Voraussetzung von Urteil und Haltung ist. Aber, noch folgenschwerer: Das „Ich“ und das „Du“, Basis einer jeden Gesellschaftsfähigkeit verkommt zu „Mein“ ohne Gegenüber. Zur banalsten, trivialsten Eigentumsbeziehung, d. h. zu jenem Kalkül, was das Ganze mir und nur noch mir einbringt.“ Nicht im Wesen des Geldes scheint also das Problem zu liegen, sondern eher darin, wie wir Menschen mit Geld umgehen. Welche Institutionen, Systeme und Entscheidungsprozesse haben wir installiert, um den Umgang mit Geld zu regeln?

Geprägt wird der Umgang mit Geld weitgehend durch Systeme. Trotz aller Erkenntnisse, Erfahrungen und Regulierungen erleben wir an diesen Finanzmärkten nach wie vor eine fortschreitende Verunsicherung, Destabilisierung und einen Vertrauensverlust zwischen Kunden und Banken, aber auch zwischen Banken und anderen Finanzmarktakteuren. Der sogenannte „Geldmarkt“ ist damit zu einem der Schlüsselprobleme unserer Gesellschaft geworden.

Das heutige Finanzsystem hat das Potential, die Sozialisationsfähigkeit des Menschen zu zerstören. Diese zweifellos richtige Feststellung ist jedoch kein Grund zum Fatalismus. Nicht unumstößliche Naturgesetze stehen hinter diesen Systemen, sondern der Mensch selbst hat diese hervorgebracht und kann sie jederzeit anpassen, verändern oder neu schaffen.

2. Verantwortung organisieren

Was also ist im Kern unseres heutigen Finanzsystems das Schlüsselproblem? Um dies herauszufinden, bedarf es keines der vielen Beispiele von durch Boni-Zahlungen korrumpierten Investmentbankern, die mit zum Teil krimineller Energie Gesetze und Systeme austricksen bzw. manipulieren. Der durchschnittliche Bankkunde von heute geht zu seiner Bank, hat eine ungefähre Vorstellung über den Zeitraum, in dem er das Geld anlegen will und über sein Sicherheitsbedürfnis bzw. seine Risikobereitschaft. Werden ihm zwei Angebote mit vergleichbarer Laufzeit und „Sicherheit“ angeboten – das eine mit einem Zinssatz von 1%, das andere mit einem Zinssatz von 2,5 % -, wie wird der Kunde entscheiden? Eine dämliche Frage, mag der geneigte Leser denken! Völlig richtig, denn es ist im Grunde genommen gar keine Entscheidung, sondern ein Funktionieren in einem gesellschaftlich akzeptierten Verhaltenssystem. Bei vergleichbar verzifferten Rahmenbedingungen entscheidet immer die Höhe der Rendite oder des Zinssatzes, unabhängig davon, wofür das Geld tatsächlich eingesetzt wird. Die Frage der Verantwortung für soziale, ökologische, kulturelle oder gesellschaftliche Fragestellungen kommt darin nicht vor. Insofern haben wir es hier im Hinblick auf sozial-ökologische Fragen mit einer systemisch organisierten Verantwortungslosigkeit zu tun. Die vielgescholtenen Investmentbanker haben diese sozial-ökologische Verantwortungslosigkeit nur vollkommen verinnerlicht und die Geldmaximierung technisch perfektioniert. So werden heute in den USA 70 % der Börsenumsätze durch mit Algorithmen gefütterten Computern in Bruchteilen von Sekunden getätigt. Eine diskutierte Mindesthaltedauer der Wertpapiere von einer halben Sekunde (!) konnte bisher nicht durchgesetzt werden.

Die negativen Auswirkungen wurden in den letzten Jahren immer sichtbarer und leider auch größer. Die in alle Preise, Steuern, Mieten usw. einkalkulierten Zinsen und Renditen sind eine Umverteilungsmaschine vom ärmeren zum reicheren Teil der Bevölkerung. Systemrelevante Banken und deren Verhaltensweisen gefährden ganze Volkswirtschaften, wenn nicht die globale Wirtschaft. Der eigentlichen Aufgabe von Finanzinstituten, dafür Sorge zu tragen, dass Geld dort hinkommt, wo es gesellschaftlich gebraucht wird, kommen diese immer weniger nach.

3. Transformation durch Transparenz

Daher stellt sich die Frage: Wie transformieren wir dieses System so, dass zukünftig menschliche und soziale Verantwortung im Kern der Entscheidung bei der Geldanlage bzw. Vergabe steht? Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass die gesellschaftlichen Auswirkungen einer Geldanlage zur Urteilsgrundlage der Entscheidung über dieselben werden. Dazu bedarf es der Information über die Verwendung der Gelder und der dabei angelegten Kriterien, nicht nur wirtschaftlicher sondern auch ökologisch-sozialer Art. Dies bedeutet, dass der Bedarf der Transparenz über die Verwendung der Mittel im Finanzmarkt hergestellt wird.

Die drei Urteilsgrundlagen bei der Geldanlage – Laufzeit, Risiko und Zinssatz – müssen stets um die wesentlichste Urteilsgrundlage, die Verwendung der Mittel und deren sozial-ökologischen Auswirkungen, ergänzt werden. Dies garantiert keine sinnvollen Entscheidungen, schafft aber die Voraussetzung, dass diese überhaupt möglich werden. Genau dies ist Kern der Geschäftspolitik sowohl der GLS Bank wie auch der Hannoverschen Kassen. Den Menschen die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass sie aus Freiheit sinnvolle inhaltliche Entscheidungen im Umgang mit ihrem Geld treffen können. Dass dies immer mehr Menschen wollen, zeigt nicht nur das enorme Wachstum der GLS Bank, sondern auch entsprechende Umfragen, die zeigen, dass heute 16 Mio. Bundesbürger ihre Geldanlage an sozialen und ökologischen Kriterien ausrichten würden, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Diese an Dynamik zunehmende Entwicklung wird gemeinhin als „nachhaltige Geldanlage“ bezeichnet.

4. Menschliche Entwicklung ist das Ziel nachhaltigen Wirtschaftens

Ausgehend von den drei Kernbegriffen der Nachhaltigkeit, dem Sozialen, Ökologischen und Ökonomischen, stellt sich zunächst die Frage der Priorisierung dieser drei Bereiche. Bleibt die Gewinnmaximierung als das priorisierte ökonomische Ziel bestehen und wird nur ergänzt um soziale und ökologische Kriterien, ist keine Nachhaltigkeit gewonnen. Der Sinn jedweder ökonomischer, unternehmerischer oder wirtschaftlicher Tätigkeit kann stets nur die möglichst ganzheitliche Befriedigung menschlicher Bedürfnisse sein. Der Mensch mit seinen sozialen, materiellen und geistigen Bedürfnissen ist das einzig sinnvolle Ziel von Unternehmen. Bei der Umsetzung sind der Erhalt, die Pflege und die Weiterentwicklung unserer natürlichen Lebensgrundlagen wesentliche Rahmenbedingungen, sowie die Ökonomie, die Methode, das heißt die im Menschen veranlagte Verhaltensweise, die bei erfolgreicher Tätigkeit Gewinn als ein Ergebnis erwirtschaftet.

Das Ziel wirtschaftlicher Tätigkeit ist damit der Mensch, die Rahmenbedingungen die Natur, die Methode die ökonomische Verhaltensweise und ein Ergebnis der Profit. Was wir heute im Mainstream vorfinden, ist die gegenteilige Reihenfolge. Als Ziel wird der Gewinn verstanden. Dabei verbrauchen wir Natur und der Mensch ist sowohl als Arbeiter als auch als Verbraucher das Mittel zum Ziel der Gewinnerwirtschaftung. So leistungsfähig dieses auf dem Kopf stehende System zur materiellen Wohlstandsmehrung in der Vergangenheit war, ist es nun dabei, sich selbst zu zerstören. Den sozialen und ökologischen Problemen hat es in der Vergangenheit schon nicht ausreichend Rechnung getragen. Die Erscheinungen auf dem heutigen Finanzmarkt zeigen, dass es auch für die weitere Wohlstandsentwicklung nicht mehr leistungsfähig ist.

5. Positive Zukunftsbilder und Paradigmenwechsel

So notwendig und sinnvoll die bestehenden Regulierungsansätze, wie z. B. höheres Eigenkapital, verschärfte Liquiditätsvorschriften, Beraterhaftung, Trennbanken, verschärfte Überwachung usw. sind – sie sind allesamt verzweifelte Versuche, die negativen Auswirkungen eines in der Perspektive nicht mehr leistungsfähigen Systems abzumildern. Was fehlt, ist eine grundlegende gesellschaftliche Diskussion über einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Geld. Ganz besonders fehlt in diesem Zusammenhang eine Diskussion darüber, welches positive Zukunftsbild wir vom Finanzmarkt und den Banken haben. Obwohl Ansätze dieser Bilder längst formuliert wurden, selbst von Bankern wie Josef Ackermann („Wir müssen unsere Tätigkeit in allen Bereichen gründlich daraufhin überprüfen, ob wir damit unseren genuinen Aufgaben als Diener der realen Wirtschaft gerecht werden.“) oder Thiemann / Olearius („Zu allererst muss ein System installiert werden mit unverrückbaren Demarkationslinien zwischen dem, was der genuinen Rolle des Bankinstituts entspricht, d. h. die Wirtschaft zu finanzieren, und dem, was den Spekulationsinteressen, eigenen wie fremden, dient.“). Fügt man diesen positiven Bildansätzen hinzu, dass dabei soziale wie ökologische Kriterien zu forderst anzuwenden sind, kommt man einem positiven Bild schon näher. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir global gesehen viel zu viel Kapital und Geld in den Märkten haben, wird die Zukunftsaufgabe der Finanzinstitute darin bestehen, dafür Sorge zu tragen, dass dort Geld zur Verfügung steht, wo es unter sozialen, ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten den größten Sinn stiftet. Die Basis-Bankgeschäfte leisten das auch heute noch. Allerdings fließt heute der volumenmäßig größere Teil in gesellschaftlich unproduktive, sinnlose, abstrakte und spekulative Anlageformen.

6. Salutogenese für die Finanzmärkte

Eine Regulatorik, die sich an einem solchen positiven Zukunftsbild des Finanzmarktes orientiert, wird fragen, wie die Gesundheit des Finanzwesens gefördert werden kann. Sie wird – ergänzend zu den bisherigen Regelungen – zu ganz anderen Schlüssen kommen. Diese sind:

  • Eine Fortsetzung der Stabilisierung der Risikotragfähigkeit der Finanzinstitute. Dabei kann es allerdings nicht darum gehen, eine europäische Vereinheitlichung sämtlicher Risikomess-, -kontroll-, und -sicherungssysteme zu etablieren. Das Streben nach einem solchen europäisch einheitlichen System für alle Banken würde das durch einzelne Banken bereits bestehende systemische Risiko eher potenzieren. Es ist nicht zu erwarten, dass ein einheitliches System fehlerfrei funktionieren wird. Hier ist eher die Vielfalt, die z. B. durch die beiden deutschen dezentralen Bankenverbunde der Sparkassen und Volksbanken besteht, zu stärken und auszubauen.
  • Die Diskussion um das Trennbankensystem wird auf eine ganz andere Ebene gestellt. Nicht die Trennung von Einlagen- und Kreditgeschäft auf der einen Seite und Investmentgeschäft auf der anderen Seite ist notwendig, sondern die Trennung dessen, was genau die Aufgabe einer Bank ist. Und dazu gehört auch realwirtschaftlich orientiertes Investmentbanking. Aber das, was rein abstrakt- spekulatives Geldgeschäft darstellt, gehört in ein reglementiertes Casino, hat aber nichts an einem sinnvollen Finanzmarkt zu suchen. Daher sind Geschäfte, die derzeit in der Regulierung diskutiert werden, wie z. B. der Hochfrequenzhandel, rein abstrakte Rohstoffderivate oder intransparente CDS auf den Finanzmärkten ganz abzuschaffen.
  • Um soziale und ökologische Verantwortung zu implementieren, sind Vorschriften zu entwickeln, die Finanzinstitute verpflichten, die Verwendung der Gelder und deren gesellschaftliche Auswirkungen in geeigneter Weise offenzulegen. Neben der verpflichtenden Angabe zu Gebühren, Zinssätzen, Risiken und Laufzeiten muss zukünftig die Verwendung der Gelder hinzukommen. Keine einfache Anforderung, aber es gibt längst weltweit Beispiele für öko-soziale Ratings, Impact Messungen und Offenlegung von Aktivgeschäften.
  • Zu befördern gilt es regional wie global eine Vielfalt dezentraler, mittelständischer Bankinstitute, die realwirtschaftlich und sozial-ökologisch leistungsfähig sind. Zu befördern sind in diesem Zusammenhang auch entsprechende Verbundstrukturen, Sicherungssysteme sowie Bankverbundunternehmen. Nicht die Einheitlichkeit sondern die Vielfalt an Geschäftsmodellen, Rechtsformen, Strukturen, Sicherungssystemen usw. wird die Stabilität wieder herstellen.

7. Zusammenarbeit für die Bankenwende

Es stellt sich die Frage: Ist die gesellschaftliche Akzeptanz und die Kundennachfrage nach einer solchen Transformation unserer Systeme vorhanden? Wie z. B. die Global Alliance for Banking on Values (GABV) gibt es weltweit Banken, die stark wachsen und werteorientiertes Banking betreiben. Die 22 Mitglieder-Banken entwickeln sich auch wirtschaftlich erfolgreich mit diesem Geschäftsmodell.

Die fortschreitende Vertrauenserosion, zumindest im europäischen Bankensektor, erfordert eine solche Transformation, damit Vertrauen zurückgewonnen werden kann. Gabor Steingart, Chefredakteur des „Handelsblatt“, fordert auf der Tagung „Banken im Umbruch“ im Herbst 2012: „Die Bankenwende ist genauso zwingend wie die Energiewende. Eine Kulturrevolution ist im Gange. Wer sich ihr entgegenstellt, wird Mühe haben zu überleben.“

Eine Kulturrevolution hat bei vielen Verbrauchern und Bankkunden längst begonnen. Das Vertrauen der Kunden werden die Banken nur zurückgewinnen, wenn sie auf die zunehmenden Fragen ihrer Kunden, was sie tatsächlich mit dem Geld machen und welche gesellschaftliche Auswirkung ihre Tätigkeit hat, befriedigende Antworten geben können. Nicht abstrakte, verzifferte Sicherheitssysteme werden das Vertrauen zurückgewinnen, sondern nur konkrete Antworten auf diese Fragen.

  1. Die durch Herrn Jorberg beschriebenen Ansätze sind sehr gut und wichtig:

    Dass Zins nicht nur eine Zahl ist, sondern auch andere Qualititen hat muss mehr kommuniziert werden!

    Leider ist die “Masse” der Bevölkerung in vielen Fällen kaum mehr in der Lage SINNvoll zu entscheiden, da kurzfristig Energie in Form von “Geld” künstlich knapp gehalten wird von einer selbsternannten “Kapitalelite”.

    Ein anderer Ansatz mit dem selben Zielen wäre:
    ALLE Kosten einer Unternehmung nach dem Verursachungsprinzip einzurechnen.
    So verteuern sich unnatürliche, unsoziale und ungerechte bzw. nicht sinnvolle Dienstleistungen und Produkte ungemein! – Ein Zins wäre dann wieder als reine “Zahl” vergleichbarer.

    Danke und weiter so….

  2. Ein schöner Artikel. Ich stimme in großen Teilen vollkommen zu. Nur wird es mit Sicherheit einen nicht unbedeutenden Anteil an Kunden geben, die ihre Eigeninteressen weiterhin egoistisch vertreten und durch eine allgemeine Tendenz der Gesellschaft, das Geld mit sozialer Verantwortung anzulegen, wird auch deren Vorteil gegenüber anderen Anlegern wachsen; dort ist Aufklärungsarbeit gefragt; und ein schlaues Regulativ. Der Mensch verhält sich nicht wie ein Ideal. Ein paar der vielen Fremdwörter hätte man sich im Artikel übrigens sparen können. ;)

  3. Markus Kohler

    Ich bin leider kein Finanfachmann und nur über Google auf diesen Artikel gestoßen. Ich habe mir viel Zeit genommen um ihn zu lesen und ich möchte mich ganz herzlich für die interessanten Geankengänge, in die du mich entführt hast, bedanken

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